Nach den Terroranschlägen von Paris am 13.11.2015 will Frankreich gegen den „Islamischen Staat“ (IS) in den Kampf ziehen, und zwar nicht alleine: Präsident François Hollande hat die übrigen EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, sich im Kampf gegen den IS zu vereinen. Die Bundesregierung hat beschlossen dieser Aufforderung zu folgen; Deutschland wird an der Seite Frankreichs, wenn schon nicht aktiv kämpfen, so doch unterstützen und helfen. Geplant ist, vier bis sechs Tornado-Jets zu Aufklärungszwecken einzusetzen, französische Jets mit einem Airbus A310 aus der Luft zu betanken, einen französischen Flugzeugträger durch eine Fregatte der Marine zu sichern, Stabspersonal zu entsenden sowie Satellitenüberwachung. Bis zu 1200 Soldaten der Bundeswehr sollen an dem Einsatz teilnehmen – es wäre die aktuell größte Auslandsmission.
Rechtlich stützt die Bundesregierung die Mission im Kern auf drei Gründe: die UN-Sicherheitsratsresolution Nr. 2249 vom 20.11.2015, das Selbstverteidigungsrecht Frankreichs aus Art. 51 UNCh sowie die Beistandspflicht unter EU-Mitgliedern aus Art. 42 Abs. 7 EUV. Doch dieser anscheinend dreifach fundierte Weg in den Kampf gegen den Terror erweist sich als ein Pflaster aus rechtlichen Stolpersteinen. Völker-, europa- und verfassungsrechtlich ist die Rechtmäßigkeit des Vorgehens zweifelhaft.
UN-Resolution und Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UNCh – doppelt hält besser?
Auf völkerrechtlicher Ebene sichert die Bundesregierung das Engagement Deutschlands gleich doppelt ab. Sie führt Resolution Nr. 2249 des UN-Sicherheitsrates und das Selbstverteidigungsrecht Frankreichs aus Art. 51 UNCh ins Feld. Beide Male handelt es sich um anerkannte Ausnahmen vom völkerrechtlichen Gewaltverbot (Art. 2 Abs. 4 UNCh).
Der Rückgriff auf beide Fälle ist der Bundesregierung aber schon einmal verwehrt. Art. 51 UNCh gestattet Selbstverteidigung nur, „bis der Sicherheitsrat die […] erforderlichen Maßnahmen“ getroffen hat. Entweder eine UN-Resolution oder das Selbstverteidigungsrecht können also militärische Gewalt gegen den IS rechtfertigen. Wie die Bundesregierung auf beide Elemente abzustellen, ist politische Augenwischerei. Es suggeriert rechtliche Fundiertheit des geplanten Bundeswehreinsatzes, was jedoch in keiner Weise juristischer Realität entspricht.
Sind die angeführten Rechtfertigungstatbestände nun auch erfüllt?
Um militärische Gewalt zu legitimieren, müsste die UN-Sicherheitsratsresolution die „erforderlichen Maßnahmen“ festsetzen, die die UN-Mitgliedstaaten durchführen sollen, um den Weltfrieden zu wahren (Art. 39, 42 UNCh). Betrachtet man den Wortlaut der Erklärung, so werden die UN-Mitglieder zwar dazu „aufgefordert“, die „notwendigen Maßnahmen“ im Kampf gegen den IS zu ergreifen. Eine „nachdrückliche Aufforderung“ ergeht gar dahingehend, fortschreitende Machtakkumulation durch den IS zu unterbinden; der UN-Staatengemeinschaft wird „eindringlich nahe gelegt“, den Kampf gegen den IS fortzuführen. Konkrete „erforderliche Maßnahmen“ im Sinne von Kapitel VII der UN-Charta sucht man vergeblich. Genau diese sind aber notwendig, damit die UN-Sicherheitsratsresolution Nr. 2249 als Ausnahmetatbestand greift. In ihrer jetzigen Form leistet sie das nicht.
Das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UNCh bei Gewalthandlungen durch nicht-staatliche Akteure wie den IS anzuwenden, ist nach neuerer völkerrechtlicher Praxis an sich zulässig. Die Terrorakte von Paris müssten dann aber von Art und Ausmaß her auch einem von staatlicher Seite ausgeführten Gewaltakt entsprechen – also einem „bewaffneten Angriff“, wie Art. 51 UNCh ihn fordert. Führt man sich den Präzedenzfall nicht-staatlichen Terrors in Angriffsqualität vor Augen, die Terroranschläge vom 11.9.2001, reichen die Attacken des IS in Paris an diese Schwelle nicht heran. Ohne Frage handelt es sich bei ihnen um Gewalt in ihrer menschenverachtendsten Form – die Taten erinnern aber in ihrer Art eher an Guerilla-Aktionen und nicht wie bei den Anschlägen in den USA 2001 an eine staatliche Militäroperation. Auch Art. 51 UNCh greift als Rechtfertigungsgrund letztlich nicht.
Die völkerrechtliche Argumentation der Bundesregierung stellt sich im Ergebnis als Fall durch doppelten Boden dar.
Der Terror von Paris als Auslöser des EU-Bündnisfalls?
EU-rechtlich gebietet aus Sicht der Bundesregierung der EU-Bündnisfall gemäß Art. 42 Abs. 7 EUV ein Einschreiten, den Frankreich zum ersten Mal geltend macht.
Ob Art. 42 Abs. 7 EUV überhaupt eine echte Rechtspflicht zum Beistand begründet, ist die eine Frage. Ob es darüber hinaus aber auch die „richtige“ Beistandsklausel ist, auf die Frankreich hier zurückgreift, ist die andere. Denn die Solidaritätsklausel der EU-Mitgliedstaaten, nachdem ein Mitglied durch einen Terrorakt getroffen wurde, der von einem nicht-staatlichen Akteur ausgeht, stellt an sich Art. 222 AEUV dar. Welche der Normen man heranzieht, richtet sich danach, ob der Terrorangriff die Schwelle zum „bewaffneten Angriff“ überschreitet. Dieser ist auch für Art. 42 Abs. 7 EUV zentrale Voraussetzung – und auch hier stellen die Anschläge von Paris keinen Gewaltakt von vergleichbarer Schwere dar. Selbst wenn man dem Begriff des „bewaffneten Angriff“ im Sinne von Art. 42 Abs. 7 EUV einen anderen, weiteren Bedeutungsgehalt zumisst als im Sinne von Art. 51 UNCh, fordert Art. 42 Abs. 7 EUV im Ergebnis eine parallele Beurteilung im Einklang mit Art. 51 UNCh. Der Tatbestand des EU-Bündnisfalles nach Art. 42 Abs. 7 EUV liegt somit nicht vor.
Doch auch wenn man Art. 42 Abs. 7 EUV als gangbaren Weg erachtet, ist es nicht möglich, konkrete Militäraktionen im Rahmen eines solchen EU-Bündnisses zu realisieren. Die Norm selbst enthält im Gegensatz zu Art. 222 AEUV kein entsprechendes Organisationsrecht. Dieses könnte man zwar notfalls anwenden. Allerdings hebt Art. 42 Abs. 7 UAbs. 2 EUV für Staaten, die zugleich Mitglied der EU und der NATO sind, explizit hervor, dass das Gefüge der NATO „weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung“ darstellt. Bei Annahme des EU-Bündnisfalls bleibt daher unklar, wie hier Taten folgen sollen.
Die EU und die „Koalition der Willigen“ als Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit?
Um schließlich den grundgesetzlichen Anforderungen zu entsprechen, müsste der Einsatz der Bundeswehr nach Art. 24 Abs. 2 GG im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit stattfinden. Die Bundesregierung scheint keinen Zweifel zu hegen, dass dies in Bezug auf die EU zutrifft. Ob sich die EU aber bereits als derartiges System darstellt, ist alles andere als klar. Dass sie eines Tages zu einem solchen System werden kann, schließt auch das BVerfG in seinem Lissabon-Urteil nicht aus. Noch fehlen aber eine eindeutige Solidarisierungspflicht sowie ausreichende institutionelle Strukturen im Verteidigungsbereich, was dafür spricht, dass die EU diesen Weg noch gehen muss.
Der Einsatz gegen den IS müsste sich daher im Rahmen eines anderen Bündnisses realisieren, um verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen. Die Bundesregierung erwähnt ebenfalls die ad hoc– „Koalition der Willigen“, die sich 2014 für die Bekämpfung des IS im Irak unter Führung der USA zusammengefunden hat. Auch dieser Staatenzusammenschluss erfüllt aber unter anderem mangels eines hinreichend festen institutionellen Gefüges nicht die Kriterien eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Dass die Bundeswehr dieses Bündnis seit Februar 2015 trotzdem unterstützt, indem sie sich mit bis zu 100 Soldaten an einer Ausbildungsmission im Nordirak beteiligt, ist ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz. Nur bei einem UN- oder NATO-Einsatz gegen den IS wirkt die Bundeswehr rechtlich sicher im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit mit – beide hat das BVerfG als solche anerkannt.
Der erste EU-Bündnisfall – ein Fall für Karlsruhe
In jedem Fall muss der Deutsche Bundestag dem geplanten Auslandseinsatz der Bundeswehr gegen den IS nun zeitnah zustimmen. Dass dies gerade auch in Bezug auf einen eventuellen EU-Bündnisfall unabdingbare Voraussetzung bleibt, stellte das BVerfG im Lissabon-Urteil explizit und unmissverständlich klar. Dass der Bundestag zustimmt, gilt politisch als sicher. Das rechtliche Fundament des Einsatzbeschlusses trägt aber, wie dargelegt, in keiner Hinsicht. Es wäre letztlich ein rechtswidriges Mandat. Der Parlamentsbeschluss würde also nicht nur der Bundeswehr den Weg in den Kampf gegen den IS ebnen, sondern auch der Opposition den Weg nach Karlsruhe.