Wenn Juristen überhaupt auf die empirischen Wissenschaften zurückgreifen, tun sie das meistens, um ihre Rechtsansicht zu untermauern. Häufig nutzen sie empirische Erkenntnisse daher – bewusst oder unbewusst – nur selektiv; die Auswahl der Quellen wird hingegen nicht thematisiert. Lawyers, könnte man angelehnt an Andrew Lang sagen, „use statistics in the same way that a drunk uses lamp-posts – for support rather than illumination.“ Da macht auch die Beschneidungsdebatte keine Ausnahme. Eine Ausnahme muss aber bleiben, wie nun manche Beschneidungsgegner einen Autor angreifen, der diesen Umgang mit Empirie zum Thema macht.
Was ist passiert?
Hendrik Pekárek hat Ende des vergangenen Jahres in der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik einen „evidenzbasierte[n] Blick auf die Beschneidungsdebatte“ geworfen. Pekárek ist Research Fellow und Doktorand bei den Berliner Studien zum Jüdischen Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er geht den medizinischen Argumenten nach, die in der juristischen Diskussion für oder wider die medizinisch nicht indizierte Knabenbeschneidung ins Feld geführt worden sind. Der Versuch: die verwendeten medizinischen Studien auf ihre Beweiskraft zu untersuchen und ihnen widersprechende Studien gegenüberzustellen. Die evidenzbasierte Medizin liefert ihm dafür Kriterien wie das Studiendesign, das Publikationsmedium und das Vorliegen von Interessenkonflikten. Das Ergebnis: Die Auswahl vieler von den Beschneidungsgegnern in Bezug genommener Quellen in dieser Debatte ist angreifbar. Damit geht eine inhaltliche Pointe einher: Während die Beschneidungsgegner die gesundheitlichen Gefahren der Zirkumzision überschätzten, unterschätzten sie ihre Vorteile. Nur die Forderung nach effektiver Schmerzbehandlung lasse sich empirisch überzeugend untermauern. Allein aufgrund der Risiken und Auswirkungen der Beschneidung könne den Eltern die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung schwerlich verweigert werden.
Holm Putzke, Strafrechtsprofessor und 2012 als Beschneidungsgegner über die Rechtswissenschaften hinaus bekannt geworden, antwortete Ende Januar. Der Eintrag auf seiner Homepage verweist auf einen Blogbeitrag von Harald Stücker zu Pekáreks Artikel, der präzise auf den Punkt brächte,
„warum der Beitrag wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, mit anderen Worten: wissenschaftlich wertlos ist.“
Und:
„Erneut zeigt sich, was passieren kann, wenn der klare Blick auf Fakten und grundlegende ethische Wertungen durch persönliche Betroffenheit verstellt ist. Doch selbst dieser Aspekt vermag nicht zu erklären, warum Pekárek einen derart evident tendenziösen Text verfasst hat und auch dadurch seine mangelnde wissenschaftliche Befähigung dokumentiert.“
Ende Februar ergänzte Putzke diesen Eintrag um einen Hinweis auf die inzwischen erschienene Erwiderung Rolf Dietrich Herzbergs in der ZIS und dessen Vorwurf, Pekárek verfälsche die Aussagen anderer Personen.
Putzke vergreift sich (erstens) im Ton, verdreht (zweitens) das Anliegen Pekáreks und konstruiert (drittens) dessen Befangenheit, um ihn von der Debatte auszuschließen.
Erstens: der Tonfall
Warum provoziert gerade der evidenzbasierte Ansatz Pekáreks eine solche Reaktion? Vermutlich, weil Putzke selbst die Fakten und den intellektuell aufrichtigen Umgang mit ihnen gerade für sich in Anspruch nimmt. Da wird Widersachern schon mal „Ahnungslosigkeit oder Täuschungsabsicht“ vorgeworfen, wenn sie von anderen Tatsachen ausgehen. Und Pekáreks Text ist eben „evident tendenziös“. Dass Pekárek sich auf objektive Kriterien beruft, scheint das ganze für Putzke nur noch perfider zu machen. Es muss ein Wolf im Schafspelz am Werk sein. So argumentiert auch Harald Stücker in dem Blogeintrag, den Putzke so präzise findet, wenn er Pekárek die „Fassade der unvoreingenommenen Neutralität“ zum Vorwurf macht. Eine solche Fassade – das muss man ihm lassen – vermeidet Putzke jedenfalls gewissenhaft. Leider vermeidet er auch jede Auseinandersetzung in der Sache – und ersetzt sie durch Angriffe auf die Person.
Zweitens: die Beweisführung
Die Irritation wird auch nicht geringer, wenn man Putzke als inhaltliche Auseinandersetzung die Verweise auf Herzberg und Stücker zugesteht. Deren Kernvorwurf ist, dass Pekárek empirisch beantworten wolle, was nur Ethik (Stücker) oder Juristerei (Herzberg) beantworten könnten. Dass Pekárek das normative Problem gar nicht in Zahlen aufgehen lassen will – „[d]ie Frage nach der Zulässigkeit der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision ist und bleibt eine komplexe normative Wertung“ –, wird zur Nebensache. Um den Pekárek’schen Argumenten die inhaltliche Auseinandersetzung zu verweigern, wird der Text von dessen Kritikern einfach umgeschrieben.
So wirft Herzberg Pekárek vor, er überschütte den Leser mit „Einzelheiten aus ‚aktuellen internationalen Studien’, in deutlicher Voreingenommenheit zugunsten der Arbeiten, die ‚keine Unterschiede im generellen sexuellen Empfinden, sexuellen Wünschen, vorzeitiger Ejakulation und erektiler Dysfunktion zwischen beschnittenen und unbeschnittenen Männern’ herausgefunden zu haben behaupten.“ An der in Bezug genommenen Stelle sagt Pekárek allerdings ganz anderes. Er weist darauf hin, dass eine Studie – von Putzke zum Nachweis von Sensibilitätsverlusten angeführt und in Zusammenhang mit Erektionsstörungen gestellt – die von Herzberg zitierten Nachteile nicht feststellen konnte. Auch wenn Putzke die Gefahr der Erektionsstörungen nicht unmittelbar mit der Studie belegt, sondern aus (und in Widerspruch zu) ihren Ergebnissen folgert, ist doch Pekáreks Aussage eine vollkommen andere, als Herzberg ihm unterstellen will.
Drittens: das Betroffenheitsargument
Schließlich – und hier bekommt sein Kommentar noch einen besonderen Beigeschmack – spricht Putzke Pekárek wegen „persönliche[r] Betroffenheit“ die Fähigkeit ab, einen sachlichen Beitrag zur Beschneidungsdebatte zu leisten. Die Berliner Studien zum jüdischen Recht wie auch alle, die beschnitten sind oder Kinder haben beschneiden lassen, haben also zu schweigen.
Das Betroffenheitsargument krankt zweifach: Erstens fußt es auf dem Irrtum, eine Debatte profitiere davon, wenn man möglichst viele davon ausschließt, wahlweise weil sie betroffen sind oder eben nicht. Denn umgekehrt könnte das Argument ja auch funktionieren. Und zweitens suggeriert das Betroffenheitsargument, es gäbe so etwas wie Neutralität in dieser Frage und diese sei nur auf Seite der Beschneidungsgegner, der nicht Beschnittenen, der nicht Gläubigen zu finden. Das ist ebenso Unsinn, wie Frauen von der Gleichbehandlungsdebatte auszuschließen. Hier soll der juristische Diskurs abgeriegelt werden gegen vermeintlich fremde Einflüsse, gegen einen Brauch und seine Anhänger. Die Debatte soll nach dieser Logik eine Debatte über andere bleiben. Übrig bleiben Richter, die über das Fremde richten.
Pekárek mag auch zum normativen Problem eine Position haben. Das machte seinen Aufsatz aber nicht unwissenschaftlich oder seine sachliche Auseinandersetzung verwerflich. Im Gegenteil: Der sorgfältige Umgang mit empirischen Argumenten ist Voraussetzung für gute Wissenschaft. Wer Pekárek Unsachlichkeit nachweisen will, muss schon an seinen Methoden ansetzen. Er hat sie offengelegt. So bleibt Putzkes Beitrag nur ein Angriff auf die Debattenkultur in der Rechtswissenschaft.