19. Februar 2013

Maximilian Steinbeis

Sukzessivadoption: Karlsruhe schiebt den schwarz-gelben Peter zurück

Eigentlich ist es doch ganz einfach, zu erklären, was heute in Karlsruhe passiert ist: Adoptivkind und Adoptiveltern dürfen nicht ungleich behandelt werden je nach dem, ob die Adoptiveltern gleich- oder verschiedengeschlechtlich miteinander verheiratet sind. Das hat der Erste Senat heute beschieden, und zwar zur Überraschung von absolut niemandem.

Und trotzdem denke ich mir hier gerade einen Knoten ins Hirn bei der Lektüre. Das liegt an der Tenorierung.

Was hat Karlsruhe denn genau entschieden? Erstens: Die Regelung im Lebenspartnerschaftsgesetz, die die Sukzessivadoption in der Homo-Ehe unmöglich macht, ist insoweit verfassungswidrig. Zweitens: Die verfassungswidrige Regelung ist aber nicht nichtig. Sie bleibt bestehen während einer Übergangsfrist bis zur Mitte des Jahres 2014, um dem Gesetzgeber Zeit zu geben, sie durch eine verfassungskonforme Regelung zu ersetzen. Drittens: Diese vorläufig weiterbestehende Regelung ist aber mit der Maßgabe anzuwenden, dass sie die Sukzessivadoption in der Homo-Ehe möglich machen muss.

Nochmal ganz langsam. Verstehe ich das richtig? Das, was an der Regelung verfassungswidrig ist, soll erstmal weitergelten, aber mit der Maßgabe, dass das, was an ihr verfassungswidrig ist, nicht weiter gilt?

Und, nur mal so: Was passiert eigentlich, wenn der Gesetzgeber die Frist verstreichen lässt?

Ich kann mir diesen vogelwilden Tenor nur so erklären, dass sich Karlsruhe hier an einem Stück inter-verfassungsorganeller Drahtseildiplomatie versucht. Der Senat hat keine Lust, die Legislative damit davonkommen zu lassen, sich vor der Verantwortung für die verfassungskonforme Ausgestaltung des Adoptionsrechts zu drücken.

Dass die Regelung verfassungswidrig ist, konnte sich jeder an fünf Fingern abzählen. Auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition wusste genau, dass es keinen wirklich guten Grund gibt, Hetero-Ehen die Sukzessivadoption zu erlauben und Homo-Ehen nicht. Dennoch war ihr die Vorstellung angenehmer, sich in Karlsruhe verurteilen zu lassen und dann den eigenen Wählern achselzuckend sagen zu können: Sorry, war nicht unsere Idee, aber wir müssen halt.

Das, so wird man sich in Karlsruhe gedacht haben, könnte euch so passen.

Das ganze Urteil ist von beispielhafter Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber geprägt. An gleich einem halben Dutzend Stellen ist vom politischen Gestaltungsspielraum desselben die Rede, den das Gericht geradezu peinlich genau zu respektieren sich bemüht.

Grundsätzlich haben Kinder zwar ein Gewährleistungsrecht gegen den Staat, dass der ihnen vernünftige Eltern verschafft (in der Deutlichkeit übrigens ein sehr interessantes Novum, soweit ich sehe), aber wer trägt die Verantwortung für die konkrete Ausgestaltung dieser Schutzpflicht? Der Gesetzgeber.

Grundsätzlich können auch Homo-Ehen „Eltern“ im Sinne des Art. 6 II 1 GG sein und fallen daher in den Schutzbereich dieses Grundrechts, aber wer hat die Linie zwischen bloßer sozial-familiärer Verbundenheit und elterlicher Verantwortung zu ziehen? Der Gesetzgeber.

Grundsätzlich sind auch Homo-Ehen mit Kindern Familien und damit nach Art. 6 I GG dem besonderen Schutz des Staates anempfohlen, aber wem kommt bei der Gestaltung der „rechtlichen Struktur“ dieser tatsächlichen Lebensgemeinschaft ein Ausgestaltungsspielraum zu? Dem Gesetzgeber.

Der Maßstab, an dem das Gericht die Regelung schließlich tatsächlich scheitern lässt, ist das Recht auf Gleichheit, und zwar zuvörderst das des Kindes: Das hat ein Recht auf Schutz gegen den Staat, weshalb dieser besonders gute Gründe haben muss, wenn er dem einen Kind gibt, was er dem anderen vorenthält. Kindern in Hetero-Ehen die Adoption zu ermöglichen und Kindern in Homo-Ehen nicht, dafür gibt es aber nicht nur keinen guten, sondern überhaupt gar keinen erkennbaren Grund. Selbst wenn man glaubt, dass Kinder irgendwie vor dem Kontakt mit Homosexualität geschützt werden müssen – was der Senat explizit nicht glaubt – wäre das Verbot der Sukzessivadoption dazu ganz ungeeignet. Umgekehrt gibt es einen Haufen extrem guter entwicklungspsychologischer und rechtlicher Gründe, warum es für das Kind von großem Vorteil ist, mit demjenigen, der es erzieht, auch rechtlich verwandt sein zu dürfen.

Kurzum: So einen glasklaren Fall von verfassungswidriger Diskriminierung hat man nicht oft.

Zu den anderen Vergleichskonstellationen – Adoptivkind zu leiblichem Kind, Homo-Eltern zu Hetero-Eltern, Sukzessivadoption zu Stiefkindadoption – verliert das Gericht dann gar nicht mehr viele Worte. Das, so hat sich der Senat vielleicht gedacht, kann ja dann der Gesetzgeber tun, wenn er seinen Pflichten nachkommt und das Thema in der politischen Arena ausdiskutiert.

Zuletzt versäumt das Gericht nicht zu betonen, dass der Gesetzgeber über mehrere Möglichkeiten verfügt, verfassungsmäßige Zustände herbeizuführen. Er muss die Sukzessivadoption für Homo-Ehen nicht zulassen, wenn er nicht will. Er könnte sich genauso auch dazu entschließen, sie für Hetero-Ehen abzuschaffen. Wenn er will. Seine politisch zu verantwortende und verfassungsrechtlich überhaupt kein bisschen determinierte, vollkommen freie Entscheidung.

Soviel zu Karlsruhe. Aus Straßburg haben wir heute ja ebenfalls ein Grundsatzurteil zu einem eng verwandten Thema empfangen: im Fall von Österreich ging es um die Frage, ob das Verbot der Stiefkindadoption Homo-Ehen diskriminiert. Das Verbot läuft über das Argument, dass bei der Adoption der Adoptivvater den leiblichen Vater und die Adoptivmutter die leibliche Mutter ersetzt – so dass man bei der Stiefkindadoption womöglich den eigenen Ehepartner aus der Verwandtschaft mit seinem Kind kicken würde.

Straßburg hat es schwerer als Karlsruhe, weil es in der EMRK nur das Recht auf Familienleben gibt, während das Grundgesetz verschiedene Maßstäbe anbietet: Schutz der Ehe, Schutz der Familie, Schutz der Eltern, Schutz des Kindes. Das zwingt Straßburg dazu, sich mit einer Frage herumzuschlagen, die Karlsruhe an anderer Stelle verneint hat und um die es in diesem Fall geschickt herumtänzelt: Gibt es einen Anspruch auf Gleichbehandlung von Homo- und Hetero-Ehen? Den gibt es nicht, und deshalb auch keinen auf Stiefkindadoption (Gerichtspräsident Dean Spielmann ist in dem Punkt anderer Meinung).

Wohl aber, so die Richtermehrheit in der Großen Kammer, gibt es einen Anspruch homosexueller Lebenspartnerschaften, nicht schlechter behandelt zu werden als Paare, die überhaupt nicht miteinander verheiratet sind. Und für diese Ungleichbehandlung kann sie ebenfalls keinerlei Grund erkennen.

Nun müsste das noch nicht heißen, dass ein Verstoß gegen die EMRK vorliegt. Denn die lässt den Mitgliedsstaaten einen Spielraum, der mal enger, mal weiter zu ziehen ist – abhängig nicht zuletzt von der Frage, wie einig sich die Mitgliedsstaaten sind. Wenn es in Europa viel Konsens gibt über die Lösung gerade moralisch aufgeladener Rechtsfragen, kann ein einzelner Mitgliedsstaat sich dem schwerer entziehen als wenn alle da ganz unterschiedliche Wege gehen.

Ärgerlicherweise ist aber bei der Stiefkindadoption der Konsens, nun ja, nicht so groß. Zehn Mitgliedsstaaten erlauben sie, 35 nicht. Das Mehrheitsvotum löst das so, dass sie speziell die Frage der Gleich- oder Ungleichbehandlung von Homo-Ehen und unverheirateten Paaren behandelt, und da sei das Sample so klein, dass man über das Maß an Konsens gar nichts sagen könne.

Sieben Richter sind überhaupt nicht einverstanden mit dieser zugegebenermaßen robusten Art, das Konsensproblem zu lösen, und werfen der Mehrheit sehr unverblümt vor, Verfassungswandel nicht nachzuvollziehen, sondern antizipieren oder sogar herbeiführen zu wollen.

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