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Kritik ja, Verfassungskrise nein

Es steht außer Zweifel, dass diejenigen, die mit ihren öffentlichen Wortmeldungen „Engagement im juristischen Ernstfall“ beweisen, in Sorge um die freiheitlich-demokratische Grundordnung handeln. Dennoch kann der Analyse, die pandemiebedingte Krise habe eine Verfassungskrise ausgelöst, nicht zugestimmt werden. Ganz im Gegenteil hat sich das Grundgesetz in seinen Inhalten wie in seinen Institutionen als erfreulich robust und resilient erwiesen. Doch kann eine Verfassungskrise auch herbeigeschrieben werden.

Dogmatiker als Experten

Ist das Verhältnis zwischen politischen Organen und Verfassungsrechtswissenschaft von wachsenden Irritationen gekennzeichnet? Die jetzt geführte Debatte hat einen konkreten Anlass, nämlich die Novellierungen des IfSG im Rahmen der Pandemiepolitik. Sie betrifft jedoch ein strukturelles Problem, das Ursachen sowohl in der Eigenrationalität des politischen Willensbildungsprozesses als auch im Rechtssystem hat. Überdies hat sich die deutsche Rechtswissenschaft weitgehend einem Rechtswissenschaftsverständnis verschrieben, das rechtspolitische Expertise einengt. Die nachfolgenden thesenhaften Analysen betreffen nicht den konkreten Anlass, schon gar nicht das Handeln derjenigen Rechtswissenschaftler und Rechtswissenschaftlerinnen, die sich die Mühe gegeben haben, Rat zu geben. Mein Interesse gilt der strukturellen Perspektive und der Frage, wie sich ein fruchtbarer rechtspolitischer Diskurs herstellen lässt, der den Systemrationalitäten von Rechtswissenschaft und Rechtspolitik gerecht wird.

Zur Einführung: Verfassungsrechtliche Expertise im politischen Raum

Zahlreiche politische Debatten werden jedenfalls auch, bisweilen sogar vornehmlich aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive geführt. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass ein beachtlicher Bedarf des politischen Raumes an verfassungsrechtlicher Expertise besteht, der auf ein entsprechendes (und stetig wachsendes) wissenschaftliches Angebot zurückgreifen kann. In der Coronapandemie hat sich diese verfassungsrechtliche Aufladung des politischen Diskurses in besonderer Weise offenbart.

Rassismus ist nicht „Meinungsvielfalt“!

Die NZA ist eine renommierte arbeitsrechtliche Zeitschrift aus dem juristischen Verlag C.H.Beck. Das aktuelle Heft enthält einen als „Kommentar“ bezeichneten Beitrag von Rüdiger Zuck, der an verschiedenen Stellen krasse rassistische Stereotype bedient. Der Verlag hat sich von dem Beitrag auf eine Weise distanziert, die jedenfalls eine aus unserer Sicht hoch problematische Deutung zeigt, die gleichwohl typisch ist für derartige Vorfälle.

Keine Priorität für die Rechtswissenschaft

Man kann das Unbehagen, dass in der Pandemie auch eher randständige Fragen zu verfassungsrechtlichen Grundsatzproblemen hochgezont werden, grundsätzlich nachvollziehen. Auch kann man verstehen, dass die Pandemie an den Nerven zehrt, nachvollziehbarerweise vor allem bei denjenigen, die politische Verantwortung tragen. Es ist aber nicht akzeptabel, dass in einer so fundamentalen Frage von Leben und Tod einhellig artikulierte verfassungsrechtliche Probleme unter den Parlamentstisch fallen.

Was „weiße“ Rechtswissenschaft jetzt tun kann

Die Prozesse, die sich nun in gesteigerter Form in den USA beobachten lassen, sind uns schon lang bekannt. Was dort gerade greifbar hervortritt, scheint Martin Luther Kings hoffnungsvollen Ausspruch, „the arc of a moral universe is long, but it bends toward justice“, den jeder gebildete Amerikaner kennt, zu widerlegen. Dennoch sollte man den Kairos nicht verstreichen lassen, das Wissen von people of color um die Un-Ordnung der Welt in eine dafür zunehmend sensibilisierte Öffentlichkeit zu tragen. Auch die deutschsprachige, „weiße“ Rechtswissenschaft kann dabei eine Rolle erfüllen.

COVID-19 und der juristische Umgang mit Ungewissheit

Wer fragt nach dem Recht, wenn der Tod auf der Schwelle steht? Jurist*innen müssen das wohl tun, selbst wenn die Welt unterginge. Allerdings sollten sie sich auf Ungewissheit in globaler Ausbreitung und in bisher unbekanntem Ausmaße einstellen. Das Recht ist selten klüger als die Gesellschaft, deren Verhalten es reguliert. Solange es gelten will, muss es lernen.

Expert*innen in der Krise

Die verfassungsrechtswissenschaftliche Begleitung der Corona-Krise als Metathema über zahlreichen Posts zu einzelnen Rechtsfragen ist ein wichtiges Thema für diesen Blog. Ich möchte hiermit zur Herangehensweise medial wie nie gefragter Expert*innen – täglich muss ja eine Vielzahl von Sondersendungen bestückt werden – drei kritische Beobachtungen anbringen.

Krisenmanagement für Jurist_innen

Der Vorwurf der Machtversessenheit, das Raunen über den selbstbestimmten Ausnahmezustand, ein Entsetzen über die Selbstverzwergung, in die sich das Parlament gegenüber dem ministerialen Aktivismus fügt – der Diskursbeitrag der Rechtswissenschaft in der Corona-Krise ist der des erhobenen Zeigefingers. Wo, will man den juristischen Mahnrufen entgegenhalten, bleibt denn der konstruktive und lösungsorientierte Beitrag des Rechts zur Krisenbewältigung?

Krisen als Normalität

Es gibt in Krisenzeiten wenig Verlässliches. Doch auf eines kann man immer zählen: Irgendwann, und meistens früher als später, fällt der Begriff der Ausnahme oder einer seiner zahlreichen Verwandten. Hierzu gehört vor allem die große Schwester der Ausnahme: der Ausnahmezustand. Natürlich kann man das Ungewöhnliche als Ausnahmezustand bezeichnen – das, was nicht sein soll und was bald wieder zu verschwinden hat, weil es von der Normalität, die quasi über Nacht vom Verdikt der Langweile befreit wurde, abweicht. Gewonnen ist damit nichts.