Was würde passieren, wenn eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat in Art. 79 Grundgesetz, der so genannten „Ewigkeitsklausel“ eine Korrektur vornähme und, sagen wir, Absatz III ersatzlos streichen würde?
Ginge das?
Artikel 79 III ist die berühmte „Ewigkeitsklausel“:
Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
Beim Wort genommen schließt dieser Artikel sich selber nicht mit ein: Durch seine Streichung per se wird keines der darin für unberührbar erklärten Verfassungsgüter berührt. Trotzdem geht das natürlich nicht. Wenn das Grundgesetz der verfassungsändernden Mehrheit die Möglichkeit, bestimmte Dinge zu beschließen, vorenthält, dann kann sich nicht diese verfassungsändernde Mehrheit auf Basis des Grundgesetzes diese Möglichkeit einfach zurückholen. Wenn Art. 79 III GG sich nicht implizit selber einschießt, dann ist er absurd, und wenn er nicht absurd sein soll, muss er sich selbst implizit einschließen.
Der New Yorker Rechtsphilosoph Andrew Arato hat mit diesem Argument die hier ja schon breit thematisierte ungarische Verfassung abgeschossen: Die bisherige Verfassung sah nämlich vor, dass eine neue Verfassung eine Vierfünftelmehrheit braucht. Viktor Orbáns Koalition hat aber nur eine Zweidrittelmehrheit. Die reicht aber aus, die bisherige Verfassung zu ändern. Und das tat sie und strich die Vierfünftelmehrheit kurzerhand aus der Verfassung raus.
Damit, so Arato, ist die neue Verfassung nicht nur illegitim, sondern illegal. Und zwar ganz egal, ob man die Präambel für reaktionär und antipluralistisch hält, ob man das Normenkontrollverfahren durch das Verfassungsgericht wichtig findet, ob man die Verfassung inhaltlich sympathisch findet oder nicht.