21. Mai 2010

Maximilian Steinbeis

Geistige Behinderung ist kein Grund für Wahlrechtsausschluss

Menschen mit geistiger Behinderung dürfen nicht pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen werden. Das geht aus einem gestern veröffentlichten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hervor.

Das Urteil betrifft Ungarn: Wer dort unter Betreuung steht, darf nicht wählen gehen. So steht es in Art. 70 II der ungarischen Verfassung. Ein Manisch-Depressiver hatte dagegen den EGMR angerufen.

Die Straßburger Richter gaben ihm Recht: Zu bestimmen, ab wann jemand zur Ausübung seines Wahlrechts nicht mehr in der Lage ist, sei zwar in weitem Umfang Ermessenssache des nationalen Gesetzgebers. Aber die Regelung in der ungarischen Verfassung geht ihnen entschieden zu weit. Sie gelte auch für Leute, die nur teilweise unter Betreuung gestellt sind und schließe 0,75% der Bevölkerung vom Wahlrecht aus.

(The Court) finds this to be a significant figure, and it cannot be claimed that the bar is negligible in its effects.

Menschen mit geistiger Behinderung gehörten zu den Gruppen, die massiver Diskriminierung ausgesetzt seien. Insoweit müsse es schon wirklich gute Gründe für einen Wahlrechtsausschluss geben, und die seien gerade bei nur teilweise unter Betreuung Gestellten nicht erkennbar.

The reason for this approach, which questions certain classifications per se, is that such groups were historically subject to prejudice with lasting consequences, resulting in their social exclusion. Such prejudice may entail legislative stereotyping which prohibits the individualised evaluation of their capacities and needs.

Die deutsche Regelung dürfte prima facie mit dem EGMR-Spruch vereinbar sein. In § 13 Bundeswahlgesetz heißt es, das nur die Bestellung eines Betreuers „zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten“ den Wahlrechtsausschluss nach sich zieht. Da muss man, glaube ich, schon mehr oder weniger im Koma liegen für eine so umfassende Betreuung (aber genau weiß ich es nicht).

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