18. Dezember 2023

Kai Ambos

Die Implementation der IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus ins deutsche Recht – eine rechtliche Beurteilung

Diese Stellungnahme wurde am 5. Dezember 2023 an die Fraktionsvorsitzenden, an die Mitglieder der Ausschüsse Inneres und Recht sowie an die Ausschussbüros der anderen beteiligten Ausschüsse des Bundestags versandt. Nachdem in der Presse über diese Stellungnahme berichtet wurde, haben wir uns entschieden, sie zu veröffentlichen.

Die Nationale Strategie der Bundesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS) und ein Entschließungsantrag der Ampelkoalition im Bundestag sehen eine weitreichende rechtliche Implementation der sogenannten IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus als Regulierungsinstrument vor; Landtagsfraktionen planen offenbar ähnliches. Aus juristischer Sicht ist eine Implementierung der IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument aus folgenden Gründen problematisch, die unten ausgeführt werden:

  1. Die IHRA-Arbeitsdefinition ist ausdrücklich als nicht rechtsverbindlicher Text  von der IHRA verabschiedet worden und auch nicht wie ein solcher formuliert. Sie dient dem Monitoring. Sie zum faktisch bindenden Text zu machen, geht gegen ihre Rechtsnatur. Sie ist viel zu unpräzise, um Rechtssicherheit zu erzeugen oder Behördenpraxis zu etablieren. Zudem ist der Status der elf Anwendungsbeispiele, die nicht zur Definition gehören, aber oft mit hinzugezogen werden, völlig unklar.
  2. Die Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument würde teilweise weitreichende verfassungsrechtliche Verwerfungen erzeugen, die nicht überblickt werden können. Insbesondere ist eine darauf gestützte Behördenpraxis ganz unvorhersehbar. Erfahrungen aus Kontexten, in denen die IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument diente, zeigen, dass sie für erhebliche Einschränkungen von Grundrechten genutzt wird – sehr häufig auch gegen Juden, die die Politik der jeweiligen Regierung Israels kritisieren.
  3. Eine Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition würde Verstöße gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention, nach sich ziehen oder zumindest wahrscheinlich machen. Das betrifft insbesondere das Recht der freien Meinungsäußerung und seine Anwendungen etwa im Versammlungsrecht und im politischen Strafrecht. Es betrifft auch die Kunstfreiheit, für die die IHRA-Arbeitsdefinition nicht passt, sowie die Freiheit von Forschung und Lehre.
  4. Die IHRA-Arbeitsdefinition zur prinzipiellen Grundlage von Förderungsrichtlinien zu machen, ist rechtlich problematisch. Offensichtlich ist das für die Forschungsförderung. Denn die Definition des Antisemitismus ist selbst Gegenstand der Wissenschaft; ihr kann eine bestimmte Definition nicht vorgeschrieben werden. Aber auch bei der Kunstfreiheit fragt sich, ab wann die Kunst nicht mehr „frei“ ist (wie das Grundgesetz fordert), weil eine zu extensive Nutzung der IHRA-Arbeitsdefinition und eine Selbstzensur auch dort eingreifen, wo es die Bekämpfung von Antisemitismus nicht mehr erfordert. Schließlich kann die Meinungsfreiheit betroffen sein, wenn früher in anderem Kontext gemachte Aussagen in die Beurteilung der Förderwürdigkeit mit einbezogen werden.
  5. Die IHRA-Definition ist für eine antidiskriminierungsrechtliche Bekämpfung von Antisemitismus nicht erforderlich; sie ist teilweise hinderlich für die wirksame Bekämpfung der Diskriminierung von Jüd:innen. Das Antidiskriminierungsrecht kennt keine vergleichbare staatliche Definition von Rassismus, Sexismus oder Homo- und Transphobie.
  6. Im Aufenthalts- und Asylrecht würde die Implementierung der IHRA-Definition erhebliche Probleme schaffen und kann zu Konflikten mit der Genfer Flüchtlingskonvention führen, die enge Voraussetzungen stellt.

Diese kurze vorläufige Handreichung beschränkt sich auf diese juristischen Fragen; eine inhaltliche Bewertung der IHRA-Arbeitsdefinition nimmt sie nicht vor. Die notwendige ausführliche juristische Beurteilung einer Implementation scheint in Deutschland noch nicht vorgenommen worden zu sein. Anders ist das in der Schweiz, wo zwei Wissenschaftlerinnen im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Eidgenössischen Departements des Innern 2020 eine ausführliche Juristische Analyse der von der IHRA angenommenen Arbeitsdefinition von Antisemitismus erstellt und mehrere Problempunkte identifiziert haben.

1.   Die IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument

Der Kampf gegen Antisemitismus ist wichtig. Die IHRA-Arbeitsdefinition, zu der sich der Bundestag 2019 in einer Resolution bekannt hat und die auch zentral für die NASAS ist, ist eines von mehreren Hilfsmitteln für das Monitoring von Antisemitismus. Nun soll sie nicht nur als Erkenntnis-, sondern auch als Regulierungsinstrument herangezogen werden. Dafür ist sie ungeeignet.

Was Antisemitismus ist, ist eine umstrittene Frage; die IHRA-Arbeitsdefinition liefert nur eine von mehreren diskutierten Antworten. Viele Antisemitismusforschende lehnen sie ab. Es gibt wenigstens zwei wissenschaftlich fundierte und unterstützte Alternativvorschläge: die Jerusalem Declaration on Antisemitism, die von mehr als zweihundert einschlägigen Wissenschaftler*innen aus Israel, den USA, Deutschland und anderen Ländern unterzeichnet wurde, sowie das Nexus Document, das vor allem von US-Wissenschaftler*innen entworfen wurde. Aus solchen Gründen verzichtet etwa die US National Strategy to Counter Antisemitism auf eine Festlegung auf eine bestimmte Definition.

Der Deutsche Bundestag kann sich selbst politisch zu einem bestimmten Verständnis von Antisemitismus bekennen. Er kann damit aber nicht amtlich vorschreiben, was in Wirklichkeit Antisemitismus ist. Wird von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt, ihr Verhalten an dieses Verständnis anzupassen, so wird die IHRA-Arbeitsdefinition zum Regulierungsinstrument. Denn eine vom Staat vorgeschriebene Definition wird selbst zur Vorschrift: Sie beschreibt nicht mehr, was Antisemitismus ist, sondern schreibt vor, was unter Antisemitismus in einschlägigen Tatbeständen zu verstehen ist. Als Vorschrift muss sie grundrechtskonform sein.

Daran ändert nichts, dass die Implementierung in einer formal nicht bindenden Bundestagsresolution gefordert oder vorgenommen wird. Denn der Bundestag ist auch in schlichten Parlamentsbeschlüssen an Recht und Gesetz gebunden. Zudem zeigt die Erfahrung mit der BDS-Resolution 2019, dass auch nichtbindende Resolutionen faktisch von Behörden als Entscheidungsgrundlagen herangezogen werden. Damit besteht zum einen die Gefahr, dass Behörden sich auf die Resolution berufen und   Entscheidungen treffen, die dann vor Gerichten keinen Bestand haben. Darüber hinaus kann eine solche Resolution einen “chilling effect” erzeugen und damit Rechtsunterworfene zur Selbstzensur, eventuell über das für die Antisemitismusbekämpfung angemessene Maß hinaus, bewegen.

Die IHRA-Arbeitsdefinition war indes bewusst nicht als bindendes Regulierungsinstrument gedacht. Sie wurde 2016 von der International Holocaust Remembrance Association ausdrücklich als “non-legally binding”, nicht rechtsverbindlich, angenommen. Ihr nun rechtliche Bindungswirkung beizumessen, liefe ihrem Selbstverständnis und der Einigung der IHRA-Mitgliedstaaten zuwider.

Die Arbeitsdefinition eignet sich auch in ihrer Formulierung nicht als Regulierungsinstrument. Sie ist dafür viel zu unpräzise. Antisemitismus definiert sie als “bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann”. Was diese “bestimmte Wahrnehmung” sein soll, was ihr Bezugspunkt ist, lässt der Text unklar. Zudem ist das bloße “kann” für die Rechtsanwendung untauglich, weil es keine Festlegung zulässt, wann dies zutrifft und wann nicht. Diese vage Formulierung eignet sich womöglich für Monitoring, aber nicht für Regulierung. Sie kann Rechtsunterworfenen wie Rechtsanwendern keine Rechtssicherheit bieten.

Der Umfang der Arbeitsdefinition ist unklar. Die IHRA selbst liefert elf konkrete Anwendungsbeispiele als “Illustration” der Definition. Diese sind nicht Teil der Definition, werden aber trotzdem oft so behandelt. Zudem macht die IHRA mit einer einleitenden Formulierung deutlich, dass nicht jedes Verhalten, das unter ein Beispiel fällt, deswegen schon antisemitisch ist: Die Beispiele “können unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts folgendes Verhalten einschließen, ohne darauf beschränkt zu sein”. In der Debatte werden die Beispiele schon jetzt häufig so verwendet, als sei jeder darunter fallende Tatbestand automatisch antisemitisch. Die Unklarheit wird noch dadurch vergrößert, dass Bundesregierung und Bundestag bei ihrer Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition eines dieser Beispiele mit aufgenommen haben, das Kritik an Israel betrifft, dabei aber den einschränkenden zweiten Satz dieses Beispiels weggelassen und dadurch den Inhalt verändert haben (näher Zechlin, Bl. Dtsch. Int. Polit. 2020, 103).

Der Fokus der Arbeitsdefinition und insbesondere der meisten Anwendungsbeispiele liegt auf der Frage, was sogenannter israelbezogener Antisemitismus ist, und vernachlässigt damit andere weit verbreitete Fälle des Antisemitismus. Für die Monitoringfunktion ist das vertretbar, weil es sich hier um die umstrittensten Fälle handelt. Wird sie aber  als Regulierungsinstrument eingesetzt, so droht damit eine einseitige Behördenpraxis, die wichtige Bereiche der Antisemitismusbeämpfung vernachlässigt und damit jüdisches Leben nicht umfassend wirksam schützt.

Erfahrungen mit der Anwendung der IHRA-Arbeitsdefinition in anderen Zusammenhängen zeigen, dass sie oft sehr extensiv eingesetzt wird, und zwar sehr häufig auch gegen jüdische Gruppen. Ein Bericht des European Legal Support Center vom Juni 2023 listet zahlreiche solcher Fälle auf.

2.   Meinungsfreiheit

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist “schlechthin konstituierend” für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (BVerfGE 7, 198, 208 – Lüth). Sein Schutzbereich ist entsprechend weit. Nur erwiesenermaßen unwahre Tatsachenbehauptungen – wie etwa die Holocaustleugnung – fallen aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit heraus. Daher berührt die IHRA-Definition auch grundrechtlich geschützte Meinungsäußerungen. Welche genau, ist aber angesichts ihrer Unschärfe schwer zu bestimmen. Das wird vor allem dann zu einem verfassungsrechtlichen Problem, wenn diese Definition zum Anknüpfungspunkt der Arbeit von Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden gemacht wird. Denn Grundrechtsbeschränkungen müssen das Bestimmtheitsgebot beachten, um verfassungsmäßig zu sein.

Im Lichte der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit muss zunächst stets geprüft werden, ob die umstrittene Aussage auch in einem Sinn ausgelegt werden kann, der nicht strafbar oder anderweitig unzulässig ist. Solche Auslegungen können nur dann ausgeschieden werden, wenn sie sich nach hinreichender Würdigung im konkreten Fall als unplausibel erweisen. Das bedeutet, dass Verhaltensweisen, die unter Beispiele zur IHRA-Definition fallen und danach “unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts” als antisemitisch gelten “können”, nicht schon an sich als antisemitisch angesehen werden dürfen, sondern es grundrechtlich geboten ist, mögliche weitere Aussagegehalte zu ermitteln. Die rechtliche Einschätzung von Äußerungen muss somit nach Maßgabe der Meinungsfreiheit deutlich vorsichtiger ausfallen als ihre politische Einordnung. Das gilt auch für auslegungsfähige Slogans wie “From the river to the sea”; dessen mögliche Auslegung als bloße Forderung nach Demokratie und Gleichberechtigung muss rechtlich zugrunde gelegt werden, wenn sie nicht im konkreten Fall völlig unplausibel ist. Diese Maßstäbe sind auch bei der Anwendung des Begriffs “antisemitisch” im Gesetz zu beachten (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB; geplant in § 10 StAG durch das StARModG, Drs. 20/9044).

Beschränkungen der Meinungsfreiheit sind nach Art. 5 Abs. 2 GG in Form “allgemeiner Gesetze” möglich. Ausgeschlossen sind damit Beschränkungen, die sich gegen eine bestimmte politische Auffassung richten. Die einzig anerkannten Ausnahmen betreffen die Holocaust-Leugnung (§ 130 Abs. 3 StGB; dort bereits Schutzbereichsausschluss, s.o.) und die öffentliche Billigung von Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus (§ 130 Abs. 4 StGB). Mit dem Erfordernis eines “allgemeinen Gesetzes” wäre es daher nicht vereinbar, bestimmte Äußerungen im Sinne der IHRA-Definition von vornherein unter Strafe zu stellen oder sonst zu verbieten, beispielsweise die Ablehnung des Existenzrechts Israels.

Das Erfordernis der “Allgemeinheit” von Beschränkungen der Meinungsfreiheit gilt auch für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen. Der Stadtrat München hat im Dezember 2017 Organisationen und Personen (Rednerinnen und Redner, Künstlerinnen und Künstler), die sich – wie auch immer – mit den Inhalten, Themen und Zielen der BDS-Kampagne befassen wollen oder sich in der Vergangenheit dazu positiv geäußert haben, generell von der Nutzung städtischer Räume in München ausgeschlossen. Auch die Nutzung solcher Räume zur Diskussion dieses Stadtratsbeschlusses wurde untersagt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 8 C 35.20 – Urteil vom 20. Januar 2022) hat diese Verweigerung städtischer Räume als eine Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit aufgehoben.

In diesem Zusammenhang wird auch das Erfordernis der Abgabe eines Bekenntnisses zu bestimmten politischen Auffassungen als Voraussetzung für die Erteilung einer staatlichen Leistung oder sonstiger Verwaltungsakte jenseits eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung in der Regel im Widerspruch zur negativen Meinungsfreiheit – der Freiheit, eine spezifische Meinung nicht zu äußern – stehen (vgl. Langer, Von der Treue der Bürger zur Verfassung, 2023, S. 225 ff., 274 ff.; Fahrner, Die freiheitliche demokratische Grundordnung, 2023, S. 113 ff.), etwa, wenn im Rahmen einer Einbürgerung ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels verlangt würde.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 124, 300 – Wunsiedel, Rn. 49 m.w.N.) erzwingt das Grundgesetz keine Werteloyalität, auch wenn es auf der Erwartung fußt, dass die Bürger:innen die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen. Daher mag in Deutschland die Einforderung des Bekenntnisses zum Existenzrecht Israels aus historischen Gründen politisch angebracht sein, der souveräne Staat Israel hat im Grundgesetz aber keinen besonderen Verfassungsstatus erhalten.

Beschränkungen zum Schutz anderer Rechtsgüter bleiben möglich, erfordern aber eine Abwägung konkreter Schutzgüter, wobei wiederum der hohe Stellenwert des Grundrechts der Meinungsfreiheit beachtet werden muss. Die Berufung auf eine Staatsräson genügt nicht; dies wäre ein vorkonstitutionelles Argument (vgl. VG Frankfurt, Beschluss v. 20.10.2023, 5 L 3313/23.F: “Die Wahrnehmung von Grundrechten steht nicht unter dem Vorbehalt einer Staatsräson”). Möglich sind dagegen Beschränkungen zum Schutz des öffentlichen Friedens, wenn bestimmte Äußerungen ihrem Inhalt nach erkennbar auf das Hervorrufen rechtsgutsgefährdender Handlungen angelegt sind. Nicht rechtskonform ist es allerdings, etwa unter Bezug auf die IHRA-Definition, einer bestimmten Gruppe von Äußerungen kontextunabhängig ein solches Gefährdungspotential pauschal zuzuschreiben.

Möglich – und im Einzelfall sogar geboten – ist insbesondere die Beschränkung von Meinungsäußerungen, wenn diese die Persönlichkeitsrechte oder Menschenwürde einer anderen Person verletzen. Dies kann gerade bei antisemitischen Äußerungen der Fall sein. Hier können sich auch antidiskriminierungsrechtliche Schutzpflichten aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ergeben. Die Breitenwirkung einer Äußerung kann zudem ihr Gewicht verstärken. Dabei schlägt allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine gruppenbezogene Äußerung nicht in jedem Fall auf die Persönlichkeitsrechte Einzelner durch (BVerfGE 93, 266“Soldaten sind Mörder”). Hier gebietet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zudem eine kontextgeprägte Einzelfallabwägung, die nur in eng begrenzten Fällen entfallen darf: bei Formalbeleidigungen (z.B. Fäkalsprache), bei Schmähkritik (d.h. wenn jeglicher, auch der geringste Sachbezug fehlt) oder bei eindeutigen Verletzungen der Menschenwürde (z.B. beim rassistischen Vergleich eines Menschen mit einem Tier). Ob ein solcher Fall vorliegt, erfordert wiederum eine genaue Einzelfallprüfung. Sollen dagegen die IHRA-Definition und insbesondere die dort genannten Beispiele zum unmittelbaren Anknüpfungspunkt von Beschränkungen gemacht werden, fehlt genau diese Abwägung.

Diese Grundsätze wirken sich auch im Versammlungsrecht aus. So kann etwa eine Versammlung grundsätzlich nicht nur deshalb beschränkt oder gar verboten werden, weil auf ihr unter die IHRA-Definition fallende, aber grundrechtlich geschützte Äußerungen getätigt werden. Vielmehr bedarf es dafür einer eingehenden Abwägung mit den konkret betroffenen Rechtsgütern, insbesondere dem öffentlichen Frieden, den Persönlichkeitsrechten und der Menschenwürde.

Mit Volksverhetzung oder Schmähkritik wird der Freiraum überschritten, den die Grundrechte gewährleisten. Das ist auch im Wege der Abwägung nicht zu rechtfertigen. In anderen Fällen ist jedoch die jeweilige Äußerung im Kontext sehr genau zu prüfen – und pauschale Verbote sind dann auch immer grundrechtlich problematisch.

Bei alledem ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 10 EMRK zu beachten, die ebenfalls eine genaue Abwägung erfordert. So durfte etwa ein russischer Zeitungsherausgeber für die Verbreitung antijüdischer Verschwörungstheorien („zionistisch-faschistische Führerschaft des Judentums“) wegen Anstachelung zum Rassen- und Religionshass strafrechtlich belangt werden (Pavel Ivanov/Russland, Nr. 35222/04, Urteil vom 20.02.2007). Dagegen hat der EGMR in der Rechtssache “Baldassi u.a. gg. Frankreich” (Nr. 15271/16, Urteil vom 11.06.2020), die einen Aufruf zum Boykott israelischer Produkte im Rahmen der BDS-Kampagne betraf, einstimmig ein gesetzliches Verbot jeglicher Boykottaufrufe ohne Prüfung ihres Gehalts, ihrer Gründe und ihrer Umstände für unverhältnismäßig und daher menschenrechtswidrig erklärt. Eine eingehende Prüfung sei gerade angesichts dessen erforderlich, dass die Aufrufe “einen Gegenstand von öffentlichem Interesse, nämlich die Achtung des Völkerrechts durch den israelischen Staat und die Menschenrechtssituation in den besetzten palästinensischen Gebieten [betrafen] und sich in eine zeitgenössische Debatte ein[betteten], die in Frankreich und der gesamten internationalen Gemeinschaft eröffnet worden war.” Der Gerichtshof habe “bei zahlreichen Gelegenheiten betont, dass Art. 10 Abs. 2 EMRK kaum Raum für Beschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich der politischen Rede oder von Fragen von allgemeinem Interesse lässt“ (Rn. 78). Dies bedeutet, dass die Beispiele aus der IHRA-Definition sich überwiegend nicht als Grundlage für strafrechtliche Verbote eignen.

3.   Kunstfreiheit

 Die Kunst ist gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG frei. Der Sinn dieser Garantie „ist es vor allem, die auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beruhenden […] Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeglicher Ingerenz öffentlicher Gewalt freizuhalten. […] Über die ‚Richtigkeit‘ seiner Haltung gegenüber der Wirklichkeit kann nur der Künstler selbst entscheiden. Insofern bedeutet die Kunstfreiheitsgarantie das Verbot, auf Methoden, Inhalte und Tendenzen der künstlerischen Tätigkeit einzuwirken“ (BVerfGE 30, 173, 190 – Mephisto). Ein Grund für diesen schon früh in der Mephisto-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1971 abgesteckten Freiraum liegt in der Uneindeutigkeit künstlerischer Aussagen. Die „Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts“ mache es möglich, „der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt“ (BVerfGE 67, 213, 227 – Anachronistischer Zug).

Schon in diesen Grundgedanken wird deutlich, wie sensibel öffentliche Institutionen bei Versuchen vorgehen müssen, auf künstlerische Tätigkeiten „einzuwirken“. Das gesellschaftliche Funktionssystem „Kunst“ ist zwar in vielfältiger Weise mit Politik, Ökonomie, Moral u.a. verbunden, muss dabei aber seine Autonomie erhalten. Deshalb findet die Kunstfreiheit nicht wie die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 (Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Rundfunkfreiheit) ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2), sondern nur in der Verfassung selbst. Das hat zur Folge, dass alles, was zur Meinungsfreiheit ausgeführt worden ist (kontextabhängige Interpretation, bei mehreren Interpretationsmöglichkeiten Wahl der grundrechtsfreundlichen Auslegung, keine Beschränkungen gegen bestimmte politische Auffassungen und keine Abforderung von Bekenntnissen zu derartigen Auffassungen), „erst recht“ für die Kunstfreiheit gilt (vgl. Papier, VerfBlog, 28.3.2023). In dem so abgesteckten Schutzbereich der Kunstfreiheit können Strafverfolgungsbehörden, Förderinstitutionen oder Förderempfänger nicht auf die IHRA-Arbeitsdefinition als rechtlich verbindliches Regulierungsinstrument verpflichtet werden.

Deutlich wird dies für den Bereich staatlicher Eingriffe in der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Kassel vom 12.04.2023 (Az. 1622 Js 2324/22), kein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Antisemitismusvorwürfen gegenüber der Documenta 15 aufzunehmen. Die Staatsanwaltschaft sah die Grenze der Kunstfreiheit erst bei einem strafrechtlich relevanten Rechtsbruch, der jedoch nicht festgestellt werden konnte. Hätte die Staatsanwaltschaft ihre Vorermittlungen nach der IHRA-Definition aufnehmen müssen, wäre sie in die Nähe einer rechtsstaatswidrigen Gesinnungsüberprüfung geraten. Das ist aus guten Gründen in Deutschland verfassungsrechtlich nicht möglich: „Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen.“ (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018,- 1 BvR 2083/15 –, Rn. 17)

Zwar gibt es keinen Anspruch auf staatliche Kunstförderung, doch wird dadurch der Bereich der staatlichen Kunstförderung nicht zum rechtsfreien Raum. So folgt aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz zunächst, dass sich im Kunstleben betätigende Personen und Richtungen nicht von vornherein und schlechthin von staatlichen Förderungsmaßnahmen ausgeschlossen werden dürfen (Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 146). Dies gilt insbesondere, wenn die Auswahl zu einer Selektion nach diskriminierenden Kriterien führt, die Art. 3 Abs. 3 GG bei allem staatlichen Handeln untersagt (VG Schleswig, 26.02.2021, Az. 9 A 35/19, Rn. 30; Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 190). Nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ist eine Benachteiligung wegen der Rasse und wegen religiöser und politischer Anschauungen untersagt. Nach dem oben zur Meinungsfreiheit Ausgeführten wäre es daher problematisch, die IHRA-Arbeitsdefinition zum Maßstab für Förderentscheidungen zu machen. Das gilt insbesondere, soweit die Beschränkung nicht den Inhalt des jeweiligen Projekts betrifft, sondern generell die politischen Ansichten der zu Fördernden als Auswahlkriterium heranzieht.

Schon jetzt ist zu beobachten, dass Kulturorganisationen proaktiv selbst Künstler und Kuratoren wegen ihrer Ansichten ausladen, weil sie befürchten, für deren Ansichten verantwortlich gemacht zu werden – so in jüngster Zeit bei der Biennale für Fotografie der bangladeschische Kurator Shahidul Alam und im Saarlandmuseum die jüdisch-südafrikanische Künstlerin Candice Breitz. Darin erkennt man einen auch grundrechtlich problematischen chilling effect, eine Tendenz zur vorauseilenden Selbstzensur (vgl. dazu BVerfGE 83, 130 (145f.) – Josefine Mutzenbacher).

Insgesamt stellen sich hier drei Probleme der IHRA-Arbeitsdefinition als Kriterium der Förderungswürdigkeit. Erstens reicht die IHRA-Arbeitsdefinition, insbesondere wenn man die elf Beispiele miteinbezieht, inhaltlich sehr weit; ihre Implementation würde daher Kulturinstitutionen erheblich beschränken. Zweitens bedeutet die inhaltliche Unbestimmtheit der IHRA-Arbeitsdefinition, dass keine Rechtssicherheit für Kulturinstitutionen mehr besteht. Bisherige Förderrichtlinien enthielten so weitreichende Einschränkungen aus guten Gründen nicht. Drittens bedürften derartige Einschränkungen wohl eines formellen Gesetzes und dürften nicht allein auf administrativer Ebene umgesetzt werden (vgl. Wittreck, in: Dreier, GG, Art. 5 Abs. 3 Rn. 73).

4.   Wissenschaftsfreiheit

Die IHRA-Arbeitsdefinition für „Förder- und Vergabeentscheidungen“ zugrunde zu legen sowie „Förderungsempfänger dazu aufzurufen, diese Definition zu übernehmen“ wirft Probleme in Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) auf. Forschenden wird eine staatliche Antwort auf eine wissenschaftlich umstrittene Frage vorgegeben, die zu erforschen gerade Kern ihrer verfassungsrechtlich abgesicherten Forschungsfreiheit ist. Das steht nicht nur der Wertentscheidung des Grundgesetzes entgegen, wonach  Wissenschaft ein grundsätzlich von Fremdbestimmung freier Bereich autonomer Verantwortung sein soll (BVerfGE 127, 87, 115, Rn. 90; 139, 148, 182, Rn. 68). Es widerspricht auch dem vom Bundesverfassungsgericht formulierten Gedanken, dass „eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen freie Wissenschaft Staat und Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“ (BVerfGE 127, 87, 115; 128, 1, 87; 136, 338 Rn. 56).

Gerade in einer durch Drittmitteldruck geprägten Wissenschaftslandschaft kann eine solche Vorgabe erheblichen Einfluss auf Forschungsentscheidungen entfalten. Auch wenn Forschende grundsätzlich keinen subjektiven Anspruch auf staatliche Förderung haben, so ist der Staat nicht völlig frei darin, welche Kriterien er bei seinen Förderentscheidungen anlegt. Als politische Gestaltungsentscheidung kann er zwar Förderschwerpunkte setzen, unterliegt dabei aber – wie auch bei anderen Verteilungsentscheidungen – rechtlichen Bindungen. So dürfte beispielsweise kein Kriterium angelegt werden, das gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstößt. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Hinblick auf die politische Konditionalisierung von Förderentscheidungen im Kontext der Religionsfreiheit entsprechend einen Sachzusammenhang zwischen Förderzweck und Konditionalisierung gefordert und dafür hohe Rechtfertigungshürden aufgestellt, da die „Versagung der begehrten Förderung im Falle der Nichtabgabe“ entsprechender Konformitätserklärungen ein Grundrechtseingriff sei (BVerwG, Urt. v. 6.4.2022, 8 C 9.21, DÖV 2023, 36; hierzu: Burgi/Promberger, DÖV 2023, 881 ff. und Waldhoff, JuS 2022, 983 ff.).

Entsprechend ist auch in Hinblick auf die Übernahme der IHRA-Arbeitsdefinition als Zuteilungsparameter davon auszugehen, dass es sich hierbei nicht um ein zulässiges wissenschaftsadäquates Differenzierungskriterium handelt. Weder ist die IHRA-Arbeitsdefinition ein wissenschaftlich anerkanntes Referenzkriterium – im Gegenteil: die Definition ist, wie oben dargestellt, erheblicher Kritik ausgesetzt –, noch lässt sich eine Verpflichtung auf die IHRA-Arbeitsdefinition aus dem Grundgesetz ableiten.

Neben diesen rechtlichen Bindungen ist es dem Staat verfassungsrechtlich auch untersagt, Forschungsergebnisse vorzugeben oder Forschende auf Fragestellungen und Methoden zu verpflichten (vgl. zum Schutz der freien Wahl von Fragestellung und Methodik BVerfGE 35, 79, 113). Das gilt sowohl für unmittelbare als auch für mittelbare staatliche Einwirkungen auf die Forschung. Die staatliche Forschungsförderung von einer Übernahme der IHRA-Arbeitsdefinition durch Forschende abhängig zu machen, läuft jedoch genau auf eine solche Form staatlichen Einflusses auf Fragen des Forschungsdesigns hinaus. Weder die Entwicklung von Forschungsfragen und -methoden noch internationale Forschungskooperationen lassen sich unter diesen Bedingungen in einer Art und Weise verfolgen, die der grundgesetzlich verbürgten Wissenschaftsfreiheit entspricht.

5.   Antidiskriminierungsrecht

Die Implementierung der IHRA-Definition ist für eine antidiskriminierungsrechtliche Bekämpfung von Antisemitismus nicht nötig; sie ist teilweise hinderlich  für die wirksame Bekämpfung der Diskriminierung von Jüd:innen.

Das Diskriminierungsverbot wegen der Rasse (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG) ist rechtlicher Ausgangspunkt der Bekämpfung von Antisemitismus. Ins geltende Antidiskriminierungsrecht übersetzt bedeutet Antisemitismus „Rassismus gegenüber Jüd:innen“. Hierüber herrscht angesichts des historischen Entstehungskontextes verfassungsdogmatisch Einigkeit, wurde Art. 3 Abs. 3 GG doch gerade als Reaktion auf die völlige Rechtlosstellung jüdischen Lebens in Deutschland und den Holocaust verfasst. Diese Deutung steht auch im Einklang mit der völkerrechtlichen Definition von rassischer Diskriminierung in Art. 1 Abs. 1 ICERD und der Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG der EU.

Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Rasse reicht aus, um gegen antisemitische Äußerungen vorzugehen. Antizionistische oder israelkritische Aussagen etwa, die diskriminierend antisemitisch sind, sind damit sanktionierbar, wie der EGMR in dem schon oben genannten Fall (Pavel Ivanov/Russland, Nr. 35222/04) zeigt.

Eine gesonderte Definition von Antisemitismus würde zu einer Hierarchisierung und Fragmentierung im Antidiskriminierungsrecht führen, die für die Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus insgesamt kontraproduktiv wäre. So werfen die jüngst erfolgte Ergänzung des „antisemitischen“ Beweggrundes in § 46 Abs. 2 StGB, einer Norm, die bereits „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe enthielt, und die Unterscheidung zwischen „rassistischen und antisemitischen Zuschreibungen“ in § 2 Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz die Frage auf, ob nicht auch Antiziganismus und Islamophobie explizit aufgezählt werden müssen, um den völkerrechtlich gebotenen Schutz vor Rassismus jeweils sicherzustellen. Mit jeder weiteren Ausdifferenzierung aber verliert das Verbot rassistischer Diskriminierung an Kontur, und das deutsche Antidiskriminierungsrecht läuft Gefahr, den Anschluss an den internationalen und europäischen Rechtsdiskurs zu verlieren. Diese Fragmentierung droht das Niveau des Schutzes vor rassistischer Diskriminierung zu senken.

6.   Aufenthalts- und Asylrecht

Auch aufenthaltsrechtlich wirft die Implementierung der IHRA-Definition Probleme auf, etwa wenn antisemitisches Verhalten zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen führen soll. Das Europarecht erfordert, dass in jedem Fall zwischen Ausweisungs- und Bleibeinteressen abzuwägen ist. Dies ist besonders anspruchsvoll, wenn es an einer strafrechtlichen Verurteilung fehlt. Ausweisungen sind beispielsweise bei öffentlichem Aufrufen zu Hass gegen Teile der Bevölkerung, aber auch bei Verstößen gegen nicht strafbewehrte Rechtsvorschriften oder behördliche Verfügungen möglich (§ 54 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Nr. 9 1. Alt. AufenthG). Im ersten Fall ist auch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder eine Einbürgerung ausgeschlossen, selbst wenn in der Abwägung im Einzelfall das Bleibeinteresse überwiegt (§ 5 Abs. 4 AufenthG, § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG). Den Ausländerbehörden fehlt in diesen Fällen nicht nur eine klare Orientierung durch eine strafrechtliche Verurteilung. Mit der IHRA-Arbeitsdefinition hätten sie ihren weitreichenden Maßnahmen zudem eine sehr unklare Definition zugrunde zu legen, deren rechtssichere und europarechtskonforme Anwendung sie vor ganz erhebliche Herausforderungen stellen würde.

Sollen Personen bei Verurteilung wegen antisemitischer Straftaten von der Flüchtlingsanerkennung ausgeschlossen werden, kann dies zu einem Konflikt mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) führen. Nach Art. 1F (b) GFK führen nicht jegliche Straftaten, sondern nur “schwere nichtpolitische Straftaten” zum Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft. “Nichtpolitisch” bedeutet nach Ansicht des UNHCR, dass “andere Motive, wie persönliche Gründe oder Interessen dominieren”; umgekehrt kann eine Straftat aber nur dann als politisch gelten, wenn sie kein extremes menschliches Leid verursacht (z.B. durch Terroranschläge) und wenn das politische Ziel “mit der Ausübung der Menschenrechte vereinbar” ist (UNHCR, Executive Committee, Note on the Exclusion Clauses, UN Doc. EC/47/SC/CRP.29 (1997); Guidelines on International Protection No. 5: Application of the Exclusion Clauses: Article 1F of the 1951 Convention relating to the Status of Refugees, UN Doc. HCR/GIP/03/05 (2003), para. 15.)

Selbstverständlich ist das Ziel der Vernichtung von Jüdinnen und Juden mit der Ausübung der Menschenrechte unvereinbar. Die sehr weite IHRA-Definition läuft jedoch Gefahr, auch solche politischen Äußerungen zu erfassen, die nach dem internationalen Recht mit der Ausübung der Menschenrechte vereinbar sind. In solchen Fällen wäre ein Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nicht mit der GFK vereinbar und daher völkerrechtswidrig.

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