Karlsruhe: in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde immer wieder dorthin geblickt, zum Sitz des Bundesverfassungsgerichts. Die Entscheidungen des BVerfG haben stets etwas verheißungsvolles, den sechzehn Richterinnen und Richtern wird die Lösung von Problemen anvertraut, die sich den Mitteln der Politik zu entziehen scheinen.
So auch heute. Punkt 10 Uhr trat der Zweite Senat unter dem Vorsitz des Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle zusammen, um die Entscheidung im NPD-Parteiverbotsverfahren zu verkünden. Damit findet ein Verfahren ein Ende, das ein gewaltiges öffentliches Interesse auf sich zog und dessen Aspekte in prozessualer wie materieller Hinsicht umfassend diskutiert wurden. Viel schien für ein Verbot der rechtsextremen Partei NPD zu sprechen, vor allem die Unerträglichkeit ihrer ideologischen Wurzeln. Die Bedenken waren indes nicht weniger fundamental, soll doch die demokratische Freiheit durch die Verkürzung derselben gewahrt werden, zumal das Gefahrenpotential der NPD geringfügig schien.
Die Rhetorik in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem rechtlichen Institut des Parteiverbots ist dabei erstaunlich martialisch. Das Instrument wird als „Damoklesschwert“ oder „Axt“ bezeichnet, diskutiert wird, ob es als „Schwert des Staates“ nicht „stumpf“ sei, und das BVerfG selbst formulierte als zentrale Verbotsvoraussetzung eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung“ der Partei. Freilich: der Topos des politischen Wettbewerbs als „Kampf“ ist ein bekannter. Dies lädt dazu ein, in Bildern zu sprechen, die sich aus gewalttätigen Auseinandersetzungen speisen. In der heutigen Entscheidung hat das BVerfG indessen die Hürden für das Vorgehen des Staates gegen politische Parteien erhöht. Die NPD, so Karlsruhe, sei nicht zu verbieten. Dieser Bericht von der Verkündung soll den Anlass für einige kritische Reflexionen zum Parteiverbot bieten.
Die Verlesung der Entscheidungsgründe
Groß war der Tumult in dem lichtdurchfluteten Sitz des BVerfG. Die Verfahrensbeteiligten füllten mit ihren Kohorten nahezu den gesamten Gerichtssaal, in dem sich unzählige Medienvertreter drängten und Fotos von posierenden Innenministern schossen. Die Ankündigung des Senats dagegen wirkte als Zäsur. Die Autorität des Gerichts, die sich gerade nicht aus der Architektur des Gebäudes speist, war deutlich spürbar. Regunglos wurden die Worte vom Senatsvorsitzenden Voßkuhle erwartet, der in deutlichen Worten die Verfassungsfeindlichkeit der NPD benennt, den Antrag des Bundesrats aber wegen deren mangelnden Gefährlichkeit abweist.
Damit wendet sich der Zweite Senat in einem zentralen Punkt von seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des Parteiverbots nach Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG, die immerhin über 60 Jahre zurückliegt, ab. Das Grundgesetz fordert im Wesentlichen „ein darauf Ausgehen“, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Noch im KPD-Urteil steht, es sei nicht erforderlich, dass die Partei „ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können“.
In Anpassung an die heutige Dogmatik sei dies nicht aufrechtzuerhalten, so Voßkuhle. Neben einer verfassungsfeindlichen Gesinnung und eines darauf gerichteten, planvollen Handelns im Sinne qualifizierter Vorbereitungshandlungen erfordere ein Parteiverbot zwar keine konkrete Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung, wohl aber konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die die Verwirklichung der Ziele der Partei zumindest möglich erscheinen lassen. Das BVerfG hat sich somit entschieden, in das Tatbestandsmerkmal des „darauf Ausgehens“ eine Gefahrenschwelle zu lesen. Als Grund hierfür wurde eher knapp die demokratiebeschneidende Wirkung des Parteiverbots genannt, die Konformität mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde lediglich festgestellt.
Den Schwerpunkt der Entscheidungsbegründung legte das BVerfG auf die verfassungsfeindliche Einstellung der NPD, die sich unmittelbar aus deren Parteiprogramm ergebe. Die ausdrücklich propagierte, ethnische Begrenzung des Volksbegriffes sei mit der Menschenwürde und dem Kern des Demokratieprinzips nicht vereinbar, die Partei weise eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus auf. Dass sie nach Auffassung des Gerichts auf eine Verwirklichung dessen strebe, hätte nach KPD-Maßstäben noch für ein Verbot genügt. Allerdings seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die NPD ihre Inhalte auch tatsächlich verwirklichen könne.
Der Versuch einer Deutung
Das heutige Urteil wird seinen Platz finden unter den Leitentscheidungen des BVerfG zum Recht der Politik. Die kommenden Wochen werden die der Deutung sein. Dazu ein erster Versuch: Auch wenn das BVerfG in Bezug auf die Programmatik der NPD deutliche Worte gefunden hat, hat es die notwendigen Schlüsse aus dem Demokratieprinzip gezogen und die Anforderungen an ein Parteiverbot verschärft. Damit limitiert es – zumindest theoretisch – die Möglichkeit der NPD, tatsächlich politische Gestaltungskraft zu erlangen, denn mit dem Erreichen der Gefahrenschwelle steht einem Verbot nichts mehr im Wege. Ob aber das Urteil von den rechten Ideologen als Warnung, das Parteiverbot als Bedrohung verstanden wird, kann angesichts ihrer Reaktionen bezweifelt werden.
Dies macht eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der wehrhaften Demokratie notwendig. Denn das heutige Urteil kann als Verantwortungszuweisung für die Auseinandersetzung mit parteipolitischem Extremismus verstanden werden. Das Parteiverbot stellt in der jetzigen Situation keine wirksame Waffe des Staates im Kampf gegen rechtsextreme Parteien dar. Damit rückt der freie gesellschaftliche Diskurs in den Vordergrund, für den der Staat, auch das betont das BVerfG, die Rahmenbedingungen zu schaffen hat.
Der Tag danach, oder: von unerwünschten Parteien
Die NPD bleibt Faktor in der deutschen Politik. Mit welchem Erfolg, ist hier nicht zu diskutieren. Es bleibt zu betonen, dass der Status der NPD als politische Partei fortlebt. Zu den ehernen Prinzipen des Parteienrechts gehört der Grundsatz parteipolitischer Neutralität. Dem Staat ist es verwehrt, Maßnahmen an die inhaltliche Ausrichtung von Parteien zu knüpfen, auch nicht an die vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit. Dieses parteienrechtliche Anküpfungsverbot leidet bislang – zumindest gegenüber der NPD – jedoch unter einem Vollzugsdefizit. Es existiert eine kaum zu überblickende Anzahl von Gerichtsentscheidungen, die sich mit der rechtswidrigen Verweigerung von Stadthallen, Bankkonten und Versammlungsverboten gegenüber der NPD beschäftigen.
In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsrechtler Michael Kloepfer die Kategorie der unerwünschten Partei vorgeschlagen, die zwar nicht verboten sei, sich aber durch eine verfassungsfeindliche bzw. -ablehnende Haltung auszeichne. Es sei denkbar, dass der Staat an diese Haltung negative Konsequenzen außerhalb des Parteiverbots knüpfen könne, und auch das BVerfG sinniert über die Möglichkeit des verfassungsändernden Gesetzgebers, Maßnahmen z.B. in der Parteienfinanzierung zu ergreifen. Diese Ansätze erscheinen indes äußerst bedenklich. Von wem sollen Parteien, vor allem die NPD, schon erwünscht sein? Der Staat jedenfalls hat sich keine Parteien zu wünschen, im Gegenteil: die Parteienfreiheit gebietet, dass er sich aus deren Angelegenheiten heraushält. Auch auf gesellschaftlicher Ebene kann von Wünschen keine Rede sein. Die Parteigründung ist frei, die Bürger sind frei, sich parteipolitisch zu betätigen, es anderen zu versagen, ist rechtswidrig.
Was bleibt? Das BVerfG hat entschieden, dass die NPD trotz ihrer menschenverachtenden Ideologie eine der Demokratie zumutbare Partei ist. Nun müssen sich die Beteiligten positionieren. In der Verantwortung steht meines Erachtens die Gesellschaft. Dies erfordert ein gewisse Gelassenheit gegenüber fundamental Andersdenkenden, aber auch ein gehöriges Maß an Verantwortungsgefühl und Anstrengung. Eben eine Einstellung, die der Demokratie angemessen ist.