3. Juli 2017

Fabian Steinhauer

Neues vom Glossator 6: Über Ehen, Eön und den Genuss des Gesetzes

John de Cock, A model for a monument for Mr. and Mrs. Karl-Heinz Kipp

1.

In Hannover führt man eine Ehe, in Wuppertal eine Eö. Dementsprechend gibt es in Hannover Ehemänner und Ehefrauen, in Wuppertal Eömänno und Eöfrau‘n. Die Standardisierung der deutschen (Schrift-)Sprache hat diesen Unterschied bisher nicht aufheben können. Die Wuppertaler beschweren sich nicht, zumindest nicht darüber, dass man bei ihnen nicht von der Ehe spricht, wohl aber von der Eö.

Die Entscheidung des Bundestages, gleichgeschlechtliche Paare in Zukunft nicht mehr zu diskriminieren und ihnen das zivilrechtliche Institut der Ehe nicht länger vorzuhalten hat eine alte Diskussion in neuen Schwung gebracht. Unter den vielen Kommentatoren gibt es nun einige, die vorbringen, dass sie mit der Gleichberechtigung gut leben könnten, sie verstünden nur nicht, warum gleichgeschlechtliche Paare auch von der Ehe sprächen. Dem möchte ich in zwei Punkten nachgehen.

2.

Lew Tolstoi hat einmal im Kontext einer größeren Untersuchung zur Ehe die These aufgestellt, alle glücklichen Familien seien einander ähnlich, jede unglückliche Familien sei aber auf ihre Weise unglücklich. Auch glückliche Ehen sollten danach einander ähnlich sein.  Dieses Ähnlich-sein kann man vielleicht als jenes Muster begreifen, nachdem manche Ehen musterhaft sein sollen. Der kurze Satz scheint so für sich nahezulegen, dass das Muster die Ähnlichkeit selbst sei. Unglückliche Ehe sollen anderen nicht ähnlich sein, sie scheinen in diesem Sinne musterlos.

Die Ähnlichkeit zu den Anderen, das Muster, das im Glück einer Ehe liegen soll, suchte Tolstoi sicher nicht in Gesetzbüchern. Unter vielem ist die Ehe auch ein waghalsiger Versuch, das Allgemeine mit dem Besonderen unter einen Hut und einen Begriff zu bringen. Wenn das funktioniert, dann vermutlich nicht nach Schema, nachdem Gesetzbücher formuliert werden. Tolstoi schildert die Welt der Gesetzbücher auch nicht gerade mit Respekt. Juristen erscheinen in seiner Untersuchung als Personal des Gesetzes. Das ist bei ihm kein besonders gutes Personal, vor allem aber besteht es aus Mitgliedern einer attraktionslosen Halbwelt der Normativität.  Karenins Anwalt zum Beispiel etwa ist „herausgeputzt wie ein Freier, […] kaum aber war er in seiner Pose zur Ruhe gekommen, da flatterte über den Schreibtisch eine Motte. Mit einer Flinkheit, die man ihm nicht zugetraut hätte, nahm der Anwalt die Hände auseinander, fing die Motte und nahm erneut die vorige Haltung ein.“ Juristen traut Tolstoi nicht zu, etwas über das Muster der Ehe zu formulieren.

In Gesetzbüchern hat man das Muster und die Ähnlichkeiten also nicht zu suchen, wohl aber in Büchern. Unter anderem darum schreibt Tolstoi auch „Anna Karenina“. Er stammt aus einer Welt, die manchmal vergessen wird, wenn man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kunstfreiheit liest. Dort sieht es nämlich so aus, als kämen Gesetz und Normen nur im Recht vor, während die Kunst vor allem aus Freiheit bestünde. Darum sollen Juristen möglichst nicht wagen, die Kunst zu definieren. Tolstoi stammt aus einer Welt, die vielleicht durchaus einen hohen Begriff von Kunst hatte, aber bestimmt nicht so hoch, als dass er glauben würde, dass die literarische Welt nicht selbst juridisch wäre, also Ähnlichkeiten mit dem Recht hätte. Seine literarische Welt ist normativ, voller Muster und Prozesse. In der Kunst finden sich Gebote und Verbote, Definitionen und andere Limitierungen zu Hauf. Alles, was dem Recht ähnlich ist, das findet sich auch im Roman des 19. Jahrhunderts. Dort wird nämlich das Gesetz geprobt. Und auch das Gesetz der Ehe wird geprobt. Wer Muster und Ähnlichkeiten sucht, möge blättern, auch bei Tolstoi.

Tolstoi wäre vermutlich nie auf die Idee gekommen, dass Juristen ein Definitionsmonopol für die Ehe haben. Er wäre aber auch eben so wenig auf die Idee gekommen, die sei eine Angelegenheit, die man dem natürlichen Vollzug und einer sprachlosen Aufrechthaltung von Geschlechtsgemeinschaften überlassen kann. Sie braucht Muster und Ähnlichkeiten – und erst mit deren Gestalt kommt sie so recht in Schwung.

In den gesamten Definitionen der Ehe, die heute kursieren und die jüngst aus Anlass der Entscheidung des Bundestages hervorgekramt oder neu entworfen werden, wird meist ein wichtiges Element übersehen. Die Ehe ist auch eine sprachliche Angelegenheit. Unabhängig davon, ob sie nun musterhaft oder Anderem ähnlich ist, sie ist auf jeden Fall auch zeichenhaft. Die Ehe ist auch eine Zeichentechnik, sie ist sprachlich strukturiert. Kein Wunder also, dass in jüngster Zeit wieder einmal um Worte gestritten wird.

3.

In der Moderne gerät die Ehe im Feld der Zeichentechniken und Sprachen auch zur Nachahmung eines kanonisch-rechtlichen Institutes. Schaut man sich jene philosophische Literatur an, die versucht, diese Übertragung für einen säkularen (Rechts-)Staat auf den Begriff zu bringen, ist man auch nicht mehr überrascht, dass die Literaten auf den Plan gerufen wurden, um die Sache in ein zwar einerseits problematischeres, andererseits aber auch besseres Licht zu bringen. Nehmen wir nur Kant.

In einer Passage seiner Metaphysik der Sitten bringt Kant die Möglichkeit der Ehe ins Spiel, indem er zunächst einmal von Geschlechtsgemeinschaften spricht. Eine Geschlechtsgemeinschaft ist nach Kant nicht einfach die Gemeinschaft eines Geschlechtes, so wie es die Habsburger (oder die Steinhauers) sind. Es ist der „wechselseitige Gebrauch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen“. Wer also eines anderen Geschlechtsorgane und Vermögen wechselseitig gebrauchen will, sollte sich die Passage genauer anschauen. Man lernt dort ‚Kants Ehe‘ kennen, die allerdings nur auf dem Papier existierte.

Sein Schreiben über die Ehe ist im wahrsten Sinne eine Passage, er durchgeht nämlich einige Unterscheidungen, um die Ehe zu definieren. So müsse man die natürlichen und die unnatürlichen Geschlechtsgemeinschaften unterscheiden. Die natürlichen könnten „seines Gleichen“ erzeugen. Die unnatürlichen sollen Gebrauch  „an einer Person ebendesselben Geschlechts, oder einem Thiere von einer anderen als Menschengattung“ sein. Auch wenn Kant damals der eigenen Logik nach unterstellt hat, das Thiere „wechselseitig Gebrauch von eines anderen Vermögen“ geübt haben, klang das nicht attraktiv, zumindest nicht für die Ehe.

Kant unterscheidet also weiter: Unter den natürlichen Geschlechtsgemeinschaften gibt es wiederum diejenigen „thierischer Natur“ und jene „nach dem Gesetz“. Nur das letzte soll die Ehe sein. Kant nennt sie auch, wie im kanonischen Recht, matrimonium.  Lange Rede kurzer Sinn: Die Ehe ist nach Kant eine Geschlechtsgemeinschaft nach dem Gesetz, man nennt sie auch matrimonium.

Die Ehe ist bis heute der Inbegriff jenes Instituts, das möglichst attraktiv und möglichst verbindlich sein soll. Bei keinem anderen rechtlichen Institut versucht man Attraktivität und Verbindlichkeit so eng zusammenzufassen. Auch daran arbeitete vielleicht Kant, auch wenn sich das nicht auf den ersten Blick erschließt und man heute in der Vorlesung zu Art 6 GG häufig die Lacher auf seiner Seite hat, wenn man Kant zitiert. Weil man aber den Ochsen bei den Hörnern und den Menschen bei der Zunge bindet, sollte man auch den Zusammenhang von Attraktivität und Verbindlichkeit nicht aus den Augen verlieren. Wie schlägt sich in dieser Beziehung Kant? Wie attraktiv und verbindlich beschreibt er die Ehe?

Kant spricht eher undeutlich davon, dass man es bei der Ehe mit einem Institut zu tun hat, das einen nicht nur den Partner, sondern auch das Gesetz genießen lässt. „Denn der natürliche Gebrauch, den ein Geschlecht von den Geschlechtsorganen des anderen macht, ist ein Genuß, zu dem sich ein Theil dem anderen hingiebt“ schreibt Kant – und kommt dann gleich auf die sachenrechtliche Dimension dieses Genusses zu sprechen. Ein Partner erwerbe durch die Ehe nicht nur die Gliedmaßen, sondern gleich die ganze Person einer Anderen.  Das klingt alles nicht sonderlich attraktiv. So attraktiv wie verbindlich wird die Passage eher durch den Umstand, dass Kant zuerst eine Reihe von anderen Geschlechtsgemeinschaften ausschließt, um dann auf diejenige „nach dem Gesetz“ zu sprechen zu kommen. Man kann hierin eine bloß logisch notwenige dihairetische Vorgehensweise sehen. Man sollte aber die Möglichkeit nicht aus den Augen verlieren, dass Ehepartner nicht nur die Geschlechtsorgane des Anderen, sondern eben auch die Dihairesis und das Gesetz gleich mitgenießen. Kant spricht nicht von einer Geschlechtsgemeinschaft, die auch nach dem Gesetz noch genießbar ist. Er spricht von einer Geschlechtsgemeinschaft nach dem Gesetz, die genießbar ist, die also gerade auch nach dem Gesetz genießbar ist.

4.

Das Gesetz, von dem Kant spricht, ist nicht das Gesetz des modernen Rechtsstaates. Sein Text erinnert aber daran, dass auch in der Moderne das Gesetz nicht allein das formelle und materielle Gesetz im Sinne einer Verfassung ist. Es ist nicht einfach das Gesetz bürgerlicher Rechte. Kants Text erinnert daran, dass auch in der Moderne Gesetze verbleiben, die einer juristisch-begrifflichen Fassung noch vorgehen. Er erinnert daran, dass die Spannung zwischen Transzendenz und Immanenz nicht einfach dadurch verloren ging, dass die Götter aus dem Recht vertrieben wurden. Die Alterität des Gesetzes reproduziert sich in der Sprache und ihren normativen Effekten. Wenn wir auch über uns selbst bestimmen, die Sprache bindet uns.

Die Frage nach dem Gesetz sei, so formuliert es Ute Holl, die Frage nach der „Remanenz der Zeichen im Körper“. Wir werden von Zeichen besetzt und sind von Zeichen besessen. Nicht nur unser Bewusstes und nicht nur unsere Begriffe sind sprachlich strukturiert und damit Teil einer weiteren Legalität, also eines Gesetzes der Sprache, dessen Verbindlichkeit nur irrational bestritten werden kann. Auch unser Unbewusstes, unsere Träume und unsere Metaphern sind sprachlich strukturiert  – und damit Teil der Normativität und ihrer juridischen Erscheinungen. Nicht nur die Welt, auch unserer Partner eignen wir uns mit Hilfe von Zeichen an, und wir werden mit Hilfe von Zeichen ‚verpartnert‘ (um einmal ein besonders hässliches Zeichen zu wählen). Gehen wir unserem Begehren nach und genießen, wie Kant es formuliert, die „Geschlechtsgemeinschaft“, dann steigen wir nicht aus der sprachlichen Struktur aus. Nicht erst der sogenannte Telefonsex  zeigt, dass auch der Sex eine sprachliche Struktur kennt. So wild es auch zugeht: insofern ist Sex auch legal.

Zu den den vielen „Albernheiten“ (Lammert), die in den letzten Tagen um die Ehe kursierten, gehört ein Witz, den der Postillon, ein deutsches Satireblatt, machte. Gleich am Freitag meldete er die Geschichte eines gläubigen Katholiken, der mit der Entscheidung des Bundestages vom Freitag seine Erektionsfähigkeit verlor. Guter Witz, trifft er doch offensichtlich ein Argument, das man in den letzten Tagen auch zu hören bekam: Man sei nicht gegen die Gleichberechtigung, wolle aber die Unterschiede in den Lebensformen erhalten und frage sich darum, warum die Schwulen und Lesben ihre Lebensgemeinschaft auch nach altem Muster als Ehe bezeichnen wollten. Vielleicht ist für den einen oder anderen das Gesetz der Ehe tatsächlich nicht mehr genießbar, wenn er es mit anderen teilen muss.

Die gleichgeschlechtliche Ehe wurde vom Gesetzgeber endlich anerkannt, auch das Verfassungsgericht wird dagegen nichts mehr unternehmen können, das hoffe ich zumindest. Wer seine Zeichen und Gesetze dennoch exklusiv halten will, sollte darum darüber nachdenken, auf Alternativbegriffe zur Ehe umzusteigen. Für die heterosexuelle Ehe könnte man eventuell auf Wuppertaler Anregungen zurückgreifen und in Zukunft von der Ehö sprechen. Die Schrift allerdings, auch die Schrift des Gesetzes, kennt an sich so viele Differenzen, dass man den Text des Gesetzes für diese begriffliche Neuschöpfung nicht ändern muss. Was die Leute daraus machen, wenn sie sich in ihren Geschlechtsgemeinschaften oder während der Nacht Laute zuraunen, das hat das Gesetz in Vergangenheit ohnehin kaum interessiert. Ich bin nüchtern zuversichtlich, dass der Genuss des Gesetzes auch in Zukunft nicht nachlässt, wie immer die Leute auch zusammenleben.

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