Articles for tag: Alexander Dobrindtexekutiver UngehorsamGrundrechtsbindungJustizRechtsstaatsprinzipVerwaltungsgericht

Gerichte als Spielball von Symbolpolitik

Seit Tagen polarisiert die Entscheidung des VG Berlin zur Zurückweisung dreier somalischer Asylsuchender an der deutschen Grenze durch die Bundespolizei. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt erklärte unmittelbar nach Verkündung der Entscheidung, dass sie ihn nicht daran hindere, an der eingeführten Praxis festzuhalten. Auch wenn sie sich von exekutivem Ungehorsam unterscheidet, ist die Reduzierung der Entscheidung auf ihre Einzelfallwirkung ein Falltypus der Missachtung von Gerichtsentscheidungen.

Die Gewerbsmäßigkeit als Arme-Leute-Strafrecht

Wer von der wachsenden Armut in Deutschland betroffen ist, dem droht im Falle eines Strafverfahrens eine Ungleichbehandlung. Das Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit als besonders schwerer Fall einer Straftat führt dazu, dass ein zentrales Versprechen des Rechtsstaats gebrochen wird. Es gibt keine Gleichheit vor dem Gesetz, wenn Armut straferhöhend wirkt.

Volksfeste ohne Cannabis

In Bayern wurde in der vergangenen Woche ein Gesetzentwurf der Fraktionen CSU und FREIE WÄHLER für ein sogenanntes Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz angenommen. Da die Mehrheit des Bayerischen Landtags eine (Teil-)Legalisierung des Umgangs mit Cannabis zum Eigenkonsum in der Öffentlichkeit ablehnt, schöpft der Landesgesetzgeber mit dem Entwurf seine Gesetzgebungskompetenz so weit wie möglich aus, um den Cannabiskonsum entgegen dem Konzept des Bundesgesetzgebers aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Verboten wird dabei unter anderem das Rauchen, Erhitzen und Verdampfen von Cannabisprodukten auf Volksfestplätzen und an weiteren öffentlichen Orten.

Kein Untergang des Rechtsstaates durch EU-Russlandsanktionen für Rechtsanwält*innen

Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sehen BRAK und DAV den Rechtsstaat in Deutschland bedroht. Allerdings bedauerlicherweise nicht durch die völkerrechtswidrigen Verbrechen des russischen Regimes, sondern durch die jüngste Reaktion der EU darauf. Erstmals wird in gewissem Umfang auch die Erbringung von Rechtsdienstleistungen für bestimmte russische Mandanten verboten. Und das hat umgehend zornige Reaktionen anwaltlicher Standesvertreter ausgelöst.

Schrödingers Camp oder die Versammlungsfreiheit vor dem Gesetz

Der juristische Kampf um das Protestcamp gegen den G20-Gipfel in Hamburg war keine ruhmvolle Episode in der Geschichte des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war eine Mogelpackung, die Einwände der Stadt Hamburg eine Farce, und der einstweilige Rechtsschutz hat sich vorläufig als unfähig erwiesen, Rechtsfrieden herzustellen. Es zeigt sich, dass der Rechtsunterworfene, nur weil er vor Gericht obsiegt, noch lange nicht zu seinem Recht kommen muss, sondern mitunter wieder genau da anlangt, wo er am Anfang gestartet ist.

Nonchalance im Rechtsstaat? Anfragen an den Spielhallen-Beschluss des BVerfG

Gut 19 Milliarden Euro werden bei bis vor kurzem sprunghaft steigender Tendenz jährlich mit Geldspielgeräten umgesetzt. Da dabei auch das Suchtverhalten kranker Menschen wirtschaftlich ausgenutzt wird, muss man kein Mitleid mit der Spielgerätewirtschaft haben, wenn die Landesgesetzgeber ihr in Ausführung des 2012 geänderten Glücksspielstaatsvertrags nun massiv zu Leibe rücken. Es gehört aber zum Markenkern des Rechtsstaats, dass die Anforderungen an die Eindämmung vormals erlaubten Verhaltens nicht davon abhängen, wie sympathisch man dieses findet. Vor diesem Hintergrund verdient der jüngste Beschluss des BVerfG zur Spielhallenregulierung Beachtung, weil rechtsstaatliche Mindeststandards hinter den immer wieder betonten besonders herausgehobenen Allgemeininteressen, die mit der Regulierung auch zweifellos verfolgt werden, stark verblassen.

Das Bundesverfassungsgericht und die entfesselte Exekutive

Das Bundesverfassungsgericht wird in diesem Monat 60 Jahre alt. Das wird bestimmt zu allen möglichen Laudatien und andachtsvollen Gratulationsadressen Anlass geben, die diese sechs Jahrzehnte als beispiellose Erfolgsgeschichte nacherzählen, als Aufstiegsnarrativ from rags to riches, vom Neuling auf der Verfassungsbühne, der sich ab 1951 den Respekt von Politik und Justiz erst kämpferisch erwerben musste, über die spektakulären Heldentaten von Lüth und Elfes, bis hin zur Etablierung als populärstem Verfassungsorgan, als „Ersatzkaiser“ und Exportschlager, überall in der Welt nachgeahmt und selten erreicht. Das ist alles ganz gut und richtig. Aber viel interessanter ist eigentlich die Frage, ob und wo es Anlass ... continue reading

Kann ein Gesetz auf eine EU-Richtlinie verweisen?

Das klingt technisch, ist aber ziemlich spannend, finde ich. Ich bin da nicht selber drauf gekommen, sondern über die Berliner Anwältin und Energierechtsexpertin Ines Zenke von Becker Büttner Held, die ich bei der Redaktion ihres Energieblogs berate und die heute bei der parlamentarischen Anhörung zum neuen Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) die Rede darauf gebracht hat. Im Kabinettsentwurf des TEHG findet sich folgende Passage: § 2 Abs. 5: Dieses Gesetz gilt nicht für: (…) 2. Anlagen, die nach § 4 Absatz 1 Satz 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genehmigungsbedürftig sind und bei denen nach ihrer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung außer für An-und Abfahrvorgänge als Brennstoff nur Klärgas, ... continue reading