13. November 2011

Maximilian Steinbeis

CDU denkt an ein neues Grundgesetz

Das schreibt der SPIEGEL in seiner neuesten Ausgabe pünktlich in den morgen beginnenden Parteitag hinein: Zwischen Merkel und Schäuble gebe es Überlegungen, nach einer Reform der EU auch die deutsche Verfassung europatauglich zu machen, auf dass die umgestaltete EU mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet werden kann.

Was laut BVerfG ja mit dem gegenwärtigen Grundgesetz nicht geht.

das heißt: Grundgesetzänderung,

schreiben die Spiegel-Kollegen.

Entweder über den Artikel 23, also eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Oder in verschärfterer Form: über Artikel 146 Grundgesetz, also durch eine direkte Beteiligung des Volkes. Die Deutschen würden dann das Grundgesetz aufgeben und sich eine völlig neue Verfassung geben.

Eine neue Verfassung

Eigentlich ist das nicht so überraschend: Dahinter verbirgt sich die Position des Zweiten Senats aus dem Lissabon-Urteil, dass die Kompetenzübertragung an die EU die Grenze des nach dem Grundgesetz Möglichen erreicht habe, dass Art. 79 III auch Zweidrittelmehrheiten an solchen weiteren Schritten hindere und dass dies nur mit einer neuen Verfassung nach 146 GG samt Volksabstimmung gehe.

Alles, was Merkel in den letzten Monaten gemacht hat, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass sie genau diesen Weg über 146 GG ins Auge fasst.

Da fällt mir natürlich ein Haufen Fragen ein: Wird es eine verfassunggebende Versammlung geben? Eine richtige Generalrevision der Verfassung, wie es die Finnen, die Schweizer vorgemacht haben? Wir bauen uns eine neue Republik?

Oder wird das eine Minimal-Reform? Ein dem Grungesetz-Text bis auf Art. 23 und 146 wortlautgleicher Entwurf, der dann einer Volksabstimmung unterzogen wird, gegebenenfalls parallel zur nächsten Bundestagswahl? Keine konstitutionelle Neugründung, sondern nur eine als solche verkleidete, ganz normale Grundgesetzänderung?

Ich wäre für letzteres, und zwar aus zwei Gründen.

Europäischer revolutionärer Moment

Erstens glaube ich nicht daran, dass sich die Bundesrepublik Deutschland ohne das Grundgesetz denken lässt. Das ist anders als in der Schweiz oder in Frankreich: Das Grundgesetz ist bei uns die Bedingung der Möglichkeit deutscher Staatlichkeit, nicht andersherum. Es hat seine Gründe, dass die Wiedervereinigung nicht mit einer neuen Verfassung einherging. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Staat, der mal diese, mal jene Verfassung hat, aber immer mit sich selbst identisch bleibt. Bei uns ist zuerst die Verfassung und dann der Staat. Wir sind da eher den USA ähnlich, oder Belgien.

Daran ändert auch die Situation nicht, in die uns die jetzige Krise in der EU bringt. Niemand will die Bundesrepublik durch eine neue, andere Republik ersetzen, es gibt überhaupt keinen Grund dafür. Wofür es dagegen sehr wohl einen Grund gibt, ist, dass wir uns eine neue EU bauen. Wir haben es, wenn überhaupt, mit einem europäischen revolutionären Moment zu tun, nicht mit einem deutschen.

Die deutsche Verfassungsdebatte ist aber mit der europäischen auf das engste verknüpft. Die Debatte über eine neue Verfassung liefe parallel oder jedenfalls eng verbunden mit der Debatte über den Umbau der EU. Zumal Deutschland als dickster Staat der EU, als Währungs- und Schuldengarant von außen als derjenige wahrgenommen wird, der sagt, wo es in und mit der EU künftig langgeht.

Das heißt zweitens: Wenn wir tatsächlich die deutsche Nation neu konstitutionalisieren wollten, dann würde das darauf hinauslaufen, dass wir in Wahrheit eine Debatte darüber führen, wie wir Europa neu konstitutionalisieren. Ich bin sehr dafür, dass wir diese Debatte führen, aber das können wir nicht alleine tun. Das ist nicht etwas, das wir Deutschen mit uns selbst ausmachen könnten. Das müsste als gesamteuropäischer Verfassungsgebungsprozess geschehen. Und den werden wir nicht bekommen.

 

 

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