Das OMT-Verfahren vor dem BVerfG geht am 16. Februar 2016 mit der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung in die nächste Runde. Die in Juristenkreisen viel gescholtene ökonomische Analyse könnte dem BVerfG dabei wertvolle Dienste leisten. Denn die Situation, in die sich der Zweite Senat des BVerfG mit seiner OMT-Vorlage an den EuGH manövriert hat, wird man nur als Leckerbissen für Spieltheoretiker bezeichnen können.
Über die staatsrechtliche (Un-) Haltbarkeit der OMT-Vorlage haben sich zwei Verfassungsrichter in Sondervoten und die Staatsrechtslehrer im Übrigen die Finger wundgeschrieben. Zeit nun, die Dinge aus einer etwas menschelnderen Perspektive zu betrachten. Auf dem Programm steht nämlich die Suche nach einer für die RichterInnen gesichtswahrenden Exit-Strategie.
Der Reihe nach: Egal, wie man die Dinge staats –und europarechtlich betrachtet, eines dürfte sicher sein. Der Zweite Senat ist mit der OMT-Vorlage in eine verfassungsprozessuale Falle getappt. Aus den zahlreichen fiskalpolitischen Schmutzeleien im EZB-System hätte man sich vieles (oder am besten alles zusammen) als Verfahrensgegenstand wünschen dürfen: Die Absenkung der Anforderungen an Pfänder, den offensichtliche Missbrauch der ELA-Kredite, den übel riechenden Schuldschein-Deal der irischen Notenbank oder die anderen unter den Teppich gekehrten ANFA-Käufe nationaler Zentralbanken des Eurosystems – inzwischen vielleicht auch das QE-Programm. Aber oh Weh: ausgerechnet der Vorgang wurde dem BVerfG zum Verhandeln vorgelegt, mit dem kein einziger Euro tatsächlich gedruckt wurde und mit dem die EZB nach Auffassung einer ganzen Armada von Weltökonomen das ihr unterstehende Währungsgebiet vor dem Auseinanderbrechen gerettet hat. Ein kerniger Auftritt des EZB-Präsidenten vor der Presse in London und ein paar Wochen später ein exekutierender EZB-Ratsbeschluss. Mehr nicht. Keiner kann das heute sicher wissen, aber „whatever it takes“ und OMT haben womöglich das Zeug, als grandioser Schachzug in die europäische Geschichte einzugehen. Und wie steht das BVerfG dann in den Fußnoten dereinstiger Geschichtsbücher da? Dem Zweite Senat blieb es – jedenfalls in seiner Mehrheit – verborgen, dass man aus einem komplexen Gesamtgebilde wie dem Europäischen Währungssystem, dessen Entwicklung sich an einem historischen Scheidepunkt befindet, keinen Einzelbaustein vor Gericht verhandeln und sich mit dessen Beurteilung weit aus dem Fenster lehnen sollte. Si tacuisses …. Wie kommt man aus der Nummer also wieder raus? Die Vorlage wurde vom EuGH abgebügelt, und zwar, notabene, mit einer Begründung, die im Vergleich zu den Überlegungen des BVerfG im Vorlagebeschluss juristisch eher unterirdisch anmuten mag, aber in Sachen Respekt vor den Unwägbarkeiten politischer Makroentwicklungen (manche nennen es: judicial self-restraint) doch eine tiefere Weisheit erkennen lässt. Es gilt nun auch für Karlsruhe, dorthin zurückzufinden.
Der Spieltheoretiker Werner Heun hat in der Juristenzeitung schon 2014 einen Entscheidungsbaum für dieses Unterfangen skizziert, allerdings nur mit zwei Weggabelungen: Entweder bedingungslose Unterordnung unter die EuGH-Entscheidung oder Verfassungswidrigkeitserklärung des OMT-Programms. Damit dürfte er die Reste strategischen Geschicks im Karlsruher Schlossbezirk unterschätzt haben. Alternative 1 liefe auf einen totalen Gesichtsverlust hinaus. Alternative 2 würde angesichts der europapolitischen Großwetterlage gar als suizidale Handlung erscheinen – was der EuGH erkannt und eiskalt ausgenutzt hatte, indem er das (kapitalmarktheoretisch absurde) Kompromissangebot des BVerfG im Vorlagebeschluss (Tz. 100 – unbedingt lesen!) rundweg ausschlug. Es ist daher ganz klar: ein Mittelweg muss her. Und für den braucht man vielleicht gar keine spieltheoretische Ausbildung. Denn das kann – fast wia im richtigen Leb’n – nur das Abschieben der Verantwortung für die Letztentscheidung auf einen Dritten sein. Sie glauben’s nicht? Dann sei Ihnen die Lektüre der Verhandlungsgliederung für den 16. Februar ans Herz gelegt. (Pressemitteilung Nr. 3/2016 vom 15. Januar 2016, abrufbar unter www.bverfg.de) Ob die Verfassungsorgane ihre „Beobachtungspflichten“ auch artig wahrnehmen werden? Und ob die Damen und Herren in Frankfurt die „Konsequenzen für die Bundesbank“ anstelle der Richter tragen wollen? Wir werden es bald wissen. Zwei Dinge sind aber heute schon klar. Bellende Hunde beißen nicht (mehr). Und die Lektüre der endgültigen Entscheidung des Zweiten Senates wird wieder ein Leckerbissen. Nämlich für die Freunde der Kunst des Zurückruderns.