Articles for tag: BAGBerufsfreiheitGesetzesauslegung

Sachgrundlose Befristung nur bei Ersteinstellung: Auslegung im Wettstreit der Gerichte

Das BVerfG hat eine Gesetzesauslegung des Bundesarbeitsgerichts, die eine wiederholte sachgrundlose Befristung mit ein und demselben Arbeitgeber ermöglichte, für verfassungswidrig erklärt. Der Entstehungsgeschichte des Gesetzes sei ein „klar erkennbarer Wille des Gesetzgebers“ zu entnehmen, den das BAG bei seiner Auslegung nicht respektiert habe. Damit behält sich das BVerfG die letzte Entscheidung über die Rechtsfortbildung der Fachgerichte vor. Zugleich gerät auch ein Baustein aus dem ausgefeilten Konzept des Koalitionsvertrags ins Wanken.

Staatlicher „Hygienepranger“ vor dem Bundes­verfassungs­gericht

Die Behörden müssen die Öffentlichkeit informieren, wenn der Verdacht besteht, dass in Lebensmitteln zulässige Grenzwerte überschritten oder qualifiziert verbraucherschützende Regelungen verletzt werden. Diese Regelung dient nicht der Warnung und Gefahrenabwehr, sondern der Verbraucherinformation. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat sie jetzt im Verfahren einer abstrakten Normenkontrolle für teilweise verfassungswidrig erklärt. Sie ist insoweit mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar, als die Veröffentlichung nicht zeitlich begrenzt ist.

Nonchalance im Rechtsstaat? Anfragen an den Spielhallen-Beschluss des BVerfG

Gut 19 Milliarden Euro werden bei bis vor kurzem sprunghaft steigender Tendenz jährlich mit Geldspielgeräten umgesetzt. Da dabei auch das Suchtverhalten kranker Menschen wirtschaftlich ausgenutzt wird, muss man kein Mitleid mit der Spielgerätewirtschaft haben, wenn die Landesgesetzgeber ihr in Ausführung des 2012 geänderten Glücksspielstaatsvertrags nun massiv zu Leibe rücken. Es gehört aber zum Markenkern des Rechtsstaats, dass die Anforderungen an die Eindämmung vormals erlaubten Verhaltens nicht davon abhängen, wie sympathisch man dieses findet. Vor diesem Hintergrund verdient der jüngste Beschluss des BVerfG zur Spielhallenregulierung Beachtung, weil rechtsstaatliche Mindeststandards hinter den immer wieder betonten besonders herausgehobenen Allgemeininteressen, die mit der Regulierung auch zweifellos verfolgt werden, stark verblassen.

Zahnärzte dürfen „Zahnärztehaus“ gründen

Und warum auch nicht, sollte man meinen. Aber wer sich erinnert, was noch in den 90er Jahren berufs- und standesrechtlich in der Anwaltschaft los war, den wundert es vielleicht nicht so sehr, dass sechs Dentisten, die sich gemeinsam in einem „Zahnärztehaus“ niedergelassen hatten, Ärger mit der Zahnärztekammer bekamen, als sie diesen Begriff auch für die Werbung verwendeten, z.B. für einen gemeinsamen Webauftritt unter www.daszahnaerztehaus.de. Dem sei die Berufsfreiheit vor, fand jetzt das BVerfG in einer gestern veröffentlichten Kammerentscheidung: Wenn eine Standesorganisation einem ihrer Mitglieder aus dessen Werbung einen Strick drehen will, so lässt sich der Einwand der Verfassungsrichter zusammenfassen, dann ... continue reading

BVerfG erfindet Grundrecht auf freie Wahl der Staatsnähe des Arbeitsplatzes

Der Staat ist als Arbeitgeber einer von vielen. Aber er ist der einzige, der Gesetze machen kann. Das ermöglicht ihm, etwas zu tun, was viele andere Arbeitgeber auch gern tun würden: die Rechte seiner Beschäftigten dort, wo sie ihm unbequem sind, einfach – schnipps! – wegoperieren. Jetzt fällt ihm aber das Bundesverfassungsgericht in den Arm, in einer sehr bemerkenswerten Entscheidung, die die Privatisierung zweier hessischer Unikliniken betrifft. Die beiden Kliniken der Unis Gießen und Marburg waren zusammengelegt worden, um sie an eine private GmbH verkaufen zu können – und zwar durch ein speziell dafür angefertigtes Landesgesetz. Normalerweise kann man als ... continue reading

Markttransparenz ist nicht gefährlich

Das BVerfG hat heute eine weitere Folge in der Serie „Karlsruhe befreit die freien Berufe“ gesendet: Diesmal sind es die Zahnärzte, denen das Verfassungsgericht die Freiheit bescheinigt, an virtuellen Marktplätzen im Internet teilzunehmen, ohne dabei von ihren Kartell– Berufsorganisationen mit Unterlassungsverfügungen und Bußgeldbescheiden behelligt zu werden. Es geht dabei um ein Portal, wo registrierte User sich von Zahnärzten für ihre gewünschte Behandlung unverbindliche Angebote machen lassen können. Ein Zahnarzt, der daran teilgenommen hatte, war daraufhin vom Berufsgericht getadelt worden: Sein Angebot sei nicht seriös gewesen und habe nur dem Zweck gedient, potenzielle Patienten in seine Praxis zu locken. Dies verstoße ... continue reading

Von stolpernden Juraakrobaten

Nichtjuristen haben ja immer ihre helle Freude daran, einen besonders fintenreichen Juristen über seine eigenen advokatisch-akrobatisch verknoteten Juristenbeine stolpern zu sehen. Das kann man jetzt mit besonderem Genuss in einer neuen Nichtannahmeentscheidung des BVerfG tun: Da wird einem Notar, der sich offenbar besonders raffiniert vorkommt, in erfrischender Weise heimgeleuchtet. Dazu kommt, das ist jetzt eher ein fachfremder Aspekt, dass der Fall in Ostfriesland spielt. Notaren ist es verboten, Filialen aufzumachen – eine Regel, über deren Sinn und Zweck man sich streiten kann, wie bei Apotheken oder noch vor wenigen Jahren bei Anwaltskanzleien auch, die aber unzweifelhaft besteht und von quasi-amtlichen ... continue reading

Gentechnik-Urteil: Bahn frei dem Vorsorgestaat

Das ist das grünste Urteil aus Karlsruhe, das mir je begegnet ist. Seit 16 Jahren steht der Umweltschutz als Staatszielbestimmung völlig unbemerkt und unbedeutend im Grundgesetz (Art. 20a). Es gibt bislang kaum Rechtsprechung dazu. Es gibt ein paar Urteile, wo das BVerfG beiläufig den weiten Einschätzungsspielraum betont, den Art. 20a dem Staat einräumt, und die Verpflichtung des Staates zu irgendwelchen konkreten Maßnahmen verneint. Sonst hat dieser Artikel bisher überhaupt keine Rolle gespielt. Wäre er nicht da gewesen, hätte sich nicht groß etwas geändert. Seit heute ist das anders. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Gegenstand des heutigen Urteils steht das Gentechnikgesetz. Das ... continue reading

Karlsruhe gegen Komasaufen

Jugendliche mit Alkoholvergiftung sind eine üble Sache, und ein großes Boulevard-Thema obendrein, und das ist wohl der Grund, warum es dem Bundesverfassungsgericht jetzt schon zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Pressemitteilung wert ist, dass das baden-württembergische Verbot des nächtlichen Alkoholverkaufs nicht verfassungswidrig ist. In Baden-Württemberg darf von 22 bis 5 Uhr in Läden kein Alkohol verkauft werden. Im Juli war der Kläger ein trinkfester Kunde, der seine allgemeine Handlungsfreiheit durch das Verbot beschnitten sah. Jetzt geht es um die Berufsfreiheit einer Tankstellenpächterin. Die hat auch kein Glück, aber zur Begründung des Nichtannahmebeschlusses holt die 2. Kammer des Ersten Senats ... continue reading

Karlsruhe erleichtert Verstaatlichung im Gesundheitssektor

Wenn es um Leben und Gesundheit geht, darf der Staat zwar nicht alles, aber doch eine ganze Menge. Unter anderem darf er etwas, was er seit dem berühmten Apothekerurteil von 1958 eigentlich fast nie darf: Er darf Leuten ihren Beruf verbieten, und zwar auch aus Gründen, für die diese Leute überhaupt nichts können. Solche „objektiven Zulassungsvoraussetzungen“, wie das seit 1958 heißt, hat das BVerfG damals nur in extremen Ausnahmefällen zugelassen, zur Abwehr „nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ nämlich. Die heute veröffentlichte Entscheidung des Ersten Senats zum Rettungswesen in Sachsen macht von dieser Möglichkeit, die in ... continue reading