Articles for tag: GewaltKlimaaktivismusLetzte GenerationStrafrechtWiderstand gegen Vollstreckungsbeamte

Zum Gewalt-Begriff von § 113 StGB

Im Berliner Tagesspiegel wurde am Montag, den 12.6.2023 bekannt, dass das Landgericht Berlins in einem Verfahren gegen einen Aktivisten der „Letzten Generation“ zum ersten Mal gegen eine strafbare Nötigung entschieden hat. Der Beschluss, der ein differenziertes Vorgehen beim Nötigungstatbestand anmahnt, verdeutlicht vor allem eines: Der Instanzenzug beginnt. Interessant ist nicht nur die Argumentation des Gerichts in Bezug auf § 240 StGB, sondern auch, dass es stattdessen eine Verfolgung desselben Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB für angezeigt hält.

Gesetz ist Gesetz?

Seit den Hausdurchsuchungen in 15 Wohnungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“ hat sich die öffentliche Diskussion um die Aktionen der Gruppe noch einmal intensiviert. Im Zentrum steht dabei der Begriff des „Zivilen Ungehorsams“. Obwohl das dahinterstehende Konzept auf viel, auch auf viel berechtigte, Kritik stößt, möchte ich zeigen, dass „ungehorsames“ Protestverhalten die Funktion erfüllt, Ungleichgewichte in den Möglichkeiten politischer Einflussnahme auszugleichen. Ziviler Ungehorsam kann dabei eine integrative Funktion erfüllen; er kann aber auch die diskursiven Verhältnisse aufbrechen und zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen anstoßen. Zudem zeichnet er sich dadurch aus, dass er Visionen einer normativen Zukunft entwickelt und insofern einen Beitrag zur Entwicklung der politischen Gemeinschaft und ihrer Verfassung leistet. Die weltweit zunehmende Kriminalisierung von Protestaktionen missachtet diese demokratische und rechtsstaatliche Bedeutung zivilen Ungehorsams.

Verhältnismäßigkeit, Normenklarheit und § 129 StGB

Der Anwendungsbereich von § 129 StGB wirft mehr Fragen auf, als er klare Antworten gibt; dabei kreist die strafrechtliche Diskussion erkennbar um das „Ob“ und „Wie“ der Begrenzung eines zu weit geratenen oder jedenfalls als zu weit empfundenen Tatbestands. Daraus resultiert offenbar auch, dass die Frage, inwieweit die Unterbrechung von Routinen und täglichen Abläufen durch Aktionen der „Letzten Generation“ sich unter diese Norm subsumieren lässt, allgemein als offen angesehen wird. Schon diese Gegebenheiten legen jedoch nahe, dass es geboten ist, den gordischen Knoten strafrechtsdogmatischer Erwägungen mit dem scharfen Schwert des Verfassungsrechts zu durchschneiden: § 129 StGB ist in seiner derzeitigen Form verfassungswidrig!

„Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat“

… so lautet der Titel eines Aufsatzes von Habermas, erschienen 1983. Genau diesen Testfall erleben wir derzeit. Es scheint, als ob „der Rechtsstaat“ – nach Wochen des intensiven Protests durch die „Letzte Generation“ in Berlin – nun „andere Saiten aufziehen“ möchte, und erneut nach dem Strafrecht greift, genauer gesprochen nach einem Tatbestand des ohnehin nicht unproblematischen Präventivstrafrechts. Meine These ist jedoch, dass der Versuch, die Klimaproteste „wegzustrafen“, den Rechtsstaat zwangsläufig schwächt, anstatt ihn zu stärken. Da politischer Protest im Ausgangspunkt als wesentliches Element einer demokratischen Kultur ausgehalten werden muss, ist auch der Umgang mit unter Umständen strafbaren Aktionen im Zuge des politischen Protests - freilich im Rahmen des Legalitätsprinzips - mit Augenmaß zu wählen, um diesen Grundsatz nicht zu konterkarieren.

Organisierte „Klimakleber“ als kriminelle Vereinigung?

Die freie öffentliche Auseinandersetzung über Ziele der Politik ist nur möglich, wenn sich diese auf kommunikative Mittel beschränkt und nicht Rechte anderer verletzt. Freiheit ist in einer Rechtsgemeinschaft immer konditioniert, auch die politische. Illegale Druckmittel und Emphasizer symbolisch einzusetzen, um dem eigenen Anliegen ersehnte schnelle Sichtbarkeit zu verschaffen, ist gerade ein Angriff auf die Kommunikationsstruktur des demokratischen Prozesses, der erst die politische Gestaltung des Miteinanders auf der Grundlage der gleichen Freiheit aller sichert. Die Selbstprivilegierung, sich kraft erfühlter höherer Einsicht oder aus narzisstischem Sendungsbewusstsein über die gleiche Freiheit der anderen zu stellen, die für ihre – zunächst einmal ebenfalls legitimen – Anliegen um Mehrheiten werben müssen, ist anti-demokratisch, anti-egalitär und letztlich autoritär. Weder Gesetzgeber noch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sind verfassungsrechtlich in der Pflicht, dies im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu honorieren.

The Road to Repression

On 2 December 2022, the UN Special Rapporteur Freedom of Association sent a remarkable Tweet. “Australia – ”, the Special Rapporteur tweeted, “I am alarmed at #NSW court’s prison term against #ClimateProtester Deanna Coco and refusal to grant bail until a March 2023 appeal hearing. Peaceful protesters should never be criminalised or imprisoned.” The Special Rapporteur was referring to the arrest of Deanna ‘Violet’ Coco to 15 months in prison with a non-parole period of eight months for blocking one of five lanes of traffic on Sydney Harbour Bridge during a climate change protest for 28 minutes.

Flensburger Einhorn

Das Urteil des Amtsgerichts Flensburg zu Klimaschutz als rechtfertigendem Notstand stößt auf Begeisterung und scharfe Ablehnung. Nachdem der Freispruch eines Klimaaktivsten durch das Gericht bereits im November bekannt wurde, sind nun die Urteilsgründe veröffentlicht worden. Inmitten der zunehmend intensiver geführten Debatte um den juristisch „richtigen“ Umgang mit Klimaaktivismus schlägt das Urteil eine ebenso ungewohnte wie mutige Richtung ein.  

Die planetarische Bürgerrechtsbewegung vor Gericht

Strafrechtliche Verurteilungen aufgrund friedfertigen Klimaprotestes exkludieren potenziell Bürger und Bürgerinnen, die sich für grundrechtlich geschützte Ziele einsetzen, aus dem demokratischen Prozess. Eine sich mit politischen Appellen an die Mehrheit richtende Minderheit wird so kriminalisiert. Ausbildungs- und Berufsbiographien können im Einzelfall gerade bei wiederholter Teilnahme an Protestaktionen durch Vorstrafen zerstört werden. Das kann im demokratischen Rechtsstaat bei konkreter Gefährdung oder Verletzung von Leib und Leben oder Eigentum anderer natürlich gerechtfertigt werden, bei einem friedfertigen Protest für Bürgerrechte aber in der Regel nicht.

Besetzte Orte

In verschiedenen deutschen Universitäten wurden in der vergangenen Woche und auch heute Hörsäle besetzt. Die Besetzungen hatten unter anderem zum Ziel, auf Belange des Klimaschutzes hinzuweisen. Während andere Hörsäle in der Bundesrepublik noch besetzt gehalten werden, endete eine Besetzung an der Frankfurter Goethe-Universität mit einer polizeilichen Räumung. Da Teilnehmer:innen der Besetzung nun mit Strafverfahren rechnen müssen, soll im Folgenden das Verhältnis von Versammlungsfreiheit und Straf- wie Strafprozessrecht in Hinblick auf Proteste in Form von Besetzungen ausgeleuchtet werden. Auf Grundlage einer verfassungsorientierten Normenkonkretisierung der §§ 153, 153a StPO machen wir einen Vorschlag zur prozessualen Entkriminalisierung von Klima-Protestaktionen.