14. Februar 2010

Maximilian Steinbeis

Hartz IV: Papiers Vermächtnis

Hans-Jürgen Papier steht kurz vor dem Abschied aus Karlsruhe und gibt zu guter Letzt noch ein Interview, in dem er das Hartz-IV-Urteil erläutert. Das hätte es früher auch nicht gegeben, dass der Senatsvorsitzende so kurz nach der Urteilsverkündung noch einmal an die Öffentlichkeit geht, um dieser zum rechten Verständnis des selbst gefällten Richterspruches zu verhelfen. Aber ich will das mal als Zeichen eines geschärften Bewusstseins für die politische Dimension des Verfassungsrichteramtes werten.

Interessant sind dabei nicht zuletzt die Fragen, die der Kollege in dem Interview stellt: Er klagt, dass das Urteil nicht zu den „salomonischen“ Richtersprüchen gehört habe, die eine „Debatte mit einem Schlag befriedet“ hätten. Und dass in den Urteilsgründen „kein Satz“ dazu stehe, wie hoch die Regelsätze sein müssten.

Das kontert Papier ganz gut:

Unseren Entscheidungen wird nicht selten Zweierlei entgegengehalten: Mal sind wir zu strikt, zu rigide, zu detailgenau, was die Vorgaben an die Politik anbelangt. Mal sind wir zu offen, zu zurückhaltend und geben angeblich der Politik ‚Steine statt Brot‘ – also zu viel Gestaltungsraum.

Am 1. März endet seine Amtszeit regulär, aber es gibt immer noch keinen Namen für den Nachfolger. Ich bin sicher, dass hinter den Kulissen an dieser Personalie mit Hochdruck gearbeitet wird. Aber man hört nichts.

Ginge es um den stellvertretenden haushaltspolitischen Sprecher der Fraktion der Linkspartei, dann würde die Gerüchteküche unter den Berliner Kollegen längst fröhlich vor sich hin blubbern und allerhand Namen ausspucken. Aber hier? Interessiert keinen Menschen.

Richter und Politiker

Verfassungsrichter sind nicht dazu da, die öffentliche Auseinandersetzung zwischen hart aufeinanderstoßenden Interessen durch expertokratische Juristenweisheit zu substituieren und den gewählten Politikern jede Verantwortung für heikle politische Entscheidungen abzunehmen. Das Hartz-IV-Urteil ist in der Rechtsprechung des BVerfG dafür ein ziemlich positives Beispiel: Es hält sich mit materiellen Festsetzungen zurück, nimmt aber den Gesetzgeber um so härter an die Kandare, wenn er mit faulen Methoden arbeitet.

Der Politik ist das gar nicht recht: Ihr wäre es viel lieber, wenn sie in den heiklen materiellen Fragen die Verantwortung nach Karlsruhe abschieben und dafür prozedural mehr Freiräume genießen könnte. Da rührt die Kritik an dem Urteil im Wesentlichen her. Das braucht man nicht ernst zu nehmen.

Es gibt aber, wie Papier ja freimütig einräumt, genügend Beispiele dafür, wo die die Verfassungsrichter der Lust an der Letztentscheidung erlegen sind und im großen Stil politische Fragen aus eigener Machtvollkommenheit heraus festgeklopft haben, bisweilen sogar mit dem Vorschlaghammer der Ewigkeitsgarantie (Lissabon, ceterum censeo…).

Solange das so ist, so lange bleibt es ein undemokratischer Missstand, dass wir alle Jahre wieder unsere Verfassungsrichter ohne jede politische Debatte vorgesetzt bekommen.

Update: Klaus F. Röhl kommt im RSozBlog zu wesentlich düsteren Schlussfolgerungen, was den Gestaltungsspielraum der Politik nach dem Hartz-IV-Urteil betrifft.

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