6. Juli 2010

Maximilian Steinbeis

Großbritannien generalsaniert seine Verfassung

Kann man etwas reformieren, was es gar nicht gibt? Man kann, wenn man die britische Regierung ist und es sich um die britische Verfassung handelt, die es natürlich sehr wohl gibt, wenngleich nicht in geschriebener Form.

Vize-Premier Nick Clegg hat gestern bekannt gegeben, was die neue Tory/LibDem-Koalitionsregierung künftig am Bauplan des britischen Staatswesens verändern will. First and foremost: Am 5. Mai 2011 werden die Briten in einem Referendum entscheiden, ob sie die Kraft finden, sich von ihrem bizarren post-feudalistischen Wahlrecht zu verabschieden.

Im Augenblick kriegt der Kandidat mit den meisten Stimmen den Parlamentssitz für seinen Wahlkreis, und sei es auch nur mit 30 Prozent der Stimmen. Dieses System führt inhärent zu einem Zwei-Parteien-System, das jeweils einer Partei die ungeteilte Macht zuteilt – was beim letzten Mal bekanntlich nicht funktioniert hat und deshalb jetzt die Chance eröffnet, sich von diesem Wahlsystem überfälligerweise endlich zu trennen.

An dessen Stelle soll ein „Alternative Vote“ genanntes Wahlsystem treten: Die Wähler kreuzen nicht nur einen Kandidaten an, sondern ranken die Kandidaten – ihr Favorit kommt auf Platz 1, der auch noch ganz Akzeptable auf Platz 2, der notfalls noch Hinnehmbare auf Platz 3. Das ermöglicht eine wesentlich zielgenauere Messung des Wählerwillens und hat überhaupt eine Menge Vorteile. In den USA gibt es auch viele Freunde dieses Wahlsystems.

Ein fester Wahltermin

Welche verfassungsgestaltende Kraft der Übergang zur Koalitionsregierung in Großbritannien hat, wird auch darin klar, dass die Regierung sich jetzt schon auf den nächsten Wahltermin festlegt: Am 7. Mai 2015 wird wieder gewählt. Bislang gehörte es zu den Rechten der Regierung, die Wahlen zu einem ihr günstigen Zeitpunkt auszurufen. Dass das demokratietheoretisch zum Himmel stinkt, war zwar immer klar, aber gegen das Machtkalkül dessen, der zu so etwas von Verfassungs wegen berechtigt und befugt ist, konnte die Moral allein nichts ausrichten. Jetzt, in einer Koalitionsregierung, geht das auf einmal.

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