Articles for tag: BuchrezensionDemokratieRight to Self-DeterminationVölkerrechtVolkssouveränität

Eine verpasste Chance, ein wirklich gutes Buch zu schreiben

Nichts weniger als die „Domestizierung einer Illusion“ verspricht uns Jörg Fisch laut Untertitel seines Buches über das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das ist ein großes Wort, wie überhaupt das Buch große Erwartungen weckt: Seit mehr als zweihundert Jahren hält die Idee, dass jedes Volk ein Recht auf einen eigenen Staat hat, die Weltgeschichte in Aufruhr. Seit der Unabhängigkeitserklärung der nord- und südamerikanischen Staaten gehört sie zum Inventar der Diplomatie, seit den UN-Menschenrechtspakten von 1966 ist sie verbindliches Völkerrecht. Sie zersprengte die großen Imperien der Kolonialreiche, sie befreite die Völker Afrikas und Asiens aus der europäischen Fremdherrschaft. Erst in letzter Zeit, so ... continue reading

Ben Bernanke, wohlwollender Diktator

Die Kongresswahlen sind ausgezählt, das Ergebnis ebenso klar wie bedrückend: Obama ist den Rest der Legislaturperiode kaum noch handlungsfähig. Insbesondere kann er total vergessen, ein weiteres Stimuluspaket auf den Weg zu bringen. Ob einem das gefällt oder nicht: So ist das halt in einer Demokratie. Ist das so? Ist nicht so. Sagt Ben Bernanke. Und gibt mit kühlem Gleichmut bekannt, dass die Notenbank für 600 Milliarden Dollar US-Staatsanleihen zu kaufen gedenkt. Wer das eigentümlich findet, der kann bei Jack Balkin allerhand Wissenswertes dazu lesen. Foto: Javier (trackrecord), Flickr Creative Commons

Zehn Thesen zum Problem intransparenter Gesetzgebung

1. Gesetzgebung, wie überhaupt politische Gestaltung generell, kann in der heutigen pluralistischen Gesellschaft nur erfolgreich sein, wenn die Betroffenen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Ohne den Input möglichst weiter Kreise der von der Regulierung Betroffenen ist die Gefahr, am Problem vorbeizuregulieren oder später an gesellschaftlichen Widerständen zu scheitern, übergroß. 2. Der Gesetzgeber unternimmt – insbesondere auf EU-Ebene – zahlreiche Anstrengungen, diese Einbeziehung herzustellen: Diskussionsentwürfe, Eckpunktepapiere, Anhörungen, Veröffentlichung von Stellungnahmen, Grünbücher, Calls for Proposals etc. Das gelingt aber nur teilweise: Von der Gelegenheit, auf den Entscheidungsprozess einzuwirken, machen im Regelfall nur spezialisierte Interessenverbände und Wissenschaftler Gebrauch. Es entstehen Expertendiskurse, die de ... continue reading

Weimar am Potomac?

Bonn ist nicht Weimar, schrieb Fritz René Allemann in den 50er Jahren. Der Satz ist längst zum Gemeinplatz geworden. Die Debatte, ob die Bundesrepublik das gleiche Schicksal ereilen würde wie ihr Weimarer Vorgänger, hat zwar nach 60 Jahren stark an Intensität nachgelassen. Aber das Weimarer Anti-Vorbild ist immer noch omnipräsent im verfassungspolitischen Diskurs, ob es um die Direktwahl des Bundespräsidenten geht oder um das Selbstauflösungsrecht des Bundestages (ob zu Recht oder nicht, ist eine andere Frage). Jetzt wird der Weimar-Vergleich aber in einem Land gezogen, von dem ich das in meinen kühnsten Träumen nicht vermutet hätte: im Land der ältesten ... continue reading

Seit wann kann ein Gericht eine Legislaturperiode halbieren?

powered by Fotopedia Hat es das schon mal irgendwo gegeben? Dass ein Gericht befindet, die Regierungsmehrheit im Parlament sei auf verfassungswidrige Weise zustandegekommen? Und dann freihändig ein Datum für das Ende der Legislaturperiode festlegt, gleichsam aus höheren verfassungspolitischen Erwägungen heraus? Der Landtag von Schleswig-Holstein ist 2009 gewählt worden, laut Verfassung für fünf Jahre. Die Verfassung sieht ferner vor, dass der Landtag 69 Sitze haben soll und dass eventuelle Überhangmandate ausgeglichen werden sollen. Solche Überhangmandate gab es 2009 in absurd hoher Zahl, weil CDU und SPD beide zwar mies abschnitten, aber die 40 Wahlkreismandate trotzdem unter sich ausmachten. Die Folge war, ... continue reading

Der Krieg der Richter findet nicht statt

Die Meuterei der nationalen Verfassungshüter gegen die Europäisierung des Rechts und ihre damit einhergehende eigene Relativierung ist vorbei. Die Rebellen aus Karlsruhe kehren reumütig zurück unter die blaue Fahne mit dem goldenen Sternenkreis. Frieden kehrt ein in Europa. Verzeihung, aber da darf man schon mal pathetisch werden bei so einer Nachricht. Ich kann gar nicht sagen, wie mich die heute veröffentlichte Honeywell-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts freut und erleichtert. Mangold, Lissabon, Kücükdeveci Zur Vorgeschichte: Der EuGH hatte 2005 das berüchtigte Mangold-Urteil gefällt und darin die Behauptung aufgestellt, Altersdiskriminierung sei in der EU schon immer verboten, als „allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts“, und nicht ... continue reading

Gibt es einen Trend zum Foto-Finish?

Australien hat gewählt, aber keiner weiß, was. Labour und Tories sind nahezu gleich stark. Irre ich mich, oder nehmen solche Foto-Finishs global zu? Mir fallen spontan ein: Premierministerwahlen Israel 1996, Präsidentschaftswahl USA 2000, Bundestagswahlen Deutschland 2002 und 2005, Präsidentschaftswahl Mexiko 2006, Präsidentschaftswahl Rumänien 2009. Jedesmal der gleiche Befund: Ein paar Tausend Stimmen hin oder her, und die Sache wäre völlig anders ausgegangen. Mal unterstellt, das ist tatsächlich mehr als nur eine subjektiv empfundene Häufung: Was könnte der Grund sein? Vielleicht kommt so etwas besonders dann vor, wenn eine Persönlichkeitswahl zu einem grundlegenden Plebiszit über die fundamentale Richtung, in die das ... continue reading

Das neue britische Wahlrecht wäre in Deutschland verfassungswidrig

In an equal democracy (…), the majority of the people, through their representatives, will outvote and prevail over the minority and their representatives. But does it follow that the minority should have no representatives at all? Because the majority ought to prevail over the minority, must the majority have all the votes, the minority none? Is it necessary that the minority should not even be heard? In a really equal democracy, every or any section would be represented, not disproportionately, but proportionately. Das schrieb John Stuart Mill 1861 über das klassische britische Mehrheitswahlrecht. Das beruht bekanntlich auf dem Gedanken, dass ... continue reading

Großbritannien generalsaniert seine Verfassung

Kann man etwas reformieren, was es gar nicht gibt? Man kann, wenn man die britische Regierung ist und es sich um die britische Verfassung handelt, die es natürlich sehr wohl gibt, wenngleich nicht in geschriebener Form. Vize-Premier Nick Clegg hat gestern bekannt gegeben, was die neue Tory/LibDem-Koalitionsregierung künftig am Bauplan des britischen Staatswesens verändern will. First and foremost: Am 5. Mai 2011 werden die Briten in einem Referendum entscheiden, ob sie die Kraft finden, sich von ihrem bizarren post-feudalistischen Wahlrecht zu verabschieden. Im Augenblick kriegt der Kandidat mit den meisten Stimmen den Parlamentssitz für seinen Wahlkreis, und sei es auch ... continue reading