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Eine verpasste Chance

Das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts erweist der politischen Handlungsfähigkeit und der Generationengerechtigkeit einen Bärendienst. In enger Auslegung der Haushaltsverfassung schränkt es die Möglichkeitsräume langfristig ausgerichteter Politik ein, ohne einen Kompromissweg vorzuzeichnen. Die Richterinnen und Richter haben die Chance verpasst, die haushaltsverfassungsrechtliche Dogmatik in Anknüpfung an den Klimabeschluss – wohlgemerkt des Ersten Senats – fortzuentwickeln und Leitplanken für das Verhältnis von Klimaschutz und Haushaltsverfassung zu formulieren. Das Urteil lässt sowohl Fingerspitzengefühl als auch Weitsicht vermissen, die ein so sensibles Thema wie die Generationengerechtigkeit im Gesamtgefüge verfassungsrechtlicher Normen insbesondere in von Umbrüchen geprägten Krisenzeiten erfordert.

Die Repolitisierung des Politischen

Das Verfahren um den zweiten Nachtragshaushalt 2021 gab dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit, grundlegende Fragen des Finanzverfassungsrechts rund um die Schuldenbremse zu klären. Die Entscheidung, das Gesetz zu kassieren, war die juristisch einzig richtige ‒ und beraubt die deutsche Politik einer schützenden Selbsttäuschung.

Das Ende der Großzügigkeit

Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Das hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts heute in einem wegweisenden Urteil festgestellt. Das Gericht hat das Nachtragshaushaltsgesetz 2021 überzeugend aus drei Gründen für nichtig erklärt. Erstens ist der Veranlassungszusammenhang zwischen der Neuverschuldung und daraus zu finanzierenden Maßnahmen nicht hinreichend dargelegt und begründet worden, zweitens stehen die Haushaltsgrundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit der faktisch unbeschränkten Übertragung von Kreditermächtigungen auf kommende Haushaltsjahre entgegen und drittens können Nachtragshaushalte nicht rückwirkend erlassen werden.

Notkredite immer und überall?

Spätestens seit der Corona-Krise und den damit verbundenen Haushaltspaketen von Bazooka bis Booster scheinen großangelegte Investitionsprogramme zum (haushalts-)politischen Alltag zu gehören. Zur Bewältigung kostspieliger Aufgaben entdeckten zunächst der Bund und nunmehr die Länder neue Instrumente für sich, um sich trotz der bestehenden Schuldenbremse Zugang zu Krediten zu verschaffen. Letzte Woche ist auf diesem Blog ein Beitrag von Joachim Wieland erschienen, der die Ansicht vertritt, die Klimakrise sei eine derartige Ausnahmesituation. Auch wenn diese Auffassung vom Ergebnis her wünschenswert erscheint, ist die finanzverfassungsrechtliche Legitimität entsprechender Notkredite auf Landesebene zumindest zweifelhaft.

Klimakrise und Schuldenbremse

Klimaschutz kostet Geld, viel Geld. Klimaneutralität ist ein großangelegtes Investitionsprogramm. Das können viele Länder und Kommunen aus ihren laufenden Einnahmen nicht finanzieren. Die Aufnahme von Krediten ist ihnen zwar durch die Schuldenbremse in Art. 109 Abs. 3 GG grundsätzlich verboten. Die Grundrechte und Art. 20a GG verpflichten sie aber zu sofortigem Handeln.

Das Sondervermögen Bundeswehr, der Bundeshaushalt und die Schuldenbremse

Am 3. Juni 2022 hat der Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes und eines Gesetzes zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ gebilligt und damit das größte Investitionsprogramm der Bundesrepublik auf den Weg gebracht. Für die Finanzausstattung des Sondervermögens ist Ermächtigung zur zusätzlichen Nettokreditaufnahme vorgesehen. Das wirft die Frage auf, ob es angesichts des aktuellen Nettokreditbedarfs noch angeht, die verfassungsrechtliche Schuldenbremse für sakrosankt zu erklären.

Optionen und Perspektiven eines Bundeswehr-Sondervermögens

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. In einer historischen Bundestagssitzung am Sonntag, den 27.2.2022, hat die Bundesregierung eine Reihe weitgreifender Maßnahmen vorgestellt, die Deutschland im Angesicht der aktuellen Weltlage zukunftsfähig machen sollen. Zur umfassenden Ertüchtigung der seit Jahren vernachlässigten Bundeswehr sollen Mittel im Umfang von 100 Mrd. Euro über ein kreditfinanziertes Sondervermögen bereitgestellt werden. Wie dies in verfassungskonformer Weise geschehen kann, wird derzeit diskutiert.

Bazooka wird Booster

Im vorgeschlagenen Nachtragshaushalt 2021 des Bundes verschiebt die neue Ampel-Koalition zur Bewältigung der Corona-Pandemie erteilte Kreditermächtigungen, um damit Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. Damit steuert die Koalition sehenden Auges in die Verfassungswidrigkeit.

Haushaltshoheit und Schuldenbremse

Viel war die letzten Wochen von einer Ampel als Zukunftsbündnis die Rede, das die großen Aufgaben unserer Zeit anpackt. Ob das gelingt, wird nicht zuletzt von der Ausrichtung der Finanzpolitik abhängen. Dekarbonisierung, Digitalisierung, Ausbau von Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur, Superabschreibungen, all das kostet Geld. Wir argumentieren, dass auch im Rahmen der Schuldenbremse eine zukunftsgerichtete Finanzpolitik möglich ist. Dazu bedürfte es einer Anpassung der Konjunkturkomponente.