Articles for tag: Hartz IVMenschenwürdeSozialstaatsprinzip

VB vom Blatt: Acht Gedanken zum Hartz-IV-Urteil des Bundes­verfassungs­gerichts

Die Bundesrepublik ist nach Art. 20 Abs. 1 GG ein Sozialstaat. Bekanntlich ist der konkrete Inhalt des Sozialstaatsprinzips umstritten und lässt dem Gesetzgeber als primärem Adressaten einen weiten Gestaltungsspielraum. Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls zeichnet in seinem heutigen Hartz-IV-Urteil das herrschende Paradigma des apertistischen Liberalismus bei der Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG und des Sozialstaatsprinzips nach.

Human Dignity for Good Hungarians Only

On 4 June 2019 the packed Constitutional Court of Hungary issued an astonishingly inhuman decision: The criminalization and eventual imprisonment of homeless people, the Court declared, is in line with the 2011 Fundamental Law of Hungary. According to the majority, “ (…) nobody has the right to poverty and homelessness, this condition is not part of the right to human dignity.”

Die Menschenwürde als normatives Prinzip – und ihre Bedeutung für den Embryonenschutz

Gewöhnlich erregt die Neu-Kommentierung einer Gesetzesnorm, selbst wenn es sich um eine zentrale Vorschrift des Grundgesetzes handelt, kein größeres Aufsehen jenseits der Fachwelt. Anders 2003: In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung griff Ernst-Wolfgang Böckenförde Matthias Herdegens Kommentierung des Art. 1 GG, der Verfassungsbestimmung, die die Unantastbarkeit der Würde des Menschen proklamiert, empört und mit scharfen Worten an.

Staatsschutz 3.0? Der Verfassungsschutz vor der Tendenzwende

Die soeben gefällten AfD-Entscheidungen des Bundesverfassungsschutzes könnten den Übergang zu einer dritten Phase des Staatsschutzes markieren: vom Majestätsschutz über den Republikschutz zum Menschenschutz. Dies liegt in erster Linie an der Begründung des Bundesamtes, die sich zuvörderst auf die Missachtung der Menschenwürde und demokratischen Gleichheit von als migrantisch markierten Menschen stützt, die in Teilen der AfD zum Ausdruck kommt. Eine solche Tendenzwende des Verfassungsschutzes stößt sich freilich mit dem eigenen Selbsterhaltungsinteresse der Behörde. Sie müsste daher auch institutionelle Konsequenzen haben.

The Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration – Hope for our Constitutive Commitments?

Next month, on 10 and 11 December 2018, the Intergovernmental Conference to Adopt the Global Compact for Safe, Orderly, and Regular Migration will be held in Marrakech, Morocco. The draft for the compact has been highly contested and many states have already announced they would not sign it. However, the compact has something to say about fundamental commitments of our societies, especially about human dignity.

Die „Fiktion der Nichteinreise“ als Grundrechtseingriff durch normativen Tatsachenausschluss

Die Einigung zwischen CDU und CSU vom 2. Juli 2018 sieht eine „Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise“ vor. Dana Schmalz hat bereits überzeugend dargelegt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte „von der Fiktion der Nichtanwesenheit von Personen wenig beeindruckt sein und Rechtsverletzungen gegebenenfalls rügen“ dürfte – und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es der Menschenwürde zuwiderlaufen würde, wenn durch eine solche Konstruktion die territoriale Bindung an die Grundrechte ausgehebelt und Menschen ihrer Rechte beraubt werden könnten. Grundrechtsdogmatisch betrachtet entspricht dieser Diagnose der Befund, dass normative Fiktionen, die Rechte aushebeln, selbst als Eingriffe in das jeweilige Grundrecht einzuordnen sind.

Warum auch das Grundgesetz bestimmten Zurückweisungen an der Grenze entgegensteht

Aus aktuellem Anlass scheint es sinnvoll, daran zu erinnern, dass das Grundgesetz gerade auch der Zurückweisung politisch Verfolgter an der Grenze entgegenstehen sollte, und zu betonen, dass es Zurückweisungen bei drohender Verletzung der Menschenwürde richtigerweise auch weiterhin entgegensteht – als eine zusätzliche verfassungsrechtliche Barriere, die zu den völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Hindernissen noch hinzutritt.

Reconciling Religion: Lessons Learned from the Triple Talaq Case for Comparative Constitutional Governance

The recent case of Shayara Bano v Union of India heard before the Supreme Court of India provide helpful guidance for how a secular democratic regime with a multiplicity of religious, ethnic, and cultural communities can manage constitutional governance with an increasing number of seemingly irreconcilable tensions. Pluralist societies such as Canada and the United States grapple with a variety of delicate balancing acts: in such instance, the need to reconcile accommodation for religious and cultural minorities with the protection of gender rights on the other.

Mit den eigenen Waffen geschlagen: Die Reaktion des EuGH auf den unbedingten Vorrang der Menschenwürde vor dem Unionsrecht nach dem BVerfG

Der EuGH bewegt sich – aber er gibt dabei klar die Richtung vor. Das ist das Fazit zu seinem Urteil von vorgestern zum europäischen Haftbefehl. Die Antwort auf eine Vorlage des OLG Bremen, in der es um die Auslieferung aufgrund eines europäischen Haftbefehls bei der Gefahr menschenrechtswidriger Haftbedingungen im ersuchenden Staat ging, war zuletzt mit besonderer Spannung erwartet worden. Denn das BVerfG hatte vor kurzem einen Auslieferungsfall nach Italien zum Anlass genommen, nach Jahrzehnten die Solange-Rechtsprechung für den Anwendungsbereich der Menschenwürde in den Ruhestand zu verabschieden: Künftig hat Art. 1 Abs. 1 GG über den Hebel der Identitätskontrolle, und zwar ungeachtet des generellen Grundrechtsschutzstandards in der EU, immer Vorrang vor kollidierenden unionsrechtlichen Verpflichtungen. Dies konnte von europäischer Seite kaum unwidersprochen bleiben.