Articles for tag: EuGHJustiz

Kücükdeveci: Wettrüsten zwischen Luxemburg und Karlsruhe

Okay. Ich habe mich geirrt. Der Europäische Gerichtshof ist mitnichten gesinnt, den latenten Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht noch rechtzeitig zu befrieden, bevor er offen ausbricht. Im Gegenteil: Die Luxemburger wollen es offenbar wissen. Das kann ja heiter werden. Die Urteilsgründe (weitere Details zu Fall und Hintergründen hier) im heute entschiedenen Fall Kücücdeveci kann man so zusammenfassen: Wir halten in vollem Umfang an der Mangold-Rechtsprechung fest, die ganze Kritik daran ist uns vollkommen wurscht, einschließlich der sogar von Generalanwalt Yves Bot eingeräumten Tatsache, dass es für die Annahme, der Grundsatz der Altersdiskriminierung lasse sich aus der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedsstaaten herleiten, ... continue reading

Zündet der EuGH die nächste Stufe im Konflikt mit dem BVerfG?

Letzte Woche war ich kurzzeitig ziemlich aufgeregt, weil mein EuGH-Pressemitteilungs-Feed mir anzeigte, dass der Gerichtshof den Fall Kücükdeveci entschieden hat. War ein falscher Alarm, die Pressemitteilung bezog sich auf einen ganz anderen Fall. Aber es gab offenbar einen Grund für den Vertipper in der EuGH-Pressestelle. Wie Adjudicating Europe meldet, wird das Urteil am Dienstag veröffentlicht. Kücükdeveci hat es in sich. Kann sein, dass wir lernen müssen, den Zungenbrecher auszusprechen. Das Urteil wird möglicherweise ein Klassiker, den jeder Jura-Student kennen muss wie Consta/ENEL und Francovich. Vor allem aber könnte der Fall den latenten Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH zum ... continue reading

Nach Kopenhagen: Staatendämmerung?

Kopenhagen war eine Zäsur. Das merkt man schon daran, dass keiner genau sagen kann, was für eine Zäsur. Die allgemeine Ratlosigkeit ist das stärkste Indiz dafür, dass etwas Neues anfängt, das sich mit unseren gewohnten Kategorien noch nicht greifen lässt. Und nur weil Peter Sloterdijk das auch sagt, muss es nicht gleich falsch sein. Der Neokonservativismus ist tot, gottseidank. Aber sein multilateralistisches Gegenmodell, scheint es, hat ihn nur wenige Monate überlebt. Die Regierungen von 193 souveränen Staaten nach einem Konsens suchen zu lassen, wie man am besten die Welt rettet, ist offenbar auch keine so gute Idee. Was dann? Eine ... continue reading

Der nächste Hammer vom EGMR

Das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft zwar die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht unmittelbar: Es geht nicht um den Fall, dass die Sicherungsverwahrung erst nachträglich angeordnet wird, um einen gefährlichen Straftäter nicht freilassen zu müssen. Sondern es geht um den Fall, dass die schon im Urteil angeordnete Sicherungsverwahrung nachträglich verlängert wird, nachdem zwischenzeitlich die Höchstdauer von 10 Jahren gesetzlich abgeschafft wurde. Aber ich kann nicht erkennen, wie nach diesem Urteil die nachträgliche Sicherungsverwahrung – ausgenommen vielleicht bei zu lebenslanger Haft Verurteilten – noch Bestand haben könnte. Es geht um einen Gewaltverbrecher, der seit seinem 15. Lebensjahr fast durchgängig hinter ... continue reading

Nach all den Jahren: Der Konflikt über die Bananenmarktordnung ist beigelegt

In den Annalen der Rechtsgeschichte markieren wir den gestrigen Tag als denjenigen, an dem der Konflikt um die Bananenmarktordnung endete. Ein großer Tag, ein bedeutender Tag. Die Geschichte begann vor fast 20 Jahren: Die EU plante eine Marktordnung, die Bananen aus ehemaligen französischen und britischen Kolonien in Afrika, in der Karibik und im Pazifik gegenüber solchen aus anderen Staaten zollrechtlich privilegierte. Das fanden vor allem die deutschen Obstimporteure nicht gut, weil die so genannten AKP-Bananen als mickrig und unansehnlich galten und sie Umsatzeinbußen befürchteten. Außerdem fanden das die Bananenexporteure aus Mittelamerika und die großen US-Obstkonzerne nicht gut, aus selbsterklärenden Gründen. ... continue reading

Abtreibungs-Urteil aus Straßburg?

In den USA ist das Abtreibungs-Thema seit Jahrzehnten eins der am heißesten diskutierten verfassungspolitischen Themen überhaupt. An Roe vs. Wade, das Grundsatzurteil des Supreme Court von 1973 zur Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, scheiden sich nach wie vor die politischen wie die verfassungsrechtlichen Geister. Bekommt jetzt auch Europa ein ähnliches Urteil – mitsamt einer ähnlich polarisierten Debatte? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat letzte Woche über eine Klage dreier Irinnen verhandelt, die das rigide Abtreibungsverbot in Irland als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) angreifen. Im erzkatholischen Irland steht auf illegale Abtreibung lebenslange Haft. Das Recht des Fötus auf Leben steht ... continue reading

BVerfG: Ein neues Asyl-Grundsatzurteil?

Für Griechenland kommt es zur Zeit ganz dick. Offenbar ist nicht nur die Staatsverschuldung dort in einem Zustand, den man in der EU eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Das Asylverfahren scheint in Griechenland so gut wie zusammengebrochen zu sein. Jedenfalls bereitet sich das Bundesverfassungsgericht darauf vor zu überprüfen, was dies für den Status Griechenlands als sicherer Drittstaat i.S.v. Art. 16 II 1 GG bedeutet. Und ob es dabei bleiben kann, dass Asylbewerber in immer größerer Zahl nach Griechenland abgeschoben werden, ohne dass irgend ein Richter sich anschaut, wie es um die Sicherheit dort faktisch bestellt ist. Das BVerfG hat ... continue reading

Frankreich: Senat nimmt Karlsruhe in Schutz

Nach all der Kritik, die das BVerfG wegen des Lissabon-Urteils aushalten musste, findet der Zweiten Senat heute diesen Rapport des französischen Senats im Adventskalender. Hubert Haenel, Vorsitzender des Europaausschusses, kommt darin zu dem Schluss, dass das Lissabon-Urteil in Wirklichkeit total in Ordnung geht. Der Bericht fasst die Funktionsweise der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit und die ganze Vorgeschichte von Solange I und II über Maastricht sehr präzise und gut zusammen (wer sich da näher informieren will und gut genug französisch kann, für den lohnt sich die Lektüre). Was die Bewertung des Lissabon-Urteils betrifft, kann Haenel gar nicht verstehen, was die Kritiker eigentlich haben. ... continue reading

Schweiz: a blessing in disguise?

Kurzfristig ist das Schweizer Minarett-Referendum zweifellos eine furchtbare Sache – vor allem für die Schweizer Muslime sowie all jene zahlreichen Schweizer, die sich für das Ergebnis schämen und nun in der ganzen Welt – mitgefangen-mitgehangen – genauso als xenophobe Vierkantschädel dastehen wie ihre majoritären Mitbürger. Aber längerfristig könnte der Vorgang das europäische Verfassungsverständnis revolutionieren: Wir sind immer noch gewohnt, unsere nationale Verfassung als den Schlussstein der Normenpyramide zu betrachten, als den obersten Haken, an dem alles Recht aufgehängt ist und aufgehängt sein muss, sonst gilt es für uns nicht. Der Fall der Schweiz eignet sich wie kaum ein zweiter als ... continue reading