24. August 2021

Joachim Wieland

Negativzinsen als Eigentumseingriff?

Geldmengensteuerung der EZB

Wer sparen will, hat es schwer. Immer mehr Banken und Sparkassen zahlen für Geldanlagen nicht nur keine Zinsen mehr, sondern verlangen Verwahrentgelte. Zur Begründung verweisen sie regelmäßig darauf, dass die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bundesbank von den Geldinstituten für Geldeinlagen Negativzinsen verlangen. Die EZB schreibt den europäischen Kreditinstituten auf der Grundlage der Satzung des Europäischen Zentralbanksystems vor, auf ihren Girokonten bei den nationalen Zentralbanken wie der Bundesbank Pflichteinlagen (Mindestreserven) zu unterhalten. Deren Höhe hängt wesentlich davon ab, wie hoch die Kundeneinlagen bei Banken und Sparkassen sind. Über die Höhe der Mindestreserven und deren Verzinsung steuert die EZB die Geldschöpfung und damit die Geldmenge. Sie erfüllt damit eine klassische Aufgabe der Zentralbanken. Seit einiger Zeit erhebt die EZB auf Geldeinlagen der Kreditinstitute, welche deren Mindestreserve und einen erheblichen Freibetrag übersteigen, einen negativen Zinssatz von 0,5 Prozent. Mit dem negativen Zinssatz auf die Mindestreserven schafft die EZB für die Geldinstitute einen Anreiz, Einlagen ihrer Kunden möglichst schnell und weitgehend wieder durch die Gewährung von Krediten in den Wirtschaftskreislauf einzuspeisen. Den Instituten steht es frei, ob sie die ihnen durch den Negativzinssatz erwachsenden Ausgaben durch die Vereinbarung von Verwahrentgelten – häufig oberhalb von Freibeträgen von etwa 50.000 Euro, manchmal auch 100.000 Euro, oft nur von Neukunden, manchmal auch von Bestandskunden – auf ihre Kunden überwälzen. Das versuchen immer mehr, aber längst nicht alle Geldinstitute. Kunden weichen dem zum Teil durch einen Wechsel ihrer Bank oder Sparkasse aus.

„Geld im Sog der Negativzinsen“

Paul Kirchhof vertritt nun in einem als Buch veröffentlichten Gutachten („Geld im Sog der Negativzinsen“, 2021) die Auffassung, in der Erhebung von Negativzinsen liege ein verfassungswidriger Entzug der Substanz des Eigentums durch die EZB. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der verfassungsrechtliche Schutz des Geldeigentums. Wie jedes Eigentum ist auch das Geldeigentum des Sparers durch die Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand geschützt. Geldeigentum ist verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum Nichts anderes gilt für die privatrechtlichen Ansprüche der Sparerinnen und Sparer gegen ihre Bank oder Sparkasse.

Greift die EZB aber in dieses Eigentum ein, wenn sie von Geldinstituten Negativzinsen für deren Einlagen erhebt? Für Paul Kirchhof steht das außer Frage: „Wenn die EZB dem Geldeigentum mit dem Negativzins einen Teil seiner Wertsubstanz nimmt, bedürfen diese Eingriffe einer gesetzlichen Ermächtigung.“ Für Kirchhof sind die Banken Verwaltungshelfer bei der Belastung der Sparer mit Negativzinsen. Das Eigentum an Sparguthaben werde so durch mittelbares Einwirken faktisch beeinträchtigt. Das Handeln der Banken gegenüber ihren Kunden rechnet Kirchhof der EZB als Hoheitsträger zu (Geld im Sog der Negativzinsen, S. 175 f.).

Eigentumsgarantie schützt „Wertsubstanz“ nicht

Diese Thesen sind aber mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Grundrechtsdogmatik unvereinbar. Schon der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts der Bankkunden wird durch die Erhebung von Negativzinsen seitens der EZB nicht berührt. Aus Art. 14 Abs. 1 GG lässt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine allgemeine Wertgarantie vermögenswerter Rechtspositionen nicht ableiten. Geschützt wird das Recht, Sach- und Geldeigentum zu besitzen, es zu nutzen, zu verwalten und darüber zu verfügen. Eine „Wertsubstanz“ kennt die eigentumsrechtliche Dogmatik nicht. Vielmehr unterfällt der Tauschwert vermögenswerter Rechte für sich genommen gerade nicht dem Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG (BVerfGE 105, 17, 30).

Vereinbarung von Verwahrentgelten

Wenn Banken oder Sparkassen mit ihren Kunden Verwahrentgelte vereinbaren, bleibt deren Grundrecht, Geldeigentum zu besitzen, es zu nutzen, zu verwalten und darüber zu verfügen, zudem völlig unberührt. Den Kundinnen steht es frei, ihr Geld bei einem Institut anzulegen, das für Einlagen kein Verwahrentgelt verlangt oder einen niedrigen Zins zahlt. Sie können ihr Geld auch in Aktien, Anleihen oder Immobilien investieren. Sie haben jedoch kein Grundrecht auf ein Zinszahlungsangebot von Geldinstituten oder auch nur darauf, dass ihre Vertragspartner von ihnen kein Verwahrentgelt verlangen. Der Staat ist durch die Eigentumsgarantie nicht verpflichtet, die Verzinsung von Spareinlagen durch Banken und Sparkassen zu gewährleisten. Werden Zinsen gezahlt, gehört der Zinsanspruch selbstverständlich zum grundrechtlich geschützten Eigentum. Entschließt sich aber jemand, mit seiner Bank ein Verwahrentgelt zu vereinbaren, ist das von der Vertragsfreiheit und der Privatautonomie geschützt.

Dass längst nicht alle Banken Verwahrentgelte verlangen, zum Teil auch weiterhin niedrige Zinsen zahlen, steht zudem der Annahme Kirchhofs entgegen, die EZB greife mit der Erhebung von Negativzinsen auf die von den Geldinstituten bei ihr unterhaltenen Mindestreserven faktisch in das Eigentum der Sparerinnen und Sparer ein. Wenn diese mit ihren Geldinstituten kein Verwahrentgelt vereinbaren, belasten sie die Negativzinsen weder rechtlich noch faktisch. Ihnen wird auf dem Markt allerdings derzeit keine attraktive Verzinsung für Einlagen bei Geldinstituten angeboten. Dafür ist zumindest auch die Mindestreserveverzinsung durch die EZB ursächlich. Es gibt jedoch kein Grundrecht auf attraktive Zinsen für Spareinlagen. Nicht die Steuerung der Geldschöpfung durch die EZB, sondern die privatautonome Anlageentscheidung von Sparerinnen und Sparern führt zu deren finanzieller Belastung mit Verwahrentgelten. Das Grundgesetz kennt kein Grundrecht auf eine Mindestverzinsung von Spareinlagen oder gar auf attraktive Zinsen für Einlagen bei Geldinstituten. Dementsprechend war unter Berücksichtigung der Inflationsrate ein Sparkonto auch in der Vergangenheit schon oft ein schlechtes Geschäft. Eine schlechte Anlageentscheidung ist aber kein Eingriff in das Eigentum von Sparerinnen und Sparern.

Eine frühere Version dieses Artikels enthielt eine fehlerhafte Information zum Negativzins der EZB. Der Fehler ist korrigiert. Wir bitten um Entschuldigung.

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