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Widerspruchsresponsive Nachhaltigkeit

Am 09. Juli 2023 haben die Europäische Union und Aotearoa Neuseeland ein umfangreiches Freihandelsabkommen abgeschlossen, das die Europäische Kommission mit Blick auf Nachhaltigkeitsfragen als ambitioniertestes Abkommen aller Zeiten bezeichnet. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass der Regelungsumfang in vielerlei Hinsicht umfassender und progressiver ist als in anderen Abkommen. Dennoch sind Defizite bei der Ausgestaltung des Streitbeilegungsverfahrens auszumachen, die auch darin begründet liegen, dass das Nachhaltigkeitskapitel es nicht vermag, einen für seine Widersprüche sensibilisierten, kritischen Nachhaltigkeitsbegriff zu etablieren.

Demokratie in der Supra-EU

Heute soll CETA, das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada, durch den Bundestag gebracht werden. Die absehbare Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zu CETA darf nicht dazu führen, die verfassungsrechtliche und demokratietheoretische Problematik der „Ausschüsse“ einfach ad acta zu legen. Die EU ist dabei, das Regieren mittels transnationaler Ausschüsse oberhalb der EU systematisch auszubauen, insbesondere im Rahmen umfassender Freihandelsverträge. Dies bedarf dringend klarer Leitplanken und Stoppschilder seitens des Bundesverfassungsgerichts.

Vorläufig teilweise verfassungskonform

Das Ende der „größten Verfassungsbeschwerde der Geschichte“ kommt recht unspektakulär daher: Fast fünfeinhalb Jahre nach der mündlichen Verhandlung über eine einstweiligen Anordnung zum Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen Kanada und der EU erklärte das Bundesverfassungsgericht mit seinem am 15. März 2022 veröffentlichten Beschluss vom 9. Februar 2022 die drei Verfassungsbeschwerden und den Organstreit der Fraktion Die Linke für teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Gerade einmal 29 Randnummern benötigte der Zweite Senat für die Begründetheitsprüfung, die damit in Anbetracht der Bedeutung des Verfahrens nicht nur recht knapp, sondern sogar etwas kürzer als die Folgenabwägung im Rahmen der einstweiligen Anordnung ausfiel.

Durchsetzungsunfähig

Am 18. Februar hat die EU-Kommission unter dem Titel „An Open, Sustainable and Assertive Trade Policy“ ihre Handelsstrategie für die kommenden Jahre veröffentlicht. Eine Priorität liegt dabei auf der verbesserten Durchsetzung der Nachhaltigkeitskapitel in den EU-Handelsabkommen. Allerdings nehmen EU-Handelsabkommen diese Kapitel ausdrücklich von den üblichen Sanktionsmechanismen aus und eignen sich deshalb nicht dazu, Arbeitnehmerrechte oder Umweltschutzstandards effektiv durchzusetzen. Doch auch ohne Änderungen an den bestehenden Regelungen könnte die Kommission zeigen, dass sie ihr Versprechen eines nachhaltigen Welthandels ernst meint. Zivilgesellschaftliche Akteure spielen dabei eine wichtige Rolle.

Ein kleiner Meilenstein

Am 25. Januar 2021 hat zum ersten Mal ein „Panel of Experts“ auf Initiative der EU über die Verletzung von Standards der nachhaltigen Entwicklung im Rahmen eines Freihandelsabkommens entschieden. Obwohl es keine rechtlichen Hebel zur Durchsetzung der Entscheidung gibt, setzt der Panelbericht EU-Korea materiellrechtlich neue Maßstäbe. Durch die Emanzipation der überprüften Arbeitnehmerschutzstandards vom Handelsbezug legt es zudem den Grundstein für zukünftige Streitbeilegungsverfahren, die sich allein gegen die Verletzung von Nachhaltigkeitsstandards richten.

Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung

Mitte November eskalierte der Konflikt zwischen Marokko und der Westsahara nach dreißig Jahren Waffenruhe. Die Rolle, die die EU in den letzten Jahren in der Region eingenommen hat, zeigt, dass hier hauptsächlich wirtschaftliche Interessen zählen. Wie vom EuGH bestätigt stützt der aktuelle Kurs der EU die marokkanischen Souveränitätsansprüche und perpetuiert damit den völkerrechtswidrigen Zustand in der Westsahara.

König Midas, Hauptmann Kettensäge und die Mittel des Völkerrechts zum Schutz der Biodiversität

Spätestens seit der Veröffentlichung des UN Global Assessment Report im Mai 2019 wissen wir, dass etwa eine Million der insgesamt acht Millionen Arten vom Aussterben bedroht sind – mehr als jemals zuvor in der Geschichte unseres Planeten. Das sechste globale Massensterben von Tieren und Pflanzen erfordert ein konzertiertes Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft. Doch nationale Alleingänge, wie des US-Präsidenten Trump und seines brasilianischen Amtskollegen Bolsonaro, nehmen zugunsten der heimischen Wirtschaft unwiederbringliche Verluste der Artenvielfalt in Kauf, die den Bestand der Ökosysteme weltweit gefährden. Welche Mittel hält das Völkerrecht bereit, um dem entgegenzuwirken?

Kupierte Frei­handels­abkommen: Verfassungs­rechtliche Heraus­forderungen einer neuen Unionsstrategie

Bisher wurden die Mitgliedstaaten im Rahmen gemischter Abkommen bei allen Freihandelsverträgen der Union mit Drittstaaten eigenständige Vertragsparteien. Der Freihandel war damit keine ausschließliche Domäne der Union. Mit dieser Tradition wird die EU-Kommission unter ihrem Präsidenten Juncker nun brechen, wie sich aus unmissverständlichen Hinweisen in der Rede zur Lage der Union erkennen lässt. Was steht hinter diesem Paradigmenwechsel? Und ist er noch vereinbar mit dem Karlsruher Rechtsspruch, dass die mitgliedstaatliche Rechtssubjektivität nicht zu Gunsten einer staatsanalogen Union zurückweichen darf?

Mixity after Opinion 2/15: Judicial Confusion over Shared Competences

In its momentous opinion about the Singapore free trade agreement, the ECJ seemed to have eliminated the option of ‘facultative’ EU-only agreements which do not embrace ISDS. It seems to me that this overlooks an important novelty of Opinion 2/15, which gave explicit judicial blessing to the option of ‘facultative’ EU-only agreements, although the Court hides the innovation behind an inconsistent use of the notion of ‘shared’ powers.

The Singapore Opinion or the End of Mixity as We Know It

Last week on Tuesday, with its decision in Opinion 2/15, on the Union’s competence to conclude ‘new generation’ EU trade and investment agreements, the Court dropped a bombshell. The Court’s ruling is set to significantly simplify the EU’s international economic relations with third countries. If the Commission, the Council and the member states had demanded clarity as to which institutions may legitimately pursue the Union’s external action objectives in its commercial relations: clarity is what they earned. The decision indeed has the potential to greatly facilitate an ‘EU-only’ signing and conclusion of future EU trade agreements. At the same time, as we argue below, the Court’s reasoning entails a number of contradicting elements that may add confusion over the legal parameters of post-Lisbon EU external relations conduct.