Auch bei den Europawahlen gibt es eine Fünf-Prozent-Hürde. Warum eigentlich?
Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten: Die Hürde wird damit gerechtfertigt, dass das Parlament die Regierung wählt und eine stabile Regierungsmehrheit durch Splitterparteien im Parlament schwerer herzustellen wäre. In Europa gibt es dagegen so etwas wie eine „Regierungsmehrheit“ überhaupt nicht.
Der Bestsellerautor und als Staatsverfallskassandra einschlägig bekannte Professor Hans-Herbert von Arnim hat neben einigen anderen gegen die Europawahl Einspruch eingelegt: Die Fünf-Prozent-Hürde sei verfassungswidrig und genüge den neuerdings viel strengeren Maßstäben des BVerfG an die Wahlrechtsgleichheit nicht mehr.
Im Prinzip leuchtet mir auch nicht recht ein, was die Fünf-Prozent-Hürde soll: Die Personalie „Regierung“, ob Kommissionspräsident oder künftiger Ratspräsident, wird auch künftig zwischen den Mitgliedsstaaten bestimmt; das EP wählt ihn dann zwar, aber nicht in der Form, dass da eine Seite eine Mehrheit hat und die andere zähneknirschend in die Opposition muss. Auch hier ist Macht Verhandlungssache. Auch hier würde ohne Fünf-Prozent-Hürde allenfalls die Zahl der Verhandlungspartner ein wenig steigen. Die Regierungsstabilität hinge davon nicht ab.
Dennoch glaube ich nicht, dass Arnim und seine Mitstreiter eine Chance haben. Die BVerfG-Entscheidung von 1979, nach der ersten Europawahl überhaupt, ist in dem Zusammenhang interessant zu lesen. Das EP war bekanntlich damals nur eine parlamentarische Versammlung, hatte kaum etwas zu melden und nur wenig politisches Gewicht. Aber das BVerfG fand dennoch Argumente, warum es auch in punkto EP in Ordnung geht, legal gewählten Parteien ihren Anteil am Mandatekuchen zu verweigern: Das EP
hat als Gegenspieler der von den Regierungen der Mitgliedstaaten berufenen Kommission deren weitverzweigte Tätigkeiten zu kontrollieren. Das Gemeinschaftsrecht enthält und verlangt in großem Maße wirtschaftliche Spezialreglungen und Detailregelungen, deren abgewogene Beurteilung besondere Sachkunde erfordert. Hier sind der Rat und die Kommission mit den ihnen zur Verfügung stehenden umfangreichen Verwaltungsapparaten ohnehin im Vorteil. Gerade deshalb ist es besonders notwendig, durch ein arbeitsfähiges Parlament ein Gegengewicht zu schaffen, das dieser Aufgabe gewachsen ist.
Und Splitterparteien seien dieser Aufgabe eben nicht gewachsen, weil sie zu klein seien, sich zu spezialisieren.
Nun hat sich das Gewicht des EP seither sicherlich gewandelt. Aber das Argument, dass innerparlamentarische Arbeitsteilung nötig sei, trifft mehr zu denn je. Es gilt auch für den Bundestag und könnte in diesen Zeiten des Fünf-Parteien-Parlaments als Rechtfertigung für die Fünf-Prozent-Hürde auch national an die Stelle oder zumindest an die Seite des Regierungs-Stabilitäts-Arguments treten.
Das Bundesinnenministerium (Dank an Guido Strack für den Link) hat auf die Wahleinsprüche erwidert und stützt sich ebenfalls stark auf dieses Argument – überzieht dabei aber tüchtig: Die armen Splitter-Abgeordneten seien auch dem Lobbyismus in Brüssel schutzlos ausgeliefert, wenn sie daheim nicht auf starke Partei- und Fraktionsapparate zurückgreifen könnten. Eat this, Piratenpartei!