27. Januar 2015

Christoph Herrmann

OMT-Verfahren in der Kritik: Von Juristen, Ökonomen und wer wofür kompetent ist

Daran, dass Ökonomen, die über keinerlei juristische Ausbildung verfügen, über Rechtsfragen räsonieren (oder auch schwadronieren), daran hat man sich in der Eurokrise längst gewöhnt. Dass sie anfangen, Juristen umgekehrt deren freimütige Einräumung ihrer ökonomischen Unkenntnis auch noch anzukreiden, das ist neu. Nichts Anderes aber hat Jürgen Stark, immerhin ehemaliger Chefvolkswirt und Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank, mit seinem Standpunkt in der F.A.Z. vom 21.01.2015 unter der Überschrift „Sachkenntnis: Mangelhaft“ jedoch getan. Konkret wirft Stark dem Generalanwalt des Gerichtshofs der Europäischen Union Pedro Cruz Villalón vor, dass dieser in seinen Schlussanträgen zum OMT-Verfahren vom 14.01.2015 (Rs. C-62/114) zugibt, ihm fehle Expertise und Erfahrung der EZB in diesem Bereich. Daraus leitet Stark sodann ab, damit fehle dem Generalanwalt aber auch gleich die notwendige Sachkenntnis zu einer fundierten Stellungnahme und Bewertung des OMT-Programms, weswegen er sich unangemessen auf die Expertise der EZB stütze.

Natürlich darf Herr Stark – wie er zugibt: als Nichtjurist – eine Meinung zu den Schlussanträgen haben, und natürlich darf er diese auch gerne äußern: die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, ohne Zweifel. Wer allerdings als Ökonom und juristischer Laie einem Spitzenjuristen dessen ökonomische Unkenntnis vorwirft und in der Folge damit auch noch dessen Befähigung zu und die Qualität der von ihm zu leistenden juristischen Aufgabe in Zweifel zieht, hat Grundsätzliches nicht verstanden: die vom Europäischen Gerichtshof zu treffende Entscheidung über das OMT-Programm ist eine juristische, keine ökonomische! Über die ökonomische Richtigkeit und Angemessenheit von SMP, OMT, Quantitative Easing, LTRO und den vielen anderen non-standard monetary policy measures können und sollen Ökonomen streiten! Sie tun das ja auch, und zwar intensiv. Dieser ökonomische Diskurs sollte institutionell im EZB-Rat stattfinden, der nach den Verträgen über die Festlegung und Ausführung der Geldpolitik mit dem primären Ziel der Preisstabilität und dem nachrangigen Ziel der Unterstützung der Wirtschaftspolitik in der EU allein zu entscheiden hat.

Diese Zuweisung einer Aufgabe, die spezifische Kenntnisse, Informationen und Erfahrungen erfordert, führt dazu, dass ihre Erfüllung juristisch immer nur eingeschränkt kontrollierbar ist, weil Gerichte niemals selbst über diese Art und dieses Maß von Sachverstand und relevanten Informationen verfügen können. Die jeweilige Institution, sei es der Gesetzgeber, sei es die EZB oder eine andere spezialisierte Behörde, genießt daher regelmäßig das, was Juristen einen „weiten Einschätzungs- und Ermessensspielraum“ nennen. Dieser ist gerichtlich nur auf evidente Überschreitungen und die Beachtung des Rechts zu überprüfen. Im vorliegenden Fall ist dazu zwingend zu fragen, welche Instrumente die EZB im Rahmen des OMT mit welcher Begründung einsetzen will. All dies führt der Generalanwalt völlig zu Recht aus und hält insoweit die von der EZB vorgetragene Begründung, der geldpolitische Transmissionsmechanismus sei gestört, weil die Geldpolitik nicht in allen Bereichen der Eurozone wirkt, für hinreichend plausibel. Ob diese EZB-Einschätzung in der Sache letztlich richtig ist oder nicht, haben weder der Generalanwalt, noch der Gerichtshof zu beurteilen; erst recht nicht das Bundesverfassungsgericht! Auch das gerne von Ökonomen bemühte Argument, ökonomisch mache es keinen Unterschied, ob am Primärmarkt oder Sekundärmarkt Anleihen gekauft würden, ist juristisch nicht maßgeblich. Entscheidend ist, dass die Verträge die beiden Sachverhalte strikt unterschiedlich behandeln. Das von Stark gegen die im Rahmen des OMT-Programms differenzierende (nicht diskriminierende) Geldpolitik angeführte Prinzip der „Einheitlichkeit der Geldpolitik“ findet in den Verträgen der EU hingegen gerade keine unmittelbare Grundlage.

Im Ergebnis schlägt der Generalanwalt dem Gerichtshof zu Recht vor, judizielle Zurückhaltung walten zu lassen, etwas was man beim Bundesverfassungsgericht in der OMT-Vorlage vor einem Jahr leider schmerzlich vermisst hat. Gegen dieses muss sich der generelle Vorwurf von Stark nämlich auch richten: Das Bundesverfassungsgericht verfügt ebenfalls über keine eigenständige ökonomische Sachkenntnis und stützte sich daher (neben Experten mit vorhersehbaren Meinungen) maßgeblich auf die Stellungnahme der Bundesbank, die es noch dazu als „überzeugend“ klassifizierte, wohingegen es die EZB-Ausführungen entweder unbeachtet ließ oder in seinem Sinne umdeutete.

Die Problematik des OMT-Verfahrens liegt letztlich darin, dass eine ökonomische Auffassung, die im maßgeblichen EZB-Rat keine Mehrheit gefunden hat (konkret stimmte der Rat mit 22 : 1 Stimme für das OMT-Programm), nunmehr auf gerichtlichem Wege durchgesetzt werden soll. Dass dieser Versuch gerade aus Deutschland unternommen wird, das die Unabhängigkeit der EZB in der derzeitigen Form zur conditio sine qua non der Währungsunion gemacht hatte, ist eine bemerkenswerte Pointe dieses Verfahrens.

Schreibe einen Kommentar