Thilo Sarrazin verbreitet kryptorassistischen Blödsinn. Er tourt damit durch Deutschland und lässt sich als „Volksheld“ bejubeln. Er schließt die Dynamitblöcke Minderheiten, Bevölkerungspolitik und Vererbungslehre miteinander kurz, als hätte es Adolf Hitler nie gegeben, und freut sich, wenn es funkt und kracht und die Fetzen fliegen. Er faselt über ein „jüdisches Gen“ und sagt danach flugs Tschuldigung, damit ihn niemand dafür zur Verantwortung zieht. Die Bildzeitung zitiert ihn auf Seite 1 damit, dass er einen jüdischen Fernsehmoderator ein „Arschloch“ nennt.

Dass der Mann dem Ansehen der Institution schadet, für die er arbeitet, liegt auf der Hand. An guten, handfesten Gründen, ihn rauszuschmeißen, fehlt es bestimmt nicht. Man sollte es tun. Unbedingt.

Aber vielleicht geht das einfach nicht.

Entlassung nicht vorgesehen

Das Bundesbankgesetz sieht für den Fall, dass ein Bundesbankvorstand gegen seinen Willen entlassen werden soll, nirgends eine Regelung vor. Das ist wohl nicht bloß ein Redaktionsversehen: Die Unabhängigkeit des Vorstands gebietet, dass es niemand gibt, der seine Mitglieder entlassen kann, denn gäbe es so jemand, dann wären sie ja von dem jemand abhängig.

Mal angenommen, Sarrazin wäre nicht Bundesbankvorstand, sondern – sagen wir – Richter am Bundesverfassungsgericht?

Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz gibt es, anders als im Bundesbankgesetz, eine Regelung, nämlich § 105 I:

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann den Bundespräsidenten ermächtigen,

1. …

2. einen Richter des Bundesverfassungsgerichts zu entlassen, wenn er wegen einer entehrenden Handlung oder zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist oder wenn er sich einer so groben Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, daß sein Verbleiben im Amt ausgeschlossen ist.

Also im wesentlichen, wenn man ihn mit heruntergelassener Hose auf dem Spielplatz erwischt hat.

Was Sarrazin sich geleistet hat, ist – bei aller Liebe – von anderer Qualität.

Sarrazin’s day in court

Der Fall des Verfassungsrichters unterscheidet sich insofern, als seine Unabhängigkeit eine Sache der Gewaltenteilung ist, also etwas ganz Fundamentales, während die des Bundesbankers einem Zweck dient, nämlich zu verhindern, dass die Regierung die Geldpolitik für ihre Zwecke instrumentalisiert.

Aber was heißt das? Soll man die Unabhängigkeit der Bundesbank teleologisch reduzieren, um eine Regelungslücke zu erhalten, über die man dann irgendwelche abenteuerlichen Analogiekonstruktionen zimmert, um Sarrazin nach draußen befördern zu können?

Selbst wenn man das bejaht: Das Üble daran ist, dass man Sarrazin so his day in court verschafft. Aus dessen Sicht könnte ihm gar nichts schöneres passieren: Thilo, der „Volksheld“, bedrängt von politischen Finsterlingen, die ihn zum Schweigen bringen und vernichten wollen, zieht nach Karlsruhe, sich sein Recht zu holen!

Im Falle eines Rausschmisses droht ein Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,

droht düster Klaus von Dohnanyi, der 82-jährige Ersatzweizsäcker der SPD,  in der SZ heute in einem Gastbeitrag, der ansonsten einen weniger selbstdisziplinierten Kommentator als mich womöglich zu altersdiskriminierenden Bemerkungen hinreißen könnte.

Und Sarrazins eigenes Wort vom „Schauprozess„, den der Bundespräsident ihm ja nicht machen solle, wenn er sich keine Klage einfangen wolle, verrät, wohin die Fantasie des Mannes züngelt.

Ein Job für den Bundespräsidenten

Für Bundespräsident Wulff ist das eigentlich eine Riesenchance. Er gilt als Gauck-Verhinderer und Machtapparatschik, und das ist noch nicht mal ungerecht. Jetzt könnte er Mut und Stehvermögen beweisen.

Er könnte Sarrazin im Amt lassen. Und gleichzeitig unmissverständlich klar stellen, dass er stinkt. Dass wir das aber, mit zugehaltener Nase, aushalten müssen.

Damit würde er Sarrazin die Schau stehlen, seinem Amt ein Stück seiner Würde zurück geben und seinem Land den Dienst einer klaren Ansage erweisen, wo der Unterschied liegt zwischen unbequemen Wahrheiten und ressentimentgetriebenen Falschheiten.

Ob er das Format dazu hat? Ich glaub’s ja nicht. Aber ich lasse mich gern überraschen.

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