Jugendliche mit Alkoholvergiftung sind eine üble Sache, und ein großes Boulevard-Thema obendrein, und das ist wohl der Grund, warum es dem Bundesverfassungsgericht jetzt schon zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Pressemitteilung wert ist, dass das baden-württembergische Verbot des nächtlichen Alkoholverkaufs nicht verfassungswidrig ist.
In Baden-Württemberg darf von 22 bis 5 Uhr in Läden kein Alkohol verkauft werden. Im Juli war der Kläger ein trinkfester Kunde, der seine allgemeine Handlungsfreiheit durch das Verbot beschnitten sah. Jetzt geht es um die Berufsfreiheit einer Tankstellenpächterin. Die hat auch kein Glück, aber zur Begründung des Nichtannahmebeschlusses holt die 2. Kammer des Ersten Senats diesmal etwas weiter aus.
Gibt es überhaupt eine Kompetenzgrundlage für das Land, ein solches Verbot zu erlassen? Ist es nicht nach Art. 74 I Nr. 20 GG Sache des Bundes, die mit dem Verkauf von Lebensmitteln verbundenen Gefahren zu steuern? Nein, schreibt die Kammer mit der für mich etwas überraschenden Begründung, damit sei nur die Regelung des „bestimmungsmäßigen Gebrauchs“ eines Lebensmittels gemeint, nicht des Missbrauchs. Worin liegt der „bestimmungsgemäße Gebrauch“ einer Flasche Korn? Das führt die Kammer nicht näher aus.
Ist auch egal, wichtiger ist die Frage, ob das Verbot die Berufsfreiheit der Ladenbesitzer unverhältnismäßig beschränkt. Die Kammer kann keine Überschreitung des Einschätzungsspielraums der Landesregierung erkennen und verweist auf die „naheliegende“ Annahme,
dass die Entscheidung zum Erwerb weiterer Alkoholika gerade bei jungen Menschen oftmals erst nach bereits begonnenem Konsum spontan sowie stimmungs- und bedürfnisorientiert erfolgt und daher durch eine Begrenzung der zeitlichen Verfügbarkeit auch die Entstehung von Szenetreffs und der vermehrte Alkoholkonsum an solchen Orten eingedämmt werden können.
Szenetreffs, ogottogott. Das klingt ziemlich tantenhaft, ebenso die Begründung, warum es kein Argument sein soll, dass die besagten jungen Menschen dann woanders hinziehen, um sich zu besaufen: Dort seien dann genügend Ordnungskräfte und soziale Kontrolle vorhanden, dass sich alle schön zusammenreißen.
Andererseits hätte ich auch keine Lust, dass sich vor meinem Schlafzimmerfenster jeden Samstag Abend 2000 Jugendliche volllaufen lassen.
Aber ob solche Verkaufsverbote irgendetwas bringen außer einem Tätigkeitsnachweis wahlkämpfender Politiker, scheint mir doch zweifelhaft. Kein Land hat mehr Erfahrung mit Ausschankbeschränkungen wie Großbritannien, und doch wurde dort das Wort „binge drinking“ erfunden. Und als ich Anfang der 90er in Spanien war, war es üblich, mit zu Hause selbst zusammengeschüttetem Fuselzeug in 2-Liter-Flaschen auf die Plaza Mayor zu ziehen. Daran würde auch das markigste Verkaufsverbot nichts ändern.
Foto: Hannes Rikl (duke.roul), Flickr Creative Commons
