5. Februar 2012

Alexandra Kemmerer

Linguae et Litterae: Sprachenpolitik in der (Rechts-)Wissenschaft

Torre de Babel

 

Es ist eine crux mit der babylonischen Sprachverwirrung. Vielsprachigkeit kostet Zeit, Geld und Mühe. Dabei scheint es, als gelte auch in der Welt der Sprache das eherne Prinzip des „survival of the fittest“. Ist das Bemühen um Mehrsprachigkeit in der (Rechts-)Wissenschaft also nur noch ein aussichtsloses Rückzugsgefecht?

In der Wissenschaft hat das Englische das Deutsche aufgefressen“, konstatiert Dieter Simon auf dem Mops-Block, und mahnt verdienstvoll, „nicht allzu hastig die Mimesis des Angelsächsischen voranzutreiben, sondern den Unterwerfungsprozess besonnen und umsichtig – vielleicht sogar unter Rettung vereinzelter Positionen – vorzunehmen“.

Dem kann man nur zustimmen, wenn man tagtäglich versucht, dem Trend zur ausschließlichen, oft reichlich dilettantischen Verwendung der lingua franca im grenzüberschreitenden Rechtsgespräch beherzten Widerstand entgegenzusetzen, auch auf diesem Blog – verhalten noch, und mitunter nicht so geschliffen und eloquent, wie ich es mir wünschen würde. Aber der gute Wille ist da. Und die Sensibilität für das Problem.  Wer einen Forschungsverbund zur interdisziplinären Rechtsforschung aufbaut und unter dem Dach des Forums Transregionale Studien ein Postdoc-Programm etabliert, das sich an „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Weltregionen und Forschungszusammenhängen jenseits der etablierten europäisch-nordamerikanischen Diskussionskontexte“ richtet, sinnt hin und wieder über das Verhältnis von Gedanke und Sprache nach. Und auch über Möglichkeiten, den damit verbundenen Fragen in einem strukturierten Prozess disziplinübergreifender Reflexion nachzugehen.

Dennoch wittert Dieter Simon ausgerechnet hier die Bereitschaft zur vorschnellen Unterwerfung unter die Knute der lingua franca. Anlass seiner Polemik ist die heutige Veranstaltung des Berliner Seminars Recht im Kontext, bei der ein deutscher Rechtstheoretiker in englischer Sprache referieren wird. „Warum denn dies?“, fragt Simon. Die Antwort ist schlicht: Aus Gründen der Courtoisie, aus Höflichkeit gegenüber Gästen. Recht im Kontext wendet sich nicht nur an deutschsprachige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern adressiert sich auch an die Fellows des Wissenschaftskollegs, die aus allen Teilen der Welt für ein Jahr nach Berlin kommen. Und das von Recht im Kontext getragene Postdoc-Programm Rechtskulturen nimmt in jedem akademischen Jahr sieben Fellows auf, die im aktuellen ersten Jahrgang teils nur wenig, teils gar kein Deutsch sprechen. Das Programm fördert das Erlernen der deutschen Sprache oder das Aufpolieren bereits vorhandener Sprachkenntnisse, und dieses Angebot wird von den Fellows engagiert angenommen. Wenn Vorträge in deutscher Sprache gehalten werden, bemühen wir uns um eine Übersetzung des Manuskripts ins Englische.

Natürlich versuchen wir die skurrile Situation zu vermeiden, dass eine Veranstaltung mit ausschließlich deutschsprachigem Publikum auf Englisch stattfindet. Inklusion darf aber nicht einfach eine Frage von Mehrheiten sein – sie ist ein Gebot der Höflichkeit. Wer Gäste ernst nimmt, muss mitunter auch den 5% die Verständigung ermöglichen, die sonst vom Gespräch ausgeschlossen wären. Erreichen kann man diese Inklusion auf verschiedene Weise. Das Institut d’Études Avancées de Nantes beispielsweise setzt bei wissenschaftlichen Veranstaltungen vom Kolloquium bis zur Konferenz auf Simultanübersetzungen – eine Lösung, die auch die Hochschulrektorenkonferenz in ihrer lesenswerten Empfehlung „Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen“ vom 22. November 2011 vorschlägt. Vielleicht aber sind individuelle Lösungen – wie sie die Hochschulrektorenkonferenz auch in den Blick nimmt – sinnvoller. Das kann die Assistenz eines Übersetzers sein oder das Angebot des sprachlichen Feinschliffs eines Vortragsmanuskripts. Manchmal genügt auch schon ein Gespräch über die Grenzen der Übersetzbarkeit eines Gedankens, eines Begriffs oder eines Konzepts in eine andere Sprache.

Mehrsprachigkeit ist eine anspruchsvolle Angelegenheit, sie braucht Zeit und Mühe, sie kostet Geld. Vor allem aber braucht sie kundige Übersetzerinnen und Übersetzer, oder, besser noch: kundige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit sensiblem Sprachgefühl, die ihre Kompetenzen in den Dienst der Übersetzung stellen. Mit dieser Expertise kann man in unserer Wissenschaftskultur bislang keinen Blumentopf gewinnen, als Jurist schon gar nicht. Irgendwie ist das aber auch kein Wunder, solange konstruktive Debatten über die Herausforderungen der Sprachenvielfalt noch immer allzuoft bei solchen wohlfeilen urban legends, Pardon: ollen Kamellen enden wie bei der schönen Anekdote von der Frankfurter Podiumsdiskussion über „Hegel heute“.

Und was den heutigen Abend angeht: Um den Vortrag in englischer Sprache haben die Gastgeber den Redner gebeten.

Foto: Torre de Babel en Buenos Aires (Nicolás Giorgetti / flickr, Creative Commons)

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