8. Oktober 2012

Maximilian Steinbeis

Die EU als Empire

Was ist das eigentlich für ein Besuch, den die Kanzlerin den Griechen da heute abzustatten gedenkt? Ist das ein Staatsbesuch, eine diplomatische Geste wechselseitigen Respekts zwischen zwei Mächten, die bestimmte politische und wirtschaftliche Interessen teilen? Ist das die Visite des freundlichen Hegemons, der die Provinzen bereist und dort sein „blutendes Herz“ zur Schau stellt? Oder ist das die zeitgenössische Variante eines Truppenbesuchs während der Niederschlagung eines Eingeborenenaufstands?

Vorletzte Woche war ich in Tübingen und habe mir beim Kongress der DVPW einen Eindruck darüber verschafft, wie die Politologen mit der Eurokrise und ihren Folgen für die Demokratie in Deutschland und Europa konzeptionell fertig werden. Ein Vortrag, den ich spannend fand, war von Dieter Kerwer von der Uni Antwerpen. Kerwer ging der These nach, die EU ähnle seit der Eurokrise weniger einer internationalen Organisation als einem imperialen Gebilde, das nicht die Gleichrangigkeit der Mitgliedsstaaten, sondern die Differenz zwischen Gläubigerstaaten-Zentrum und Schuldnerstaaten-Peripherie kennzeichnet, und  in dem das Zentrum über die Peripherie Herrschaft ausübt, um seine ökonomischen und machtpolitischen Interessen durchzusetzen.

Ein markanter Unterschied zwischen Angela Merkel und Queen Victoria ist natürlich schon mal, dass letztere Soldaten schickte, während erstere ganz ohne Fregatten und Kanonen auskommt. Ihr genügt, wenn man so will, der Daumen auf der finanziellen Luftröhre der Peripherieländer, um sie von der Gleichläufigkeit der beiderseitigen Interessen zu überzeugen.

Wie attraktiv auch immer man solche historisch grundierte Kategorisierungen findet – über eins müsste man doch einig werden können: So verfasst kann Europa nicht bleiben. Die Aufgabe, die Zahlungsbilanz-Ungleichgewichte im Euro-Raum auszugleichen, können wir nicht länger dem freien Spiel der intergouvernementalen Kräfte überlassen. Wenn wir an dem Anspruch festhalten wollen, dass sich Herrschaft gegenüber den Herrschaftsunterworfenen demokratisch legitimieren muss, dann kann das nicht dauerhaft so weitergehen.

Wir haben durch die Zahlungsbilanzkrise in der Eurozone ein Demokratieproblem von ganz anderer Art und Güte als das, was wir bisher kannten. Da hilft es überhaupt nichts, nur die nationalen Legitimationsketten straffer zu spannen, im Gegenteil. Der Bundestag kann nicht Verantwortung für griechische und spanische Austerity-Maßnahmen übernehmen, genauso wenig wie das Westminster-Parlament für die Stamp Tax in Massachusetts und Virginia.

Dass Kollege Reinhard Müller kugelrunde Augen macht und behauptet, beim besten Willen kein Verfassungsproblem erkennen zu können, das sich nicht durch ein bisschen „organische Weiterentwicklung“ lösen ließe, zeigt mE nur, dass Staatsrechtler gelegentlich ganz gut daran tun, Politologenkongresse zu besuchen; da lernt man manchmal was.

An Vorschlägen, was zu tun ist, herrscht kein Mangel. Der jüngste kommt von Bruce Ackerman und Miguel Maduro, die letzte Woche im Guardian forderten, die EU nach südafrikanischem Muster in mehreren Schritten zu konstitutionalisieren: Zuerst wird ein grundlegendes Dokument ausgearbeitet, das die Prinzipien, nach denen die künftige Union funktioniert, in klarer und zugänglicher Sprache beschreibt und von den Mitgliedsländern, in der Regel per Referendum und nach ausgiebiger Debatte, ratifiziert wird. Dann wird der eigentliche Verfassungsvertrag ausgearbeitet. Und anschließend prüft der EuGH, ob dieser Vertrag den Vorgaben des Grundlagendokuments auch in allen Details entspricht.

Klingt toll. Aber einstweilen wäre ich auch mit weniger anspruchsvollen, dafür aber mit höherer Umsetzungswahrscheinlichkeit behafteten Lösungen zufrieden. Mattias Kumm und Guy Carcassonne haben auf diesem Blog dazu Vorschläge gemacht, die darauf hinauslaufen, die Wahl zum Europäischen Parlament als Legitimationskanal nutzbar zu machen.

Wer weiß, vielleicht sagt die Kanzlerin heute in Athen was dazu? Man wird ja noch hoffen dürfen.

Foto: David Woo, Flickr Creative Commons

Was ist das eigentlich für ein Besuch, den die Kanzlerin den Griechen da heute abzustatten gedenkt? Ist das ein Staatsbesuch, eine diplomatische Geste wechselseitigen Respekts zwischen zwei Mächten, die bestimmte politische und wirtschaftliche Interessen teilen? Ist das die Visite des freundlichen Hegemons, der die Provinzen bereist und dort sein „blutendes Herz“ zur Schau stellt? Oder ist das die zeitgenössische Variante eines Truppenbesuchs während der Niederschlagung eines Eingeborenenaufstands?

Vorletzte Woche war ich in Tübingen und habe mir beim Kongress der DVPW einen Eindruck darüber verschafft, wie die Politologen mit der Eurokrise und ihren Folgen für die Demokratie in Deutschland und Europa konzeptionell fertig werden. Ein Vortrag, den ich spannend fand, war von Dieter Kerwer von der Uni Antwerpen. Kerwer ging der These nach, die EU ähnle seit der Eurokrise weniger einer internationalen Organisation als einem imperialen Gebilde, das nicht die Gleichrangigkeit der Mitgliedsstaaten, sondern die Differenz zwischen Gläubigerstaaten-Zentrum und Schuldnerstaaten-Peripherie kennzeichnet, und  in dem das Zentrum über die Peripherie Herrschaft ausübt, um seine ökonomischen und machtpolitischen Interessen durchzusetzen.

Ein markanter Unterschied zwischen Angela Merkel und Queen Victoria ist natürlich schon mal, dass letztere Soldaten schickte, während erstere ganz ohne Fregatten und Kanonen auskommt. Ihr genügt, wenn man so will, der Daumen auf der finanziellen Luftröhre der Peripherieländer, um sie von der Gleichläufigkeit der beiderseitigen Interessen zu überzeugen.

Wie attraktiv auch immer man solche historisch grundierte Kategorisierungen findet – über eins müsste man doch einig werden können: So verfasst kann Europa nicht bleiben. Die Aufgabe, die Zahlungsbilanz-Ungleichgewichte im Euro-Raum auszugleichen, können wir nicht länger dem freien Spiel der intergouvernementalen Kräfte überlassen. Wenn wir an dem Anspruch festhalten wollen, dass sich Herrschaft gegenüber den Herrschaftsunterworfenen demokratisch legitimieren muss, dann kann das nicht dauerhaft so weitergehen.

Wir haben durch die Zahlungsbilanzkrise in der Eurozone ein Demokratieproblem von ganz anderer Art und Güte als das, was wir bisher kannten. Da hilft es überhaupt nichts, nur die nationalen Legitimationsketten straffer zu spannen, im Gegenteil. Der Bundestag kann nicht Verantwortung für griechische und spanische Austerity-Maßnahmen übernehmen, genauso wenig wie das Westminster-Parlament für die Stamp Tax in Massachusetts und Virginia.

Dass Kollege Reinhard Müller kugelrunde Augen macht und behauptet, beim besten Willen kein Verfassungsproblem erkennen zu können, das sich nicht durch ein bisschen „organische Weiterentwicklung“ lösen ließe, zeigt mE nur, dass Staatsrechtler gelegentlich ganz gut daran tun, Politologenkongresse zu besuchen; da lernt man manchmal was.

An Vorschlägen, was zu tun ist, herrscht kein Mangel. Der jüngste kommt von Bruce Ackerman und Miguel Maduro, die letzte Woche im Guardian forderten, die EU nach südafrikanischem Muster in mehreren Schritten zu konstitutionalisieren: Zuerst wird ein grundlegendes Dokument ausgearbeitet, das die Prinzipien, nach denen die künftige Union funktioniert, in klarer und zugänglicher Sprache beschreibt und von den Mitgliedsländern, in der Regel per Referendum und nach ausgiebiger Debatte, ratifiziert wird. Dann wird der eigentliche Verfassungsvertrag ausgearbeitet. Und anschließend prüft der EuGH, ob dieser Vertrag den Vorgaben des Grundlagendokuments auch in allen Details entspricht.

Klingt toll. Aber einstweilen wäre ich auch mit weniger anspruchsvollen, dafür aber mit höherer Umsetzungswahrscheinlichkeit behafteten Lösungen zufrieden. Mattias Kumm und Guy Carcassonne haben auf diesem Blog dazu Vorschläge gemacht, die darauf hinauslaufen, die Wahl zum Europäischen Parlament als Legitimationskanal nutzbar zu machen.

Wer weiß, vielleicht sagt die Kanzlerin heute in Athen was dazu? Man wird ja noch hoffen dürfen.

Foto: David Woo, Flickr Creative Commons

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