26. August 2011

Maximilian Steinbeis

Di Fabio ist befangen? Na klar. Na und.

Auf Welt.de ist es die Spitzenmeldung zurzeit: Udo Di Fabio, der Berichterstatter im Zweiten Senat im Fall Griechenland/Euro-Rettungsschirm, soll während des laufenden Verfahrens  öffentlich herumposaunt haben, welche Positionen er zum Thema Staatsverschuldung vertritt. Von elf Vorträgen und zwei Interviews ist die Rede, in denen der Staatsrechtsprofessor zu Fragen geäußert habe, die mit dem Fall in Zusammenhang stehen. Der Mann sei befangen, behauptet der Wirtschaftsjurist Markus J. Kerber und hat beantragt, Di Fabio von der Teilnahme an dem am 7. September zu verkündenden Urteil auszuschließen.

Di Fabio! Vorträge gehalten! I am shocked!

Mal im Ernst jetzt: Befangen ist man dann, wenn man an als Richter an einen Fall mit einer vorgefassten Meinung herangeht. Wenn man nicht mehr offen ist für die spezielle Situation, in der sich die ganz individuellen Kläger und Beklagten befinden, deren Streit der Richter entscheiden soll. Sondern glaubt, man wisse auch so Bescheid, weil man eine abstrakte Idee im Kopf hat, der man zur Wirkung verhelfen will, anstatt den Prozessparteien ihr Recht zu geben.

Diesen Maßstab würde ich an jedes Gericht anlegen. Außer an das Bundesverfassungsgericht. Da ist dieser Maßstab nicht Ausschlusskriterium, sondern eigentlich eher Jobbeschreibung.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet nie allein und ausschließlich inter partes. Es ist ein Verfassungsgericht, das heißt, es ist an der Schnittstelle zwischen Recht und Politik angesiedelt. Es ist, anders als jedes andere Gericht, nicht nur dazu da, individuellen Klägern und Beklagten Gerechtigkeit zu verschaffen, sondern es hat auch und natürlich seine politische Rolle als Verfassungsorgan auszufüllen.

Wie sonst wäre es zu rechtfertigen, dass ein Kläger unter hohen finanziellen und persönlichen Kosten ein verfassungswidriges Gesetz nach Karlsruhe bringt und dort Recht bekommt – und trotzdem, weil Karlsruhe dem Gesetzgeber eine Änderungsfrist gewährt, überhaupt nichts davon hat? Was wäre sonst davon zu halten, dass so viele Marksteine in der Geschichte der BVerfG-Rechtsprechung, von Elfes bis zur Spiegelaffäre, tatsächlich zu Lasten des Klägers ausgingen? Wie sonst wäre zu erklären, dass Entscheidungen aus Karlsruhe Gesetzeskraft erlangen können? Es geht eben nicht allein darum, dem speziellen Kläger zu seinem Recht zu verhelfen – sondern auch dem ganzen Land zu seiner Rechtsstaatlichkeit.

Justizia ist blind, Minerva nicht

Zurück zum Fall: Wem schadet es, wenn Di Fabio durch das Halten von Vorträgen zeigt, dass er in punkto Staatsverschuldung eine vorgefasste Meinung hat? Oder anders gefragt: Wie individuell ist denn der Fall, über den das BVerfG am 7. September zu entscheiden hat, überhaupt? Wird hier tatsächlich die persönliche Tragödie des armen Peter Gauweiler verhandelt, der Di Fabio vor lauter Befangenheit nicht mehr gerecht werden kann?

Das ist doch eine Farce. Hier liegt von Anfang an und in voller Absicht der Klägerseite eine abstrakte Rechtsfrage zur Entscheidung auf dem Karlsruher Richtertisch. Die Gehirnakrobatik, die sie uns abverlangen, um überhaupt die Zulässigkeitshürde zu überwinden, zeigt doch schon: Hier haben ein paar Professoren die Verfahrensform der Verfassungsbeschwerde gehijackt, um ein paar anderen Professoren eine Entscheidung über ein paar politisch und wissenschaftlich umstrittene Fragen abzunötigen.

Wir haben, und darin unterscheidet sich ein Verfassungsgericht von einem Supreme Court, eine Menge Professoren in den Senaten sitzen, und das finden wir doch eigentlich alle ganz gut so. Professoren denken aber sowieso und von vornherein in wissenschaftlichen Kategorien – vorgefasste Meinungen, wenn man so will. Wenn Professor Di Fabio seine vorgefasste Meinung öffentlich herumerzählt, dann macht ihn das vielleicht unbeliebt im Kreis seiner Senatskollegen. Aber nicht befangen.

Natürlich besteht die Gefahr, dass Richter, die über den individuell zu entscheidenden Fall hinausentscheiden, sich politisch verselbständigen. Dass sie sich als Richter- und Philosophenkönige gerieren, die der Politik kraft höherer Einsicht ihren Weg weisen anstatt die Richtungswahl dem demokratischen Meinungskampf zu überlassen. Wir erinnern uns alle noch sehr gut an Paul Kirchhofs kaum zu zügelnden Gestaltungsdrang.

Aber das ist ein Problem unserer Konstruktion. So ist das nun mal, wenn man eine Verfassungsgerichtsbarkeit wie das unsere hat. Was uns, neben der Honorigkeit der einzelnen Richterpersönlichkeiten, davor schützt, ist höchstens, dass sie nicht von sich aus tätig werden können. Sondern nur, wenn jemand (zulässigerweise) klagt.

Da wir gerade von Zulässigkeit sprechen: Ich bin sehr gespannt, wie der Senat begründen will, dass Herr Gauweiler individuell in einem seiner Grundrechte verletzt ist durch den Griechenland-Bailout. Da wäre mir viel eher bange an der Stelle.

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