Articles for tag: GleichheitsgrundsatzSozialhilfeVerfassungsgerichtshof

Zweck verfehlt

Im Dezember hob der österreichische Verfassungsgerichtshof wesentliche Teile des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes auf. Die Entscheidung gehört zu den rechtsstaatlichen Aufräumarbeiten nach dem Ende der Koalition aus ÖVP und der FPÖ, die mit dem zugrunde liegenden Grundsatzgesetz das Ziel verfolgt hatte, die Sozialhilfe bundesweit zu vereinheitlichen und dabei Zugewanderte im Sozialhilfesystem schlechter zu stellen. Nachdem sich auch die gestern vereidigte Regierung aus ÖVP und Grünen nicht auf eine Überarbeitung des Gesetzes geeinigt hat, wird die Regelungskompetenz weiterhin bei den Ländern verbleiben.

Nach dem Sicherheitspaket ist vor dem Sicherheitspaket

Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat am 11.12.2019 die Aufhebung unterschiedlicher Maßnahmen des sogenannten Sicherheitspakets der vergangenen ÖVP-FPÖ Regierung verkündet. Obwohl im Lichte der vorweihnachtlichen VfGH-Erkenntnisse fraglich ist, inwiefern die österreichische Verfassungsrechtslage überhaupt Raum für entsprechende Maßnahmen belässt, scheint die neue türkis-grüne Regierung nun eine Neuauflage der einkassierten Regelungen zu planen. Dies wirft die Frage auf, inwiefern die Koalitionspartner eine verfassungswidrige Regelung zumindest in Kauf nehmen und darauf hoffen, dass der Gerichtshof es am Ende schon wieder richten wird.

Ungarn: Eine Verfassung zum Fürchten

Ich bin gestern Abend in Budapest angekommen, habe mittlerweile mit ein paar Leuten gesprochen, die sich auskennen, und kann zu der neuen Verfassung Ungarns jetzt etwas präziser Auskunft geben. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Das ist überhaupt nicht schön, was da passiert. Das ist sogar ziemlich fürchterlich. Ein Mann, ein Wort, eine Verfassung Noch mal kurz zur Vorgeschichte: Im April 2010 hatten die Nationalkonservativen um Viktor Orbán einen triumphalen Wahlsieg errungen, der ihnen im Parlament eine Zweidrittelmehrheit einbrachte. Da es in Ungarn nur eine Kammer gibt, hatten sie damit Vollmacht, die Verfassung zu ändern. Und zwar ganz allein. Orbán ... continue reading

Frankreichs Verfassung hilft Homo-Paaren nicht

In Frankreich ist Ehe rechtlich eine Sache zwischen Mann und Frau. So steht es im Code Civil, und so hat es der Cour de Cassation erst 2007 ausdrücklich bestätigt. Heute hat der französische Verfassungsgerichtshof klar gemacht, dass da auch die Verfassung nichts hilft. Grund: Die Homo-Ehe einzuführen, sei eine politische Entscheidung und entziehe sich der Kompetenz des Conseil Constitutionel. Außerdem könnten Homo-Paare nach französischem Recht auch so zusammenleben, oder wie es auf französisch so schön heißt, vivre en concubinage. Die Entscheidung ist bemerkenswert kurz und dünn, verglichen mit den Doktorarbeiten, die man gelegentlich aus Karlsruhe auf den Tisch bekommt. Mehr ... continue reading

Verfassungs-Barbarei in Budapest

Dass die Ungarn gerade im Begriff sind, in ihrem Land die Pressefreiheit abzuschaffen, ist bekannt. Weniger bekannt ist, was sonst noch so passiert im Verfassungsrecht der Magyaren. Da bleibt nämlich gerade kein Stein auf dem anderen. Buchstäblich. Und das ist nicht allein das Problem der Ungarn, sondern verheißt für alle Europäer nichts Gutes. Darüber hat mich gestern eine höchst verdienstvolle Veranstaltung an der Berliner Humboldt-Uni aufgeklärt. Christian Boulanger vom Law & Society Institute hatte zwei ungarische Rechtswissenschaftler eingeladen: Kriszta Kovácz, Beraterin des Präsidenten des ungarischen Verfassungsgerichtshofs, und Gábor Attila Tóth von der Universität Debrecen, früher ebenfalls am Verfassungsgerichtshof als Berater ... continue reading

Seit wann kann ein Gericht eine Legislaturperiode halbieren?

powered by Fotopedia Hat es das schon mal irgendwo gegeben? Dass ein Gericht befindet, die Regierungsmehrheit im Parlament sei auf verfassungswidrige Weise zustandegekommen? Und dann freihändig ein Datum für das Ende der Legislaturperiode festlegt, gleichsam aus höheren verfassungspolitischen Erwägungen heraus? Der Landtag von Schleswig-Holstein ist 2009 gewählt worden, laut Verfassung für fünf Jahre. Die Verfassung sieht ferner vor, dass der Landtag 69 Sitze haben soll und dass eventuelle Überhangmandate ausgeglichen werden sollen. Solche Überhangmandate gab es 2009 in absurd hoher Zahl, weil CDU und SPD beide zwar mies abschnitten, aber die 40 Wahlkreismandate trotzdem unter sich ausmachten. Die Folge war, ... continue reading

Saarlands Verfassungsgerichtshof will der Regierung das Wiedergewähltwerdenwollen verbieten

Die Regierung darf keine als Öffentlichkeitsarbeit verkleidete Wahlwerbung betreiben. Das wissen wir auf Bundesebene seit 1977. Jetzt weiß es auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU). Der saarländische Verfassungsgerichtshof hat ihm heute bescheinigt, mit allerhand selbstlobenden Anzeigen und Briefen an Landesbedienstete kurz vor den Wahlen 2009 die Landesverfassung gebrochen zu haben. Muffiger Antipluralismus Die Grenze zwischen erlaubter Information der Bürger über geleistete Taten und errungene Erfolge und verbotener Werbung für die eigene Wiederwahl ist notorisch schwer zu ziehen. Das war sie auch schon 1977, als das BVerfG Helmut Schmidts sozialliberale Bundesregierung wegen allzu intensiver Prahlerei vor Bundestagswahlen zur Ordnung rief. Die ... continue reading

Darf ein Verfassungshüter ein Aufsichtsratsmandat wahrnehmen?

Diese Frage schlägt gerade in unserem Nachbarland Österreich Wellen. Dort ist der Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden des staatlichen Autobahn-Unternehmens ASFINAG zu besetzen. Die SPÖ-Verkehrsministerin hat eine Kandidatin gefunden, die gut geeignet wäre für den Job: Claudia Kahr heißt sie, 54 Jahre alt, ausgewiesene Expertin für Verkehrsrecht, verwaltungserfahren, durchsetzungsstark. Und Richterin am Verfassungsgerichtshof Österreichs. Einer besonders ehrwürdigen Institution: Österreich ist quasi die Erfinderin der Verfassungsgerichtsbarkeit und hat die große Idee seines großen Sohnes Hans Kelsen bereits 1919 in die Tat umgesetzt. (Und außerdem, als Kuriosum am Rande, das sicherlich einzige Verfassungsgericht, das in seiner Ahnengalerie zwei Präsidenten hat, die nicht nur genau ... continue reading

Ein Verfassungsgericht für die größte Demokratie der Welt

Indien hat einen Supreme Court, aber kein Verfassungsgericht – aber nach Meinung von K. G. Balakrishnan, Chief Justice des Supreme Court of India, sollte es einen haben. Dessen Aufgabe, so der oberste Richter in der Zeitung „The Hindu“, wäre, to deal exclusively with matters relating to the Constitution, inter-State water disputes, and disputes and crimes of a ‘federal’ nature. Das zeigt, scheint mir, dass Kelsens große Idee auch in der Welt des Common Law Verbreitung findet. Balakrishnan verweist auf das Vorbild Südafrika, wo es ebenfalls einen eigenen Verfassungsgerichtshof gibt. Interessant auch ein weiterer Vorschlag Balakrishnans: Verhandlungen sollten per Fernsehen übertragen ... continue reading