30. Oktober 2009

Maximilian Steinbeis

Erfurt ist nicht Kiel, und Lieberknecht ist nicht Simonis

Klar, die Parallelen scheinen auf den ersten Blick frappant: Eine selbstbewusste Frau bewirbt sich um das Amt des Regierungschefs, tritt zur Wahl an und – verliert. Neuer Wahlgang. Sie verliert erneut. Leute, die öffentlich versprochen haben, sie zu unterstützen, treten ihr gedeckt vom Incognito der Wahlkabine in die Kniekehlen. Männer, im Zweifelsfall. Die Chefin, die das oberste Amt im Lande ausüben soll, tritt es gedemütigt, geknickt, beschädigt an (bzw. überhaupt nicht). Davon hat niemand wirklich etwas, außer ein klammheimliches Gefühl der Schadenfreude. Das macht die Sache ein bisschen unheimlich.

Aber da enden die Parallelen auch schon. Heide Simonis war eine der letzten Regierungschefs alten Stils, Landesmutter und zentrale Machtfigur in Schleswig-Holstein, die darüber bestimmt, wer was wird und wer was bekommt im Lande, und wer nicht. So wie weiland Franz-Josef Strauß und Johannes Rau, wie Kurt Biedenkopf und Edmund Stoiber. Sie hatte diese Macht lange ausgeübt, mit Genuss und Temperament, und war dabei bisweilen ziemlich unbekümmert auf dem Selbstbewusstsein ihrer (männlichen) Mitstreiter herumgetrampelt. Als die ihre Chance sahen, sich zu rächen, haben sie sie genutzt.

Christine Lieberknecht ist dagegen eine Regierungschefin neuen Stils. So wie Angela Merkel. Sie arbeitet nicht mit Richtlinienkompetenz und „jeder hört auf mein Kommando“. Sie verdankt ihr Amt nicht einem klaren Wahlsieg, nicht ihrer Führungsposition an der Spitze einer mächtigen und machtbewussten Volkspartei, sondern einem prekären Bündnis auf Zeit, einem unter mehreren möglichen, deren Anspruch auf die Macht kein bisschen weniger gut begründet wäre.

Die Abweichler, die ihr die Stimme verweigert haben, kommen vermutlich nicht aus der eigenen Partei, wie bei Simonis, sondern aus den Reihen des Koalitionspartners SPD. Die Thüringer Sozialdemokraten sind tief zerstritten zwischen den Alternativen Schwarz-Rot und Rot-Rot-Grün. Das Argument, auf Bundesebene habe man studieren können, wie es einer SPD als Juniorpartner einer in dieser Weise moderierenden und ausgleichenden Verhandlungs- und Kompromisskanzlerin ergeht, dieses Argument hat viel für sich. Nicht, dass ich mir die Linkspartei in Erfurt an die Regierung wünsche, im Gegenteil – aber dass Teile der SPD vor der sanften, freundlichen, ausgleichenden, so überhaupt nicht Simonis-haften Frau Lieberknecht vor Angst ganz blass um die Nase werden, das leuchtet mir unmittelbar ein.

Update 19:24: Die Süddeutsche ist der Ansicht, die geheimen Nein-Stimmen müssten von der CDU gekommen sein, weil im letzten Wahlgang plötzlich alle für Lieberknecht gestimmt haben – wären sie von der SPD gekommen, hätten sie für Ramelow gestimmt. Das leuchtet mir nicht ein: Gerade weil jeder vermutet, dass die CDUler nie Ramelow wählen würden, wäre dann die Deckung aufgeflogen. Daher wäre es auch für eventuelle SPD-Abweichler rational gewesen, im dritten Wahlgang anders zu stimmen. Aber wie auch immer, da kann man bestimmt wochenlang spekulieren…

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