22. August 2010

Maximilian Steinbeis

Gibt es einen Trend zum Foto-Finish?

Australien hat gewählt, aber keiner weiß, was. Labour und Tories sind nahezu gleich stark.

Irre ich mich, oder nehmen solche Foto-Finishs global zu?

Mir fallen spontan ein: Premierministerwahlen Israel 1996, Präsidentschaftswahl USA 2000, Bundestagswahlen Deutschland 2002 und 2005, Präsidentschaftswahl Mexiko 2006, Präsidentschaftswahl Rumänien 2009. Jedesmal der gleiche Befund: Ein paar Tausend Stimmen hin oder her, und die Sache wäre völlig anders ausgegangen.

Mal unterstellt, das ist tatsächlich mehr als nur eine subjektiv empfundene Häufung: Was könnte der Grund sein?

Vielleicht kommt so etwas besonders dann vor, wenn eine Persönlichkeitswahl zu einem grundlegenden Plebiszit über die fundamentale Richtung, in die das Land geht, gemacht wird? Netanjahu vs. Peres, Bush vs. Gore, Schröder vs. Stoiber?

Wenn in einem stark polarisierten Wahlkampf bei schwacher Parteibindung der Bevölkerung zwei annähernd ebenbürtige Kandidaten aufeinandertreffen, dann könnte ich mir schon vorstellen, dass es so etwas gibt wie ein Einschaukeln nahe der 50%-Grenze: Es wird immer einen Teil der Wähler auf beiden Seiten geben, die sich Ihrer Entscheidung nicht sicher sind – gerade dann, wenn es um viel geht bei der Wahl. Wenn das Gefühl entsteht, dass einer vorn liegt, dann schwenken sie zum anderen rüber.

Das ist natürlich hoch spekulativ. Und mir ist auch klar, dass das Bush-vs-Gore-Beispiel schon wegen des abartigen US-Wahlsystems schwer vergleichbar ist…

Any ideas?

Update: Patrick Dunleavy von der LSE notiert, dass die Wahl in Australien das Ende des „Westminster model“ bedeutet. Die Briten und die meisten Länder des Commonwealth, die ihr politisches System nach britischem Modell errichtet haben, werden von Koalitionen regiert – und zwar auch, wenn sie ein Mehrheitswahlrecht haben. Indien hat eine 18-Parteien-Koalition. Kanada eine Minderheitsregierung.

Mit anderen Worten: Der große Vorteil, den das Mehrheitswahlrecht mal hatte, dass es nämlich stabile Mehrheiten im Parlament generiert – den gibt es so nicht mehr. Oder in Dunleavys Worten:

the idea of using a voting system to artificially create Parliamentary majorities is on its deathbed

Auf den Gedanken konnte man nach der Briten-Wahl schon kommen. Jetzt um so mehr.

Hat tip: FP Passport

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