An so einem Tag fällt es mir etwas schwer, mich auf Fragen des nachehelichen Unterhalts zu konzentrieren, aber der Verfassungsblogger ist von eiserner Disziplin, zumal das heutige BVerfG-Urteil tatsächlich ein ziemlicher Hammer ist.
Ich mach es kurz, damit ich wieder Al-Jazeera kucken gehen kann: Die roten Roben vom Schlossbezirk haben den purpurnen Roben aus der Herrenstraße tüchtig einen eingeschenkt und sie der verfassungswidrigen Anmaßung gesetzgeberischer Kompetenzen geziehen. Das kommt nicht oft vor, selbst zwischen diesen beiden Institutionen, die eine lange und wechselvolle Geschichte des gegenseitigen Sichstreitigmachens der Rolle als Gericht Nr. 1 im Staate miteinander verbindet, und wird das Karlsruher justizielle Mikroklima spürbar abkühlen, vermute ich mal.
Nach Ansicht des Ersten Senats löst sich die Art und Weise, wie der BGH den nachehelichen Unterhalt bei Wiederverheiratung eines der Geschiedenen berechnet,
von dem Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung nachehelichen Unterhalts und ersetzt es durch ein eigenes Modell. Mit diesem Systemwechsel überschreitet sie die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung.
Soll mir recht sein, kann ich auch gar nicht beurteilen. Was ich mich aber frage, ist, ob sich das BVerfG an den Maßstäben, die es – ganz zu Recht, wie ich finde – gewaltenteilungsmäßig an die Justiz generell anlegt, auch selber zu beugen bereit ist.
Art. 20 Abs. 2 GG verleiht dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck. Auch wenn dieses Prinzip im Grundgesetz nicht im Sinne einer strikten Trennung der Funktionen und einer Monopolisierung jeder einzelnen bei einem bestimmten Organ ausgestaltet worden ist (…), schließt es doch aus, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind, indem sie sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen (…). Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt.
Nun hat das BVerfG es nicht mit einfachen Gesetzen, sondern mit der Verfassung zu tun. Und die Verfassung ist ein offener Normtext und deshalb viel auslegungs- und fortbildungsbedürftiger als, sagen wir, das BGB.
Aber trotzdem bindet Art. 20 II GG auch das BVerfG. Und die Frage, ob die materielle Gerechtigkeitsvorstellung hinter der Beschwerdebefugnis aus Art. 38 GG gegen EU-Kompetenzerweiterungen tatsächlich die des Verfassungsgebers war und niemandes sonst, muss man hier schon stellen dürfen…
Update: BGH-Robenfarbe korrigiert – sorry
Foto: Markus Dollinger, Flickr Creative Commons
