17. Februar 2010

Maximilian Steinbeis

Obama vs. Palin 2012: Verfassungskrise in den USA?

Mal angenommen, ein führender liberaler Verfassungsrechtler würde plötzlich laut über die Möglichkeit eines Militärputsches in Deutschland nachzudenken anfangen. Wäre das auch nur im Entferntesten vorstellbar?

In den USA, dem Land, dem wir unsere Demokratie verdanken, ist es nicht nur vorstellbar. Es ist Fakt.

Sanford Levinson von der University of Texas ist zweifellos einer der führenden liberalen Verfassungsrechtler der USA. Drüben bei Balkinization hat er eine Reihe von Beiträgen (hier und hier) gepostet, in denen er Szenarien für die Präsidentschaftswahl 2012 entwickelt. Er rechnet mit einem Rennen, das sich in bemerkenswerter Weise von dem gewohnten demokratisch-republikanischen Zwei-Kandidaten-Showdown unterscheidet.

Vier Parteien

Was, wenn 2012 folgende Konstellation entsteht: Neben Obama/Biden und Petraeus oder sonst einem plausiblen Republikaner treten New Yorks Bürgermeister Bloomberg als Independent und Sarah Palin an der Spitze der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung an. Dann könnte die Situation entstehen, dass Sarah Palin genügend Staaten gewinnt, dass sie im Wahlmännergremium die relative Mehrheit erringt, auch mit nicht mehr als 20% der Stimmen.

Der Grund ist, dass im US-Wahlsystem in den meisten Bundesstaaten das „Winner-takes-all“-Prinzip herrscht: Wer in einem Staat vorn liegt, bekommt alle Wahlmänner dieses Staates. Das ist bescheuert und undemokratisch, hat aber 2000 schon einem anderen Kandidaten mit offenkundigen Eignungsdefiziten zum Einzug ins Weiße Haus verholfen.

Putsch oder Palin?

Diesmal wäre die Situation aber um Größenordnungen zugespitzter als 2000. Auf dieser Basis jemand so eklatant Ungeeigneten wie Sarah Palin zum Commander in Chief und zum mächtigsten Menschen der westlichen Hemisphäre zu machen – das wäre ein so hoher Preis der Verfassungstreue, dass nicht auszuschließen wäre, dass in Washington das Militär aufmarschiert.

Im Ernst, jetzt.

Umgekehrt, die Verfassung vorher noch geändert zu kriegen und das Wahlmännergremium abzuschaffen, das kann man vergessen. Solange die Palin-Gefahr nicht real vor der Tür steht, kriegt man dafür den Kongress nicht mobilisiert, und wenn sie dann real vor der Tür steht, würde man die Tea-Party-Bewegung in den offenen Aufstand treiben, wenn man mitten im Rennen die Regeln ändert.

Vom Segen des Verhältniswahlrechts

Für uns hier in Deutschland ziehe ich aus dieser Entwicklung zwei Schlussfolgerungen:

1. Der Trend, dass sich Politik immer weniger in bipolare Entscheidungsalternativen auflösen lässt, ist ein globaler.

2. Länder, deren Wahlrecht Kompromisse und Koalitionen erlaubt, sind besser für diesen Trend gerüstet als solche mit einem Mehrheitswahlrecht. (Da habe ich dazugelernt, das gebe ich offen zu.)

„a radically defective constitution…“

Wobei so oder so Levinsons Szenarien geeignet sind, auch uns hier in Europa das Gruseln beizubringen. O-Ton Levinson:

If one weren’t actually an American (or even just a resident in the US or even simply affected by (non)decisions that are being made by the US, one could simply sit back and enjoy the show of a collapsing political system trapped in the iron cage of a radically defective constitution. That, alas, is not an alternative available to almost anyone (since even penguins in Antarctica are affected by our non-functioning Congress). We’ll know some years from know what the proper analogies might be (e.g., America in 1774-76, Weimar, Paris in 1958, etc.)

(Link von mir)

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