Deutsche Gerichte dürfen der Meinungsfreiheit militanter Aktivisten bisweilen ein geringeres Gewicht zumessen als der von netten, höflichen Normalos. So hat zumindest der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte heute entschieden.
In dem Fall ging es um Tierversuche: Ein Journalist hatte undercover bei einem Unternehmen, das für medizinische Versuche Affen züchtet, angeheuert und bei der Arbeit heimlich Filmaufnahmen gemacht. Frontal 21 machte aus diesem Material einen Beitrag, andere sendeten ihn auch, und dagegen war das betroffene Unternehmen am Ende machtlos: Seit Günther Wallraffs Bildzeitungs-Enthüllungen wissen wir, dass im Prinzip solche journalistischen Methoden zwar illegal sind, aber die Verbreitung ihrer Ergebnisse deshalb noch lange nicht verboten werden können. Denn in der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht desjenigen, der von dem Journalisten heimlich ausgeforscht worden war, kommt der Meinungsfreiheit um so mehr Gewicht zu, je mehr der Journalist mit seiner Veröffentlichung einen „Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ geleistet hat. Soweit sie keine Unwahrheiten verbreiteten, durften Journalist und Sender dieses Filmmaterial somit verbreiten.
Das änderte sich aber, als der Verein „Tierbefreier e.V.“ den Film auf seine Website stellte. Hier hatte das OLG Hamm 2004 keine Lust, sich einem Verbot in den Weg zu stellen – denn dieser Verein habe „in der Vergangenheit gezeigt, dass er die Regeln des geistigen Meinungskampfes nicht gewährleistet“.
Dies belegte das OLG mit allerhand Zitaten von der Website des Vereins, in denen dieser Sympathie für militante Aktionen von Tierversuchsgegnern gezeigt und dem Unternehmen „Folter und Mord“ vorgeworfen hatte. Außerdem habe er dessen Website gehackt und Angestellte und Berater des Unternehmens persönlich unter Druck zu setzen versucht und anderes mehr. Ergo: kein geistiger Meinungskampf, kein höheres Gewicht der Meinungsfreiheit, kein Schutz vor Maulkorb.
Und was fällt dem EGMR dazu ein? Nicht viel. Die Kammer kann nichts Problematisches an der Argumentation des OLG Hamm entdecken:
Having regard to the foregoing considerations and, in particular, to the careful examination of the case by the domestic courts, which fully acknowledged the impact of the right to freedom of expression in a debate on matters of public interest, the Court considers that the domestic courts struck a fair balance between the applicant association’s right to freedom of expression and the C. company’s interests in protecting its reputation.
Ich akzeptiere, dass die Linie des OLG Hamm eine gewisse innere Logik hat. Aber ich tue mir trotzdem schwer damit, dass ein und die selbe Äußerung im Munde des einen weniger weitreichenden Schutz genießen soll als im Munde des anderen.