Articles for tag: FreiheitJustizSchuldprinzipStrafprozessrechtStrafrecht

Deals im Strafprozess: Etikettenschwindel im Namen der Effizienz

Geständnis gegen Strafnachlass: Diese Art von Absprache, „Deal“ genannt, gibt es im Strafverfahren schon seit Jahrzehnten. Seit 2009 ist er gesetzlich geregelt. Der Gesetzgeber reagierte damit auf die bereits 2005 geäußerte Bitte des Bundesgerichtshofs (Az. GSSt 1/04), dem bei seinen Versuchen, selbst für rechtliche Leitplanken zu sorgen, mulmig geworden war. Das Ganze schien dem Bundesgerichtshof so grundlegend, dass es nicht einzelne Richter, sondern der Bundestag regeln sollte. Nun hat das Bundesverfassungsgericht über die gesetzliche Regelung zu entscheiden (Az. 2 BvR 2628/10; 2 BvR 2883/10; 2 BvR 2155/11). Morgen verhandelt der Zweite Senat darüber. Im Mittelpunkt stehen dabei die Grundrechte des ... continue reading

Ist Hannibal Lecter psychisch gestört?

Viele Sicherungsverwahrte müssen bis spätestens 31. Dezember 2011 entlassen werden, sofern er oder sie nicht konkret nachweisbar extrem gefährlich oder „psychisch schwer gestört“ ist. Das hat das BVerfG im Mai spektakulärerweise entschieden. Die Instanzgerichte haben’s vernommen und machen sich an die Arbeit, diese Vorgaben umzusetzen. Jetzt sieht sich eine Kammer des Zweiten Senats veranlasst, ein paar Feinjustierungen vorzunehmen. Das betrifft zum einen den Umgang mit der Frist bis zum 31. Dezember. Das OLG Hamm hatte im Juni die Freilassung eines Betroffenen angeordnet, aber nicht sofort, sondern erst nach gründlicher „Vorbereitung“. Das OLG wollte offenbar die Frist bis zuletzt ausschöpfen, bevor ... continue reading

Ungarn: Zeit, die Handschuhe auszuziehen

Wie viel Schulden ein Staat aufnehmen soll, ist eine der zentralen politischen Fragen unserer Zeit. Man kann da sehr unterschiedlicher Meinung sein, wie man in den USA derzeit sieht. Man kann und sollte darüber hitzig diskutieren, sich nichts schenken, den anderen mit allen Mitteln des politischen Meinungsstreits attackieren, denn es geht um sehr viel. Aber ihn ins Gefängnis werfen? Ungarns Regierung, bekannt durch ihren sonnigen verfassungspolitischen Humor, will erreichen, dass die Politiker, die für die gestiegene Staatsverschuldung verantwortlich sind, nämlich die sozialistischen Ministerpräsidenten Medgyessy, Gyurcsány und Bajnai, bestraft werden. Nulla poena sine lege? Denen doch egal. Wird der Straftatbestand halt ... continue reading

Kalifornien muss Gefängnisse leeren

Kalifornien muss in den nächsten zwei Jahren mehrere Zigtausend Strafgefangene freilassen, um wenigstens dem Rest menschenwürdige Haftbedingungen bieten zu können. Der US Supreme Court hat heute ein entsprechendes Urteil eines Bezirksgerichts mit knapper 5:4-Mehrheit gebilligt. Die vier Liberalen Ginsburg, Breyer, Sotomayor und Kagan haben den Swing-Vote-Richter Kennedy zu sich rübergeholt, der auch das Urteil geschrieben hat. Dissenting Votes haben Scalia (mit Zustimmung Thomas) und Alito (mit Zustimmung Roberts) verfasst. Es gibt in den USA ein Gesetz, das den Gerichten erlaubt, die Freilassung von Gefangenen anzuordnen, wenn anders die Verletzung ihrer Grundrechte nicht behoben werden kann – insbesondere die des Eigth ... continue reading

Von den Grenzen der Gewalt

Prügelnde Ehemänner sind eine furchtbare Sache. Sie wird noch furchtbarer, dass sie häufig auf besonders wehrlose Opfer treffen: Viele Frauen, die von ihrem Partner misshandelt werden, kommen trotzdem nicht los von ihm. Sie verteidigen ihn, sie kehren zu ihm zurück, immer wieder. In Spanien ist die Entschlossenheit, der häuslichen Gewalt mit aller Härte des Gesetzes entgegenzutreten, offenbar besonders groß: Dort gibt es seit 2005 ein Gesetz, das vorsieht, dass die Gerichte jedem, der wegen häuslicher Gewalt verurteilt wird, ein Verbot auferlegen müssen, sich ihrem Opfer zu nähern, mindestens für sechs Monate – und zwar ganz egal, wie schwerwiegend die Tat ... continue reading

Sitzblockaden: Strafrecht bleibt Strafrecht

Die heutige Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Sitzblockaden wird überall als superdemonstrantenfreundlich gefeiert. Tagessschau.de beispielsweise: „Demonstrationsfreiheit bei Sitzblockaden gestärkt“. Oder FAZ.net, noch schöner: „Sitzblockade nicht stets Nötigung“. Das passt sicher irgendwie in die Zeit, wo doch am Sonntag die Grünen so doll gewonnen haben. Tatsächlich aber ist es so: Diese Entscheidung versteht sich teilweise von selbst, und soweit sie das nicht tut, ist sie für die Versammlungsfreiheit gar nicht so besonders günstig. Nötigung: Nicht stets, aber oft Die Kammer hat zum einen die so genannte „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH bestätigt. Die besagt, dass es zwar keine gewaltsame Nötigung ist, wenn man durch ... continue reading

Großbritannien lehnt sich gegen EGMR auf

Wir haben ja unseren eigenen Ärger mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), in punkto Sicherungsverwahrung etwa, oder wenn es um die Frage überlanger Gerichtsverfahren geht. Aber wir versuchen nach Kräften, uns zu benehmen. Was man von den Briten derzeit nicht behaupten kann. Die steuern mit einer Stiernackigkeit auf eine Kollision mit dem Straßburger Gericht zu, die wirklich ihresgleichen sucht. Anlass des Streits ist ein Urteil der Großen Kammer von 2005, Hirst v. United Kingdom: Nach britischem Recht dürfen Strafgefangene nicht wählen. Das, so der EGMR, verstößt gegen die Menschenrechtskonvention. Die Briten sind da nicht die Einzigen. Erst in den ... continue reading

Das Zombie-Gesetz nachträgliche Sicherungsverwahrung

Es gibt nichts Gruseligeres, als wenn ein Toter immer wieder aufsteht und einem an die Gurgel will, man kann ihn umbringen, so oft man will. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist zum 1.1.2011 abgeschafft. Good Riddance: Nach dem (heute obendrein in drei Fällen bekräftigten) Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 war diese Lösung, wonach besonders gefährliche Straftäter auch nachträglich und über die Zeit ihrer Strafe hinaus in den Maßregelvollzug gesteckt werden können, kaum mehr zu halten. Kaum ist das Gesetz unter der Erde, klappt es schon wieder den Sargdeckel auf: Der EGMR hat nämlich heute sein Urteil im Fall ... continue reading

Sicherungsverwahrung: Einsperren, aber nicht bestrafen

Der Kompromiss zur Sicherungsverwahrung ist fertig – und offenbar hat sich die Streiterei gelohnt. Die Idee, gefährliche Verbrecher, die ihre Strafe abgebüßt haben, in geschlossenen Anstalten unterzubringen, trifft den Kern des Problems, und der ist die mit dem Konzept der Sicherungsverwahrung implizierte Vermengung von Strafvollzug und Gefahrenabwehr. Die Leute dürfen einerseits nicht frei herumlaufen, weil sie zu gefährlich sind. Andererseits gehören sie nicht ins Gefängnis, weil es nichts gibt, wofür man eine Gefängnisstrafe gegen sie verhängen könnte. Das ist das Dilemma. Also sperrt man sie ein, aber eben nicht in ein Gefängnis. Damit müsste man, was die Altfälle betrifft, den ... continue reading

Journalistenschutz mit Lücken

Damit Journalisten ohne Angst vor Strafverfolgung recherchieren können, werden sie zukünftig nicht mehr wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat verfolgt, wenn sie ihnen zugespielte Dienstgeheimnisse veröffentlichen. So steht es in Bundesjustizministerin LHSB’s Pressemitteilung zum heutigen Kabinettsbeschluss, das CICERO-Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Künftig soll die Staatsanwaltschaft nicht mehr die Redaktion durchsuchen dürfen, um ein Leck in der Verwaltung aufzuspüren. Die strafbewehrte Pflicht, Dienstgeheimnisse geheim zu halten, trifft nur die Beamten, nicht die Presse. Und da kann man sich auch nicht drum herum mogeln, indem man die Presse wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat versucht dranzukriegen. Klingt gut. Ich bin sehr für Schutz von Journalisten. Ich ... continue reading