Schon wieder rumpeln Straßburg und Karlsruhe in einem Fall aneinander, wo es um die Rechte unverheirateter Väter geht. Die deutsche Regelung, wonach uneheliche Väter nach der Geburt nicht gegen den Willen der Mutter ein gemeinsames Sorgerecht durchsetzen können, hatte das Bundesverfassungsgericht 2003 gebilligt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dagegen hält dies für eine Diskriminierung (Art. 14 EMRK) unehelicher Väter sowohl gegenüber Müttern als auch gegenüber ehelichen Vätern und obendrein für einen Eingriff in deren Recht auf Familienleben (Art. 8 I EMRK).
Das zentrale Argument des Bundesverfassungsgerichts (Erster Senat) war im Grunde der alte römische Rechtsgrundsatz: Mater semper certa est. Bei unverheirateten Eltern sei der Vater oft gar nicht klar, oder jedenfall nicht da oder sonstwie herrschten schlampige Verhältnisse. Das Wichtigste sei, dass das Kind einen handlungsfähigen gesetzlichen Vertreter hat. Daher gehe es in Ordnung, die Mutter in solchen Konstellationen zu bevorzugen und die Rechte der Väter hintanzustellen.
Ich will da gar nicht richten: Dass es für das Kind nicht gut ist, wenn sich Vater und Mutter vor Gericht um das Sorgerecht prügeln, leuchtet mir ein; dass es für den Vater furchtbar ist, wenn die Mutter ihm die Sorge für sein Kind einfach vorenthalten kann, genauso. Das ist eine der heikelsten und schwierigsten Konstellationen, die das Recht überhaupt zu regeln unternimmt.
Aber offenbar sind es gerade solche ultra-hard cases, die zu Kollisionen zwischen Verfassungsgericht und EGMR führen. 2004 hatte das BVerfG (allerdings der Zweite Senat) im Görgülü-Beschluss geurteilt, dass die deutschen Familienrichter die EGMR-Rechtsprechung zwar beachten müssen, andererseits aber keinesfalls „schematisch vollstrecken“ dürfen – letzteres, um den Vorrang des Verfassungs- vor dem Völkerrecht zu verteidigen. In Straßburg kam das nicht gut an. EGMR-Präsident Lucius Wildhaber erinnerte damals im Spiegel daran, dass sich die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik aus der EMRK auch auf das bundesdeutsche Verfassungsrecht erstrecke und mahnte, dass man schließlich auch der Türkei auf die Finger steige, wenn diese ihre nationale Souveränität über ihre EMRK-Verpflichtungen zu stellen versuche.
In seinem jetzigen Urteil bemüht sich das Straßburger Gericht erkennbar, die Kollegen aus Karlsruhe nicht zu reizen. Die Gründe des BVerfG-Urteils werden sämtlich als erwägens- und bedenkenswerte Gesichtspunkte aufgeführt. Nur leider sei im Ergebnis halt kein Grund erkennbar, warum man deshalb ganz generell und umfassend Vätern verweigern sollte, ihren Fall gerichtlich prüfen zu lassen. Im konkreten Fall sei von schlampigen Verhältnissen keine Rede, die Vaterschaft stehe fest, der Vater habe anfänglich mit Mutter und Kind zusammengelebt und sich die ganze Zeit über um das Kind und sein Verhältnis zu ihm gekümmert.
Da ist schon was dran.
Bleibt nur zu hoffen, dass das BVerfG die Korrektur hinnimmt und nicht bei nächster Gelegenheit zum Gegenschlag ausholt. Das wäre weder Vätern noch Müttern noch Kindern zu gönnen.
Interessant ist auch, dass der EGMR sich offenbar als eine Art Heger und Pfleger einer gemeinsamen europäischen Grundrechtekultur begreift: Die EMRK sei ein lebendiges und entwicklungsfähiges Instrument und müsse den Gegebenheiten der Gegenwart mit ihrer wachsenden Zahl unehelicher Kinder angepasst werden. Zwar gebe es keinen europäischen Konsens, aber „the common point of departure in the majority of Member States appears to be that decisions regarding the attribution of custody are to be based on the child’s best interest and that in the event of a conflict between the parents such attribution should be subject to scrutiny by the national courts“ (RNr. 60).
Zum Hintergrund des Falls Miriam Hollstein in der Welt.
Update: Das Bundesjustizministerium weiß offenbar nicht so recht, wie es reagieren soll. Eine Studie, die gegebenenfalls Reformbedarf durch die zunehmende Normalisierung nichtehelicher Lebensgemeinschaften ermitteln soll, wird erst 2010 fertig sein. Aus der Pressemitteilung:
Der Gerichtshof beurteilt nicht die abstrakte Gesetzeslage, sondern einen Einzelfall. Angesichts der Bandbreite von rechtspolitischen Möglichkeiten wird das Bundesjustizministerium die Debatte über gesetzgeberische Änderungen jetzt sorgfältig und mit Hochdruck führen.
„Sorgfältig und Mit Hochdruck Debatte führen“ verpflichtet zu nix, kann aber andererseits nie schaden…