Kalifornien muss in den nächsten zwei Jahren mehrere Zigtausend Strafgefangene freilassen, um wenigstens dem Rest menschenwürdige Haftbedingungen bieten zu können. Der US Supreme Court hat heute ein entsprechendes Urteil eines Bezirksgerichts mit knapper 5:4-Mehrheit gebilligt.
Die vier Liberalen Ginsburg, Breyer, Sotomayor und Kagan haben den Swing-Vote-Richter Kennedy zu sich rübergeholt, der auch das Urteil geschrieben hat. Dissenting Votes haben Scalia (mit Zustimmung Thomas) und Alito (mit Zustimmung Roberts) verfasst.
Es gibt in den USA ein Gesetz, das den Gerichten erlaubt, die Freilassung von Gefangenen anzuordnen, wenn anders die Verletzung ihrer Grundrechte nicht behoben werden kann – insbesondere die des Eigth Amendment, das „cruel and unusual punishment“ verbietet.
Kennedy beginnt sein Urteil mit diesen Worten:
This case arises from serious constitutional violations in California’s prison system. The violations have persisted for years. They remain uncorrected.
Was das Urteil an Fakten über den kalifornischen Strafvollzug enthält, ist erwartbar niederschmetternd: Es fehlt vor allem an medizinischer Versorgung; die ohnehin schon viel zu knapp bemessenen Stellen für Chirurgen und Psychiater sind um 20 bzw. 54% unterbesetzt. Das heißt, wer einen Arzt braucht, kriegt keinen, vor allem nicht, wenn er psychische Probleme hat. Und das wirkt sich weiter aus:
Crowding creates unsafe and unsanitary conditions that hamper effective delivery of medical and mental health care. It also promotes unrest and violence and can cause prisoners with latent mental illnesses to worsen and develop overt symptoms. Increased violence requires increased reliance on lockdowns to keep order, and lockdowns further impede the effective delivery of care.
Es gebe keinerlei Anzeichen, dass Kalifornien daran so bald irgendetwas ändern könne: Der Staat ist zu pleite, um neue Gefängnisse zu bauen, und in den alten gibt es gar nicht genügend Platz für mehr Personal.
Besonders empfohlen sei das Foto C im Anhang des Urteils: Es zeigt Metallkäfige, in die Häftlinge gesperrt werden, die auf ein „mental health crisis bed“ warten.
Scalia tobt
Scalia schäumt vor Wut in seinem Minderheitsvotum, nennt die Freilassungsanordnung „a judicial travesty“ und „absurd“. Nur weil das Strafvollzugssystem nicht vernünftig funktioniert, müsse man noch lange nicht jedem ihm unterworfenen Häftling eine individuelle 8th-Amendmend-Verletzung bescheinigen. Und selbst wenn doch, sei das noch lange kein Grund, ein Gericht zu einem solchen Übergriff in Entscheidungen des Staates Kalifornien zu ermächtigen, und schon gar nicht, Tausende verurteilte Kriminelle auf die Kalifornier loszulassen.
Alito argumentiert im Ton moderater, aber in der Sache läuft es auf das Gleiche hinaus:
The Constitution does not give federal judges the authority to run state penal systems. Decisions regarding state prisons have profound public safety and financial implications, and the States are generally free to make these decisions as they choose.
