3. September 2014

Maximilian Steinbeis

Parodie ist Meinungsfreiheit – aber nicht, wenn sie rassistisch ist

Wenn jemand einen Text, den ich geschrieben habe, mit lauter rassistischen Stereotypen vollpackt und als „Parodie“ veröffentlicht – darf der das? Das darf er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, wenn man dem Europäischen Gerichtshof folgt, der dazu heute ein Urteil veröffentlicht und dabei, wenn ich das richtig sehe, paradoxerweise die Meinungsfreiheit eher gestärkt als geschwächt hat.

Es geht um einen belgischen Fall, in dem die rechtsextreme Partei Vlaams Belang ein in Belgien offenbar berühmtes Comic-Cover aus dem Jahr 1961 für ihre Propaganda einsetzten. Das Comic-Bild zeigt einen fliegenden Wohltäter, der Geld verstreut. In der Vlaams-Belang-Version wurde daraus der Bürgermeister von Gent, und die Leute, die das Geld aufsammeln, trugen alle Burka oder dunkle Hautfarbe.

Das Urheberrecht ist bekanntlich dazu da, dass nicht irgendjemand meine Werke nehmen und für seine Zwecke einspannen kann, ohne mich zu fragen. Für Parodien gibt es aber nach der Urheberrechts-Richtlinie eine Ausnahme, von der die Mitgliedsstaaten Gebrauch machen können oder nicht. Belgien hatte davon Gebrauch gemacht.

Nun hätte sich der EuGH auf den Standpunkt stellen können, dass solche Ausnahmen eben nur ausnahmsweise greifen dürfen, dass normalerweise das Interesse der Rechteinhaber an der Integrität ihrer Werke im Vordergrund steht und deshalb die Ausnahme möglichst eng auszulegen sei. Dieser Logik folgt er sonst gerne, zuletzt bei der Frage der Privatkopie.

Aber nicht hier. Bei Parodien, so der EuGH, geht es um Meinungsfreiheit, und deren Schutz gehöre ebenfalls zu den Zielen des europäischen Urheberrechts.

Das heißt zunächst, dass Parodie im Wesentlichen alles ist, was irgendwie erkennbar satirisch daherkommt. Auf die Größe des Abstands zum parodierten Werk und den „eigenen Charakter“ der Parodie abzustellen, wie das belgische Gericht in seiner Vorlagefrage meinte, sieht der EuGH keinen Anlass, solange man Parodie und Parodiertes überhaupt noch auseinanderhalten kann.

Ich verstehe nicht viel vom Urheberrecht, aber mit dieser Ansage könnte sich auch unser deutscher BGH noch zu beschäftigen haben, oder irre ich mich?

Zwischen der Meinungsfreiheit des Parodisten und dem Urheberrecht des Parodierten, so der EuGH weiter, muss nun ein „angemessener Ausgleich“ gefunden werden. Hier kommt nun das Thema Rassismus ins Spiel.

Diskriminierung wegen Rasse, ethnischer Herkunft und Hautfarbe ist europarechtlich verboten. „Unter diesen Umständen“, so der EuGH, habe der Rechteinhaber

grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, dass das geschützte Werk nicht mit einer solchen Aussage in Verbindung gebracht wird.

Der Satz ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen stelle ich mir die Frage, ob er auch gilt, wenn die Aussage der Parodie nicht europarechtlich verboten ist. Kommt es, wenn jemand mein Werk benutzt, um damit etwas mir zutiefst Verhasstes zu propagieren, darauf an, dass neben mir auch die Rechtsordnung als Ganzes dieses missbilligt?

Zum anderen aber finde ich interessant, dass der EuGH hier einen anderen Weg einschlägt als Generalanwalt Cruz Villalón. Der hatte in seinen Schlussanträgen vorgeschlagen, die Meinungsfreiheit materiell zu begrenzen. Die Meinungsfreiheit sollte im privatrechtlichen Konflikt mit dem Urheberrecht dann den Kürzeren ziehen, wenn die Äußerung

zu den tiefsten Überzeugungen der Gesellschaft in Widerspruch steht (…), auf denen der europäische öffentliche Raum beruht und letztlich existiert.

Ich bin nicht böse darüber, dass der EuGH diesen Weg nicht mitgegangen ist. Dieser Ansatz greift einerseits zu kurz und geht andererseits zu weit. Zu kurz greift er, weil die „tiefsten“ Überzeugungen ein so hoher Maßstab sind, dass eigentlich nur die Auschwitzlüge ihm genügt (die auch Gegenstand einer der zwei Urteile des spanischen Verfassungsgerichtshofs aus den Neunzigern war, auf die der Generalanwalt sich hier stützt.) Zu weit geht er, soweit er die Gesellschaft dazu auffordert, sich auf irgendwelche „tiefsten Überzeugungen“ festzulegen, was allzu leicht in einem kulturalistisch-identitären Schnullidiskurs mündet.

Was dagegen der Gerichtshof hier macht, ist viel eleganter: Nicht die „tiefsten Überzeugungen der Gesellschaft“ geben den Ausschlag, sondern mein Recht als Urheber, nicht mit meiner schöpferischen Leistung für irgendwelche rassistischen Zwecke vergewaltigt zu werden.

Update: Wie Parodie und Original aussehen, kann man bei Steven Peers EU Law Analysis Blog sehen, wo Gastautorin Sabine Jacques das Urteil kritisch analysiert.

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