Dagegen sein
Über Versammlungsfreiheit, Allgemeinverfügungen und Felsbrocken, die das Verwaltungsrecht schmeißt und das Verfassungsrecht trifft
Über Versammlungsfreiheit, Allgemeinverfügungen und Felsbrocken, die das Verwaltungsrecht schmeißt und das Verfassungsrecht trifft
Wir alle haben die Nase voll von der Pandemie. Je erschöpfter wir sind, desto dringender ist der Wunsch nach einem Wundermittel, das der Pandemie ein Ende bereitet. Doch Impfpflichten sind verfassungsrechtlich nur in engen Grenzen zulässig. In der aktuellen Situation werden diese engen Grenzen verfehlt. Eine Impfpflicht ist kein verfassungsrechtlich zulässiger Weg aus der Pandemie.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Art. 3 III 2 GG gesetzliche Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierung bei einer Corona-Triage verlangt. Vor allem stellt die Entscheidung klar, dass Art. 3 III 2 GG, wie alle Grundrechte, auch objektive Wertentscheidung und Schutzauftrag ist – ein Schutzauftrag, der sich zu einer gesetzgeberischen Schutzpflicht verdichten kann.
Der Gesetzgeber soll das Unregelbare regeln. Jedenfalls partiell. Mit seiner Triage-Entscheidung hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts der Legislative aufgegeben, Vorkehrungen zum Schutz vor Benachteiligungen Behinderter im Rahmen überlastungsbedingter intensivmedizinischer Behandlungstriagierungen zu treffen.
Die Triage muss parlamentsgesetzlich geregelt werden. Das folgt aus dem Beschluss des BVerfG vom 16.12.2021 (1 BvR 1541/20). Das Gericht hat zwar explizit nur entschieden, dass der Gesetzgeber eine Benachteiligung aufgrund einer Behinderung in einer Triage-Situation ausschließen muss. Allerdings wird sich eine darauf gerichtete Regelung nur in ein allgemeines Triage-Gesetz sinnvoll einpassen lassen. Außerdem lässt sich auch im Lichte der Gründe des Beschlusses gleichsam extrapolieren, dass eine umfassend angelegte Triage-Gesetzgebung jedenfalls für den Pandemiefall verfassungsrechtlich geboten ist.
Im vorgeschlagenen Nachtragshaushalt 2021 des Bundes verschiebt die neue Ampel-Koalition zur Bewältigung der Corona-Pandemie erteilte Kreditermächtigungen, um damit Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. Damit steuert die Koalition sehenden Auges in die Verfassungswidrigkeit.
Das abstrakte Prinzip, es sei gerecht, dass jedermann die Konsequenzen seiner freien und eigenverantwortlichen Entscheidungen selbst zu tragen hat, klingt an sich nicht unplausibel. Jedenfalls fallen einem leicht Umstände ein, in denen man das Prinzip gern in Anspruch nehmen würde. Der Fall eines Impfunwilligen, der auf die Intensivstation eingewiesen wird, ist dazu aus mehreren Gründen nicht analog.
Wenn infolge der COVID-Pandemie nicht mehr alle lebensbedrohlich Erkrankten intensivmedizinisch versorgt werden können, drängt sich die Frage auf, ob deren Impfstatus bei Auswahlentscheidungen einbezogen werden dürfte. Ich werde mich im Folgenden dafür aussprechen.
Am 10. Dezember 2021 hat der Deutsche Bundestag mit breiter Mehrheit das „Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“ beschlossen, das nach Ansicht der Gesetzesbegründung eine „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ begründet. Das Vorbild hierfür ist die Masernimpfpflicht. Aber ist es richtig, von einer Impfpflicht zu sprechen, und überzeugt der Verweis auf das vermeintliche Vorbild der Masernimpfpflicht? Und welche Folgen hat die Regelung aus arbeitsrechtlicher Sicht?
Die Bundesnotbremse ist aus heutiger Sicht jedoch nicht nur Ende sondern zugleich Beginn eines neuen Staatsversagens gewesen. Tatsächlich war es die Verlagerung der Handlungskompetenz auf die Gubernative, zumal in der föderalen Variante einer informellen ad-hoc-Bund-Länder-Gubernative, die sich als strukturell unpassend und fachlich unangemessen erwiesen hat. Aus diesen Vorüberlegungen lassen sich Eckpunkte für ein Pandemierecht 4.0 entwickeln, das als vorsorgendes und gefahrenabwehrendes Planungs- und Interventionsrecht in organisatorischer und verfahrensrechtlicher Hinsicht über die ersten drei Entwicklungsstufen (Generalklausel, unkoordinierter Maßnahmenkatalog, Bundesnotbremse) nicht nur hinausgeht, sondern zu einer grundlegenden Neuausrichtung führt.