Das Wahlverfahren bei der Bundestagswahl 2009 war nicht über alle Zweifel erhaben. Zu diesem Schluss kommt der soeben veröffentlichte OSCE-Bericht (Link von Wahlrecht.de über Twitter) zur Bundestagswahl. Einige Aspekte des Wahlrechts könnten eine Reform gebrauchen, finden die OSCE-Wahlwatcher:
It is of concern that the legislation does not provide for a judicial review of decisions made by the election administration before election day, thus diminishing access of citizens to timely and effective remedy as prescribed by OSCE commitments and other international legal instruments.
Das bezieht sich auf den Ausschluss von Gabriele Paulis Freie Union und Martin Sonneborns PARTEI. Ferner missfällt den OSCE-Experten, dass der Wahlprüfungsausschuss aus Abgeordneten des neu gewählten Bundestags besteht und somit über seine eigene Wahl entscheidet:
This raises an issue of potential conflict of interests, which could have an impact on the impartiality of and confidence in the body and its decisions.
Der OSCE-Bericht schlägt vor, zu überdenken, ob weiterhin für Wahlprüfungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht 100 Unterschriften nötig sein sollen. Warum man die Unterstützung anderer brauchen soll, um sich gegen individuelle Verletzung der Wahlrechtsgleichheit gerichtlich zur Wehr zu setzen, will den Berichterstattern nicht einleuchten.
Für einen ziemlichen Skandal halten sie, dass man in Deutschland gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl keinen Rechtsschutz außer dem Wahlprüfungsverfahren hat. Wenn man daran gehindert wird, von seinem passiven oder aktiven Wahlrecht Gebrauch zu machen, muss man erst warten, bis die ganze Wahl gelaufen ist, und erst dann kann man sich beschweren – beim Wahlprüfungsausschuss, der die Beschwerden routinemäßig in die Tonne tritt, und anschließend beim Bundesverfassungsgericht, das erst entscheidet, wenn die Legislaturperiode schon so gut wie rum ist.
To ensure the protection of suffrage rights, consideration should be given to revising the appeals arrangements so that at least certain types of complaints, in particular those related to the eligibility of parties and registration of candidates, landlists and voters, could be heard by a judicial body before the election, thereby providing a timely resolution of election-related disputes that is integral to the broader principle of effective means of redress.
Da braucht man eigentlich keine OSCE dafür, um einzusehen, dass das eine gute Idee wäre. Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings anderer Meinung und hält den Rechtsmittelausschluss im Sinne eines „reibungslosen Ablaufs einer Parlamentswahl“ für vertretbar. Auf dem Standpunkt steht Karlsruhe schon seit 50 Jahren; Wahlprüfungsbeschwerden gibt es ja nicht erst seit gestern. Vielleicht trägt die Mahnung der OSCE, verbunden mit dem Wandel der Parteienlandschaft, dazu bei, dass in Karlsruhe ein Sinneswandel einsetzt.
(Dank an den Twitter-Hinweis von Wahlrecht.de)
Update: Ich Blödmann hatte zunächst OECD und OSCE durcheinander gebracht, Fehler korrigiert.