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Eine Republik wird „neutralisiert“

Julia Klöckner ist seit der Bundestagswahl 2025 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Ihrem Schutz anvertraut sind die Einhaltung der Geschäftsordnung, die Fairness der Debatten und die Ordnung des Hohen Hauses schlechthin. Außerdem hat sie „die Würde und die Rechte des Bundestages“ zu wahren. Der Präsidentin Klöckner reichten diese Schutzgüter nicht aus. Sie nahm ein weiteres in Anspruch – die politische Neutralität, die sie etwa durch bestimmte Kleidung oder das Hissen der Regenbogenflagge sieht. Doch Neutralität hat freilich einen politisch vergifteten Kontext.

Aus Staat mach Privat

Nachdem die Gerüchteküche bereits längere Zeit gebrodelt hatte, teilte Nancy Faeser letzte Woche mit, als Spitzenkandidatin der SPD im hessischen Landtagswahlkampf kandidieren zu wollen. Im Zuge dessen änderte sich auch die Beschreibung ihres Twitter-Accounts. Seit der Umstellung ist in den dort geteilten Beiträgen ein wilder Mix aus ministeriellen wie parteipolitischen Beiträgen wiederzufinden. Sollte es sich bei dem Account trotz der angekündigten „Umwidmung“ weiter um ein Sprachrohr ministerieller Öffentlichkeitsarbeit handeln, wäre das rechtswidrig.

Demokratische Neutralität

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juni 2022 und der Diskussion über „Merkels Verfassungsbruch“ ist die ‚demokratische Neutralität‘ wieder in aller Munde. Wegweisend ist, dass Astrid Wallrabensteins abweichendes Votum die Frage aufwirft, ob mit dem Neutralitätspostulat nicht auf ein Blendwerk hingearbeitet werde, welches dem Volk eine Neutralität suggeriere, die es so im politischen Geschehen überhaupt nicht geben könne. Handelt es sich etwa um eine Ideologie ‚demokratischer Neutralität‘?

Fehlverständnis des Neutralitätsgebots für den Staat

Der 2. Senat des BVerfG hat mit Beschluss vom 14. Januar 2020 entschieden, dass ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen bei bestimmten Tätigkeiten verfassungsgemäß ist. Damit verkennt das BVerfG das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot für den Staat, das ein Identifizierungsverbot ist. Das BVerfG bringt das Neutralitätsgebot in Stellung, das jedoch tatbestandlich keine Anwendung findet. Die Schranke für die Religionsausübung für Staatsbedienstete findet sich vielmehr im verfassungsrechtlichen Mäßigungsgebot, das ein generelles Kopftuchverbot nicht rechtfertigen kann.

Steriles Politik­verständnis: Zum Wanka-Urteil des Bundesverfassungs­gerichts

Pressemitteilungen einer Bundesministerin, die der AfD die "Rote Karte" zeigen, sind mit dem Recht auf Chancengleichheit der Parteien unvereinbar. Das BVerfG verteidigt damit konsequent Oppositions- bzw. Minderheitenrechte und lässt sich weder vom politischen Betrieb noch vom politischen Lagerdenken vereinnahmen. Gleichwohl überzeugt das rigide Neutralitätskonzept des BVerfG nicht durchweg.

Ist ein Kreuz auf dem Gerichtsflur verfassungskonform?

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat es für eine geschmackvolle Idee gehalten, den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung mit der Aufhängung eines Kreuzes aus Draht zu feiern. War das klug? Nein. Ein Gericht, noch dazu eins, das sich zu keinem geringen Teil mit ausländer- und asylrechtlichen Verfahren befasst, sollte jeden Eindruck weltanschaulicher Voreingenommenheit vermeiden. War das verfassungswidrig? Na, weiß nicht. Das Kreuz hängt nicht im Gerichtssaal. Niemand ist gezwungen, „unter dem Kreuz“ über seine Sache zu verhandeln. Es hängt im Flur. (Wenngleich offenbar an prominenter Stelle.) BVerfG und EGMR Auch im Kruzifixurteil von 1995 hat das BVerfG betont, dass es auf die Dauer ... continue reading