28. September 2010

Maximilian Steinbeis

Karlsruhe lädt Sarrazin zum Klagen ein

Heute hat der Bannstrahl aus Karlsruhe eine Institution getroffen, der meine ganze Sympathie gehört: die gute brave Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) nämlich. Die mit den schönen schwarzen Heftchen. Die mit den tollen Büchern in scheußlichen Pappeinbänden zum Abholerpreis. Die mit dem fantastischen Wahl-o-mat.

Die BpB lässt im Bertelsmann-Verlag die Zeitschrift Deutschland-Archiv erscheinen, eins der wichtigsten Organe für zeithistorische Forschung zu deutsch-deutschen Themen. Diese Zeitschrift brachte 2004 einen Aufsatz des Politikwissenschaftlers Konrad Löw mit dem Titel „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“.

Den Artikel findet man hier. Ich habe ihn durchgelesen, was mir nicht leichtgefallen ist. Ich hatte die ganze Zeit einen Kotzgeschmack im Mund. Ich will nicht wiedergeben, was drin steht. Das kann die Junge Freiheit machen, aber ich nicht.

Ich schäme mich für diesen Artikel. Ich bin der Meinung, er hätte nie in einer von deutscher öffentlicher Hand unterstützten Zeitschrift erscheinen dürfen.

Der gleichen Ansicht war die BpB. Sie schrieb gemeinsam mit dem Verlag einen Brief an alle Abonnenten, in dem sie sich bei allen, die sich durch den Artikel „verunglimpft“ fühlen, entschuldigte und ankündigte, den noch nicht verkauften Rest der Auflage einzustampfen.

Schutz vor Regierungsschimpfe

Das, so die 1. Kammer des Ersten Senats in einer heute veröffentlichten Entscheidung, ging zu weit. Das sei keine bloße Distanzierung mehr. Damit habe die BpB das allgemeine Persönlichkeitsrecht Professor Löws verletzt. Und zwar aus folgendem Grund:

Jedenfalls dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat verbietet es das allgemeine Persönlichkeitsrecht (…), sich ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren.

Holla.

Mir scheint, mir scheint, im Ersten Senat verspürt man große Lust, sich machtvoll in die Sarrazin-Debatte einzuschalten. Oder sollte es reiner Zufall sein, dass das seit vier Jahren anhängige Verfahren gerade jetzt seinen Abschluss findet?

Das Kanzlerinnen-Wort, Sarrazins Äußerungen seien „nicht hilfreich“ gewesen, hat manchen FAZ-Kommentator schließlich schon zu den düstersten Prophezeiungen über die Zukunft der Meinungsfreiheit im Lande verlockt.

Na, für die Zulässigkeit reicht’s. Man müsste Sarrazin ja nicht Recht geben, um der Kanzlerin obiter dictum ein paar Hinweise an die Hand zu geben, was sie darf und was nicht.

Zum Fall selbst: Was nach Ansicht der Kammer nicht geht, ist die Position des Professor Löw als „außerhalb des hinnehmbaren Meinungsspektrums“ hinzustellen. Der Brief lege nahe, dass man sich mit dem Aufsatz nicht diskursiv auseinandersetzen, sondern ihn nur noch makulieren kann.

Namentlich im Zusammenhang mit Fragen des angesichts der deutschen Geschichte besonders sensiblen Themas Antisemitismus kann dies eine erhebliche Stigmatisierung des Betroffenen mit sich bringen, die im Falle des Beschwerdeführers, der unwidersprochen die Ausladung von Vortragsveranstaltungen geltend macht offenbar bereits praktische Folgen gezeitigt hat.

Na, wenn einer schreibt, dass die deutschen Juden sich bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs sich in Deutschland eigentlich alle pudelwohl gefühlt haben und am Antisemitismus wegen ihrer kommunistischen Revoluzzerei selber mitschuld sind, dann kann das schon mal vorkommen, dass man von Vortragsveranstaltungen ausgeladen wird. Da muss jetzt nicht der Brief der BpB dran schuld sein. (Oder ist das schon wieder ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Sarrazin?)

Recht auf Distanzierung, nicht auf Diffamierung

Aber gleichviel. Die Kammer stellt klar, dass die BpB nicht jede nationalreaktionäre Knalltüte in ihren Publikationen abdrucken muss. Es sei ihr

nicht grundsätzlich verwehrt, Extremmeinungen am Rande des politischen Spektrums und solche, die von der Wissenschaft nicht ernst genommen werden, nicht zu berücksichtigen, sie als solche zu bezeichnen und sich demgegenüber auf die Präsentation von Hauptströmungen zu konzentrieren.

Überdies könne es

ein legitimes Interesse darstellen, sich von ihr zuzurechnenden Beiträgen, die von dem Anspruch einer ausgewogenen Informationstätigkeit auffällig abweichen, weil sie etwa extreme oder extremistische Meinungen vertreten, zu distanzieren, um so die eigene Reputation wiederherzustellen. Bei der Frage, ob und welche Maßnahmen als öffentliche Reaktion auf einen drohenden Glaubwürdigkeitsschaden zu ergreifen sind, steht der Bundeszentrale ein Einschätzungs- und Handlungsspielraum zu.

Aber ein Recht auf Distanzierung berechtigt nicht zur Diffamierung. Und die Entschuldigung bei allen, die sich „verunglimpft“ fühlten, sei eine solche. Ebenso die Ankündigung, die Zeitschriftenauflage zu makulieren.

Na, ich weiß nicht. Was die Makulaturankündigung betrifft, meinetwegen: Wenn die den Fehler begangen haben, das zu drucken, müssen sie das auch gedruckt lassen. Aber dass es nicht erlaubt sein soll, sich bei Juden für eine Position zu entschuldigen, die nach allen Definitionen als eklatant antisemitisch durchgeht („Die Juden waren mitschuldig am Antisemitismus“)?

Ob da nicht die drei Kammermitglieder der Politically-Incorrect-Hafer gestochen hat?

Disclosure: Ich hatte und habe beruflich Kontakt zur BpB. (Aber ich würde sie auch sonst sympathisch finden.)

Foto: (c) gravitat-on, Flickr Creative Commons

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