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Sicherungsverwahrung: Einsperren, aber nicht bestrafen

Der Kompromiss zur Sicherungsverwahrung ist fertig – und offenbar hat sich die Streiterei gelohnt. Die Idee, gefährliche Verbrecher, die ihre Strafe abgebüßt haben, in geschlossenen Anstalten unterzubringen, trifft den Kern des Problems, und der ist die mit dem Konzept der Sicherungsverwahrung implizierte Vermengung von Strafvollzug und Gefahrenabwehr. Die Leute dürfen einerseits nicht frei herumlaufen, weil sie zu gefährlich sind. Andererseits gehören sie nicht ins Gefängnis, weil es nichts gibt, wofür man eine Gefängnisstrafe gegen sie verhängen könnte. Das ist das Dilemma. Also sperrt man sie ein, aber eben nicht in ein Gefängnis. Damit müsste man, was die Altfälle betrifft, den ... continue reading

Überlange Gerichtsverfahren: Ob das den EGMR zufriedenstellt?

Das Kabinett hat heute dem Plan von Bundesjustizministerin LHSB zugestimmt, Opfern überlanger Gerichtsverfahren einen Entschädigungsanspruch zu geben. Nach dem Regierungsentwurf soll man künftig eine „Verzögerungsrüge“ erheben können, wenn man das Gefühl hat, dass sich das Verfahren unangemessen lange hinzieht. Diese Rüge ist kein Rechtsbehelf, das Gericht muss nicht unmittelbar darauf reagieren. Es wird aber, so die Hoffnung der Ministerin, trotzdem darauf reagieren, weil nämlich derjenige, der die Rüge erhoben hat, in einem gesonderten Verfahren auf Entschädigung klagen kann. Wenn er nachweisen kann, dass er durch die Verzögerung einen Nachteil erlitten hat, bekommt er den ersetzt. Den manifesten Vorwurf überlanger Verfahrensdauer ... continue reading

Pyrrhus-Niederlage bei der Homo-Ehe

Wenn es so etwas gäbe wie eine Pyrrhus-Niederlage – das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Homo-Ehe wäre eine. Der EGMR hat sich zwar nicht dazu entschließen können, ein Recht auf Eheschließung für homosexuelle Paare anzuerkennen. Aber die Straßburger Richter haben etwas anderes getan: Sie haben anerkannt, dass das Recht auf Familienleben auch homosexuelle Lebenspartnerschaften einschließt. Das heißt, dass es jedenfalls im Prinzip eine verbotene Diskriminierung von Homosexuellen ist, solchen Lebenspartnerschaften die rechtliche Anerkennung zu verwehren. Das ist doch schon mal was. Darauf kann man aufbauen. Eat this, Russia! So, dies vorausgeschickt kann ich jetzt zu meckern ... continue reading

Unsere Frau für Straßburg

Deutschland hat eine neue Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Angelika Nußberger, Verfassungs- und Sozialrechtlerin an der Universität Köln und Leiterin des dortigen Instituts für Ostrecht. „Institut für Ostrecht“ – bin das ich oder klingt das tatsächlich ein bisschen, wie soll ich sagen? Aber egal, da kann Frau Nußberger nichts dafür, und es ist ohne Zweifel wertvoll, dass sie eine Menge von osteuropäischem Recht und insbesondere von Russland versteht. Mit den Russen hat der EGMR ja immer gut zu tun. Die unterlegenen Bewerber sind Günter Schirmer, Sekretär des Menschenrechtsausschusses des Europarats, und der BGH-Richter Bertram Schmitt. Hübsch zu sehen ist, ... continue reading

Strich im Zeugnis statt Religionsnote verletzt negative Glaubensfreiheit

Ein Strich im Zeugnis, wo bei anderen die Religionsnote steht, verletzt die negative Glaubensfreiheit. Zu diesem Schluss kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem jüngsten Urteil zum derzeit offenbar wieder sehr aktuellen Thema Religion und Klassenzimmer. Der Fall spielt im streng katholischen Polen: Ein Kind von Agnostikern bekam in der Grundschule keinen Ethikunterricht angeboten, weil er offenbar der einzige war, der daran teilgenommen hätte. Während die anderen in den katholischen Religionsunterricht gingen, musste er alleine die Zeit herumbringen. Die Frage der Benotung im Zeugnis löste man so, dass im Feld „Religion/Ethik“ einfach ein Strich stand. Dieser Strich ist ... continue reading

Menschenrechte am Hindukusch: Was, wenn die in Straßburg klagen?

Soldaten aus Europa verteidigen Demokratie und Menschenrechte seit längerer Zeit am Hindukusch und in anderen von Europa aus gesehen entlegenen Regionen. Dabei kommen bekanntlich immer wieder mal Menschen auf eine Weise ums Leben, die mit den universellen Menschenrechten, sagen wir mal, nur unter heftigen Verbiegungen in Einklang zu bringen sind. Und manchmal nicht mal dann. Was passiert, wenn diese Menschen bzw. ihre Angehörige ihre Menschenrechte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg einklagen? Mal von den politischen Implikationen abgesehen – kann es Aufgabe des EGMR sein, den Afghanistan-Konflikt und die Rolle der europäischen Soldaten darin zu mikromanagen? Wenn nein, ... continue reading

Noch ein EGMR-Urteil zur Religionsfreiheit: Auf die Bibel schwören oder nicht?

It’s Kruzifix-Urteil all over: Das Thema Staat und Religion ist ganz groß zur Zeit, und man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte alles tut, damit das so bleibt. In seiner jüngsten Entscheidung Dimitras wendet sich der EGMR gegen die griechische Regelung im Strafprozessrecht, in Gerichtssälen auf die Bibel schwören zu lassen. Bei näherem Hinsehen ist diese Entscheidung aber kein Zeichen laizistischen Eiferertums: Die Straßburger Kammer kommt zu dem Schluss, dass diese Regelung gegen die Glaubensfreiheit verstößt, nicht weil da eine Bibel im Spiel ist, sondern weil man, wenn man ohne Bibel schwören will, erklären muss, warum. ... continue reading

Ist Deutschland zu nett zu Folterknechten?

Der Kindermörder Magnus Gäfgen wird von der deutschen Justiz unmenschlich behandelt. Er ist Opfer eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK, das Folter und unmenschliche Strafen verbietet. Die beiden Polizisten, die ihn bedroht hatten, um das Leben seines Opfers zu retten, seien nicht hart genug bestraft worden. So die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heute. Die Bildzeitungs-Schlagzeile morgen will ich mir mal lieber nicht vorstellen. Folterverbot ohne Notstands-Vorbehalt In wünschenswerter Klarheit hat der EGMR klargestellt, dass es keine Ausnahme vom Folterverbot gibt, keine Interessenabwägung, keine Berufung auf einen noch so drastischen Notstand. Weder die Rettung von Menschenleben noch Volk ... continue reading

Bet-Verbot in der Schule: Stop obsessing about religion!

Eine Schule darf ihren muslimischen Schülern verbieten, in der Pause zu beten? In der Tat, das darf sie, und das hat nicht etwa ein türkisches oder französisches Gericht geurteilt, sondern das Oberverwaltungsgericht Berlin. Wie der Zufall will, hat justament gestern Abend der kanadische Philosoph Charles Taylor in der Humboldt-Universität einen Vortrag zum Thema Sekulare Gesellschaft gehalten, der mir bei der Beurteilung dieses Falls wie gerufen kommt. Taylor unterscheidet zwei Sekularismus-Modelle: Das „control model“ und das „diversity model“. Control vs. diversity Beim „control model“ geht es darum, den Einfluss der Kirche in der Politik zu minimieren. Die französische Laicité hat hier ... continue reading

Geistige Behinderung ist kein Grund für Wahlrechtsausschluss

Menschen mit geistiger Behinderung dürfen nicht pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen werden. Das geht aus einem gestern veröffentlichten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hervor. Das Urteil betrifft Ungarn: Wer dort unter Betreuung steht, darf nicht wählen gehen. So steht es in Art. 70 II der ungarischen Verfassung. Ein Manisch-Depressiver hatte dagegen den EGMR angerufen. Die Straßburger Richter gaben ihm Recht: Zu bestimmen, ab wann jemand zur Ausübung seines Wahlrechts nicht mehr in der Lage ist, sei zwar in weitem Umfang Ermessenssache des nationalen Gesetzgebers. Aber die Regelung in der ungarischen Verfassung geht ihnen entschieden zu weit. Sie gelte auch ... continue reading