18. Mai 2018

Sebastian Bretthauer

Dashcams: Wenn die ZPO erlaubt, was das Datenschutzrecht verbietet

Mit Dashcams den Verkehr aufzuzeichnen, kann nach einem Unfall in einem zivilrechtlichen Haftpflichtprozess sehr nützlich sein – obwohl man das datenschutzrechtlich eigentlich nicht darf. Der BGH hat in dieser Woche (BGH, Urt. v. 15. Mai 2018 – VI ZR 233/17) zwei rechtliche Problemlagen geklärt, die deutsche Gerichte seit geraumer Zeit beschäftigt haben: Zum einen betrifft dies die datenschutzrechtliche Zulässigkeit des Einsatzes von Dashcams im öffentlichen Verkehrsraum. Zum anderen deren zivilprozessuale Verwertbarkeit, insbesondere wenn die Aufnahmen rechtswidrig erfolgten.

Datenschutzrecht: Es kommt auf das Gerät an

Eine Dashcam-Aufnahme verstößt jedenfalls dann gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen, wenn permanent und anlasslos das gesamte Geschehen auf und entlang der Fahrstrecke aufgezeichnet wird. Denn es gibt regelmäßig weder eine Einwilligung (§ 4 BDSG a.F. bzw. Art. 7 DSGVO) noch einen gesetzlichen Erlaubnistatbestand (§ 6 b Abs. 1 BDSG a.F. bzw. § 4 BDSG n.F. sowie § 28 Abs. 1 BDSG a.F.), die einen derartigen Einsatz legitimieren würden. Im Umkehrschluss kann eine bloß vorübergehende und anlassbezogene Aufzeichnung des Geschehens also zulässig sein.

Was bedeuten diese knappen Ausführungen – so jedenfalls in der Pressemitteilung des BGH – aber konkret für die künftige datenschutzrechtliche Bewertung?

1. Dafür wird es maßgeblich auf die technische Gestaltung von Dashcams ankommen.

Die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) trägt diesem Umstand unter dem Stichwort „privacy by design“ und „privacy by default“ in Art. 25 DSGVO Rechnung. Der Dashcam-Nutzer als datenschutzrechtlich Verantwortlicher (vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO) muss technische und organisatorische Maßnahmen treffen, um die Datenschutzgrundsätze wie etwa die Datenminimierung (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO) wirksam umzusetzen. Technisch kann dies etwa dadurch passieren, dass die Aufzeichnungen in kurzen Abständen überschrieben werden und die dauerhafte Speicherung erst bei einer Kollision oder starker Verzögerung des Fahrzeugs ausgelöst wird. In der Praxis ist der Dashcam-Nutzer allerdings darauf angewiesen, dass die Hersteller entsprechende Produkte entwickeln und anbieten. Der Ball liegt also im Feld der Hersteller von Dashcams, auch wenn diese selbst gar keiner rechtlichen Verpflichtung unterliegen. Taugliche Ansätze für die Gestaltung datenschutzfreundlicher Dashcams existieren bereits zahlreich (s. hier).

2. Wer Dashcams zu Beweiszwecken einsetzt, kann sich nicht auf das datenschutzrechtliche „Haushaltsprivileg“ (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO bzw. § 1 Abs. 2 Nr. 3 aE BDSG a.F. bzw. § 1 Abs. 1 S. 2 aE BDSG n.F.) berufen. Danach fallen Vorgänge „ zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ nicht unter das Datenschutzrecht. Das ist aber bei der Schaffung von Beweismitteln nicht der Fall.

Einerseits gebietet bereits der Wortlaut der jeweiligen Norm eine enge Auslegung, andererseits sind die Wertungen von Art. 8 GrCharta (Recht auf Schutz personenbezogener Daten) sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen. Dashcam-Aufnahmen tangieren die Rechtssphäre der Aufgenommenen in nicht nur unerheblicher Weise.

3. Auch wenn man seinen mit einer Dashcam ausgestatteten PKW erkennbar kennzeichnet, kann man nicht davon ausgehen, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer konkludent eingewilligt haben, aufgezeichnet zu werden. Bereits 2007 hat das BVerfG entschieden, dass „von einer einen Eingriff ausschließenden Einwilligung (…) selbst dann nicht generell ausgegangen werden [kann], wenn die Betroffenen auf Grund einer entsprechenden Beschilderung wissen, dass sie (…) gefilmt werden. Das Unterlassen eines ausdrücklichen Protests kann nicht stets mit einer Einverständniserklärung gleichgesetzt werden“ (BVerfG NVwZ 2007, 688 (690)).

4. Der Einsatz von Dashcams ist auf nationaler Ebene datenschutzrechtlich primär an § 4 BDSG n.F. zu messen.

Dabei hat sich die datenschutzrechtliche Bewertung daran zu orientieren, ob der Einsatz von Dashcams zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

Somit ist eine Interessenabwägung notwendig. Der Dashcam-Nutzer kann sich auf den Schutz seines Eigentums (Art. 14 GG) berufen: ganz konkret den Schutz seines PKWs. Zugunsten der überwachten Personen streitet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. In diese Abwägung hat auch die technische Gestaltung der Dashcams einzufließen. Dabei sind solche Systeme vorzugswürdig, die einen besonders datensparsamen Umgang ermöglichen. Technische Maßnahmen zum Privatsphärenschutz helfen ebenfalls, etwa dass die Bilder verändert oder unterschiedliche Zugriffsstufen verwendet werden (s. hier). Durch eine entsprechende technische Gestaltung kann die Dashcam wesentlich gezielter, selektiver und verdachtsabhängig aufzeichnen. Nur das, was für den Unfallhergang tatsächlich von Relevanz ist, muss auch auf dem Videomaterial gespeichert werden (s. hier). Andere Daten und Informationen über die nähere Umgebung, Fußgänger oder am Unfall unbeteiligte Fahrzeuge müssen aus dem Datenpool gelöscht werden und können so auch nicht mehr verwertet werden.

Zivilprozessrecht: Das Beweisinteresse überwiegt

Auch wenn es rechtswidrig ist, ein Beweismittel zu erheben, heißt das nicht unmittelbar, dass es im Prozess unverwertbar ist. Somit ist über die Frage der Verwertbarkeit einer rechtswidrigen Dashcam-Aufnahme aufgrund einer Interessenabwägung im Einzelfall zu entscheiden. Auf Seiten des Dashcam-Nutzers als Beweisführer im Prozess streitet sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), wohingegen sich der Beweisgegner wiederum auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung berufen kann.

5. Das Interesse des Dashcam-Nutzers als Beweisführers überwiegt hier nach Ansicht des BGH grundsätzlich, da sich das Geschehen im öffentlichen Straßenraum abspielt und sich somit jeder Verkehrsteilnehmer der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer aussetzt.

Der BGH lässt an dieser Stelle allerdings außer Acht, dass die visuelle Wahrnehmung durch eine natürliche Person nicht unbedingt dasselbe ist wie eine Dashcam-Aufnahme. Im Gegensatz zur reinen Beobachtung durch das menschliche Auge werden bei der Dashcam die Videoaufnahmen fixiert und abgespeichert, sodass sie für eine bestimmte Dauer en détail abrufbar bleiben. Die menschliche Erinnerung verblasst hingegen mit der Zeit, was nicht zuletzt oftmals gerade deshalb zu erheblichen Beweisschwierigkeiten in Unfallprozessen führt. Um gleichwohl einerseits der Beweisnot zu entgehen und andererseits einen effektiven Schutz der informationellen Selbstbestimmung zu gewährleisten, sind Dashcams technisch so zu gestalten, dass beispielsweise eine Wiedergabe der Bildsequenz überhaupt nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Denkbar ist, dass etwa nur einem Gericht der Zugriff auf die Daten ermöglicht wird und der Dashcam-Nutzer selbst nicht darauf zugreifen kann.

6. Schließlich hat die datenschutzrechtliche Bewertung keine unmittelbare Auswirkung auf die zivilprozessuale Beurteilung, da der Schutzzweck des Datenschutzrechts nicht auf ein Beweisverwertungsverbot abzielt.

Der datenschutzrechtliche Verstoß kann seinerseits nur mittels Geldbußen geahndet werden, und die Datenschutzaufsichtsbehörden können mit Maßnahmen zur Beseitigung von Verstößen steuernd eingreifen. Für sich genommen überrascht die Argumentation des BGH nicht. Führt man beide Problemlagen jedoch zusammen, ergibt sich folgende Diskrepanz: Der Dashcam-Nutzer obsiegt im Zivilprozess, da sich die Rechtswidrigkeit der Dashcam-Aufnahmen nicht auf die Bewertung der prozessualen Verwertbarkeit auswirkt. Gleichzeitig kann die Datenschutzbehörde aber den weiteren Betrieb der Dashcam untersagen und dem Dashcam-Nutzer auch eine Geldbuße auferlegen. Wirtschaftlich betrachtet kann das bedeuten, dass man als Bußgeld direkt wieder abliefern muss, was man als Schadensersatz eben erst erhalten hat – man hat zivilrechtlich gewonnen, hat aber nichts davon. Diesem kuriosen Ergebnis entkommt man nur, wenn man entweder datenschutzwidrige Dashcams zivilprozessual doch für unverwertbar erklärt oder Dashcams richtigerweise von Anfang an datenschutzkonform gestaltet werden.

Die Entscheidung des BGH ist in ihrer Stoßrichtung grundsätzlich zu begrüßen. Gleichwohl streift sie die datenschutzrechtlichen Herausforderungen nur oberflächlich und lässt viele Folgefragen offen, die auch hier nur kursorisch angedeutet werden konnten. Offenkundig ist, dass eine frühzeitige Kooperation von Technik und Recht zwingend notwendig ist. Die Nutzung von Dashcams wird jedenfalls fortan zunehmen, sodass ein datenschutzkonformer Einsatz am Ende des Tages allen Beteiligten zum Vorteil gereicht.

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