Articles for tag: Innere Sicherheitöffentliche SicherheitTerrorismusbekämpfung

Von der Ausnahme zum Alltäglichen

Das Sicherheitsrecht gilt als ebenso dynamisches wie instabiles Rechtsgebiet. Ein Grund hierfür ist, dass Sicherheitsgesetzgebung häufig anlassbezogen ist und auf Einzelereignisse reagiert. Die Spuren des Terroranschlags in Wien am 2.11.2020 waren kaum beseitigt, da legten sowohl die Österreichische Bundesregierung als auch die Europäische Kommission Entwürfe für neue Anti-Terror-Pakete vor. Beide Pakete sind weitere Bausteine einer Gesetzgebung, die auf konkrete Anlässe mit allgemeinen Gesetzen reagiert und auf diese Weise das Außergewöhnliche verallgemeinert, während das Normale denormalisiert wird.

Ich will verhüllt auf die Straße gehen dürfen

Ich will nicht gezwungen werden können, mich zu erkennen zu geben, sobald ich mein Haus verlasse. Ich will, wenn mir danach ist, mein Gesicht verbergen, eine große Sonnenbrille aufsetzen, einen Schal um mein Gesicht schlingen und unerkannt herumlaufen dürfen. Mir ist die Vorstellung ganz unerträglich, dass mir das verboten sein soll. Darauf bestehe ich. Das ist mein Recht. Und deshalb entsetzt mich – ganz unabhängig von den religions-, gender- und sicherheitspolitischen Aspekten, die es aufwirft – das jüngste Urteil des belgischen Verfassungsgerichtshofs in Sachen Burkaverbot zutiefst. Das belgische Burkaverbot ist (wie auch das französische) ein, wie wir Bayern sagen, richtig ... continue reading

London brennt. Ist das politisch? Aber hallo

Man sieht die Bilder von den in den Himmel schlagenden Flammen, von der ungeheuren Zerstörungskraft der Glut, von dem todschwarzen Gebröckel, wo eben noch ganz normale, ganz banale Häuser standen mit ganz normalen, ganz banalen Möbelgeschäften oder Mobilfunkketten darin, von den fleckigen Skeletten der ausgebrannten Autos, von den eben noch ganz normalen, ganz banalen Kapuzenjungs, die Arme voll mit Computerspiel-Diebesgut, ihr heiseres, begeistertes Gebrüll, als könnten sie nicht glauben, was ihnen da soeben für eine tolle Sache gelungen ist. Man sieht diese Bilder und fühlt sich, wie sich ein Neandertaler im Angesicht eines Vulkanausbruchs gefühlt haben mag: Das bedeutet irgendwas. ... continue reading

Liberaler Silberstreif im US-Strafrechtssystem

Ein Minderjähriger, der niemanden getötet hat, darf nicht bis an sein Lebensende hinter Gitter geschickt werden. Das klingt für unsere europäischen Ohren erst mal ziemlich selbstverständlich, für die USA ist das gestrige Urteil des US Supreme Court aber ein riesiger Schritt: Denn anders als erwartet hat der SC damit zum ersten Mal überhaupt eine bestimmte Strafe unterhalb der Schwelle der Todesstrafe für eine bestimmte Klasse von Tätern für verfassungswidrig erklärt. Terrance Graham wuchs in einem Crack-Haus auf, begann mit neun zu rauchen und zu trinken und mit 13 zu kiffen. Er war 16, als er mit ein paar Kumpels einen ... continue reading

Den Terror aushungern

Ehefrauen von Terrorverdächtigen dürfen keine Sozialhilfe bekommen. Weil damit könnten sie ja Lebensmittel einkaufen. Und daraus ein Mittagessen kochen. Und das ihrem Mann vorsetzen. Darf nicht sein. Es fällt nicht leicht, das zu glauben, aber einer heute ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zufolge war genau dies die Sichtweise der britischen Regierung. Das wird sich jetzt ändern müssen, denn der EuGH sieht das doch ein bisschen anders. Im Januar 2002 beschloss der UN Sicherheitsrat, dass alle Personen mit Verbindungen zu Taliban oder Al-Kaida auf eine Liste kommen und ihr gesamtes Vermögen eingefroren wird. Wer auf dieser Liste landet, soll keinen ... continue reading

Cool bleiben

Ich habe eine Weile nichts von mir hören lassen. Mein Buch ist raus, und das hat mich ziemlich in Beschlag genommen. Bei meiner gestrigen Lesung in der Buchhandlung Zauberberg waren allerdings zu meiner größten Beglückung drei Leser des Verfassungsblogs im Publikum. Das hat mich an meine Pflichten erinnert. Was Verfassungsrecht im engeren Sinn betrifft, war auch nicht viel los. Europapolitisch dafür um so mehr (was sich allerdings in der sonst zu Recht vielgerühmten Euroblogger-Szene bemerkenswert wenig niederschlägt, das nur am Rande). Deutschland, regiert von der Thatcher-Bismarck-Reinkarnation Angela Merkel, will in der EU nicht mehr den Mr. Nice Guy machen, und ... continue reading

Vorratsdatenspeicherung: Verständnis für das BVerfG

Das ging ja fix: Das Urteil ist keine zwei Wochen alt, schon gibt es erste Analysen aus der Wissenschaft. Im neuen German Law Journal bemüht sich Christian DeSimone darum, Verständnis für die Linie des Ersten Senats zwischen Schonung der EU-rechtlichen Kompetenzstrukturen und Verteidigung der Grundrechte zu wecken. DeSimone zufolge stand der Senat vor zwei Alternativen: The BVerfG might have continued to honor Solange II precedent and not stood in the way of the implementation of European Law through the GNTR, which was nonetheless unconstitutional by standards of German jurisprudence. This would have been a boon for German security hawks as ... continue reading

Vorratsdatenspeicherung: Kein Grund zum Jubeln

Freut euch nicht zu früh. Nach Lektüre der Pressemitteilung scheint mir das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung kein einschränkungsloser Grund zum Jubeln. 1. Das Gericht hat die Speicherung der Vorratsdaten als solche für verfassungsmäßig erklärt – unter engen und vor allem sehr, sehr detaillierten, aber dennoch erfüllbaren Voraussetzungen. Das heißt: Die Vorratsdatenspeicherung, in den Worten des Gerichts „ein besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“ und geeignet, ein „diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann“ – dieses würgende und vom Gericht zu Recht ... continue reading