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Von Brokdorf nach Neukölln

Die Räume für zivilgesellschaftlichen Protest scheinen sich zunehmend zu verengen. Vor diesem Hintergrund besorgniserregend ist auch das Verbot zweier pro-palästinensischer Versammlungen in Berlin. Die Verbote beruhen nicht nur auf einer Gefahrenprognose, welche die hohen Anforderungen, die Art. 8 GG an ein präventives Versammlungsverbot stellt, grundsätzlich verkennt. Vielmehr stützen die Bescheide diese Gefahrenprognose auch maßgeblich auf rassistische Zuschreibungen.

Versammlungskontrolle und Versammlungsfreiheit

Der 1. Mai bietet jedes Jahr die Möglichkeit, auf dynamische Versammlungsgeschehen ausgerichtete polizeiliche Einsatzkonzepte wie unter dem Brennglas zu analysieren. Dabei hat sich in den letzten Jahren die Polizeitaktik der „Demobegleitung“ als Teil des sog. Deeskalationsprinzips durchgesetzt. In der Praxis zeichnet sich dieses Konzept durch eine starke polizeiliche Präsenz und frühzeitiges Einschreiten aus. Entsprechende Einsatzkonzepte werden weithin akzeptiert und lediglich einzelne überschießende Maßnahmen kritisiert. Doch mit Blick auf die Wirkungen des Einsatzkonzepts, insbesondere auf die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG, ist die Ausweitung jener Praxis hoch problematisch. Denn von der Versammlungsfreiheit bleibt wenig übrig, wenn faktisch die Polizei die Demonstration veranstaltet.

Demokratische Proteste als Majestätsbeleidigung des Grundgesetzes

Das „Grundgesetz 49“-Denkmal des israelischen Künstlers Dani Karavan unweit des Reichstags in Berlin zeigt die Art. 1-19 GG in ihrer Fassung von 1949 auf gläsernen Scheiben. Es mahnt zur Achtung und zum Schutz der Grundrechte. Am Samstag, den 04. März 2023 haben Klimaschutz-Aktivist:innen der „Letzten Generation“ es mit schwarzer Farbe übergossen. Auf die Glasscheiben klebten sie sodann Plakate mit den Aufschriften „Erdöl oder Grundrechte?“ und „In der Klimahölle gibt es keine Menschenwürde, keine Freiheit, kein Recht auf Leben“. Die breite und heftige Kritik, die die Aktion ausgelöst hat, hält einer juristischen Analyse nicht stand und stellt dem Zustand der freiheitlichen Demokratie in Deutschland kein gutes Zeugnis aus.

Versammlungsfreiheit durch Gesetz?

In Hessen will die schwarz-grüne Landesregierung ein neues Versammlungsgesetz auf den Weg bringen. In der Anhörung im Hessischen Landtag machten Sachverständige aus der Rechtswissenschaft auf ein gravierendes Problem aufmerksam, welches das gesamte Projekt als unvollendet in die Annalen der 20. Legislaturperiode eingehen lassen könnte: die Hessische Verfassung.

Demonstrieren schwer gemacht

Am 6. Januar 2022 trat in Nordrhein-Westfalen das erste landeseigene Versammlungsgesetz (VersG-NRW) in Kraft. Obschon die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht seit der Föderalismusreform 2006 bei den Ländern liegt, galt in Nordrhein-Westfalen bis Anfang 2022 das Versammlungsgesetz des Bundes fort. Dass der Landesgesetzgeber im Bereich des Versammlungsrechts ein eigenes Landesgesetz vorgelegt hat, ist grundsätzlich begrüßenswert. Das Gesetz ist jedoch in vielerlei Hinsicht freiheitsbeschränkend und daher verfassungsrechtlich angreifbar.

Versammlungsfreiheit in Lützerath – zur Disposition von RWE und Behörden?

Die Räumung von Lützerath ist im Gange. Die klimapolitischen Protestaktionen dürften bald beendet sein und das Dorf für den Braunkohleabbau abgebaggert werden. Friedliche Proteste dagegen am Ort des Geschehens waren nicht nur demokratisch legitim, sondern auch von der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG geschützt. RWE war daher verpflichtet, die Proteste zu dulden, solange nicht zu befürchten war, dass die Abbaggerung gewaltsam verhindert würde.

Die planetarische Bürgerrechtsbewegung vor Gericht

Strafrechtliche Verurteilungen aufgrund friedfertigen Klimaprotestes exkludieren potenziell Bürger und Bürgerinnen, die sich für grundrechtlich geschützte Ziele einsetzen, aus dem demokratischen Prozess. Eine sich mit politischen Appellen an die Mehrheit richtende Minderheit wird so kriminalisiert. Ausbildungs- und Berufsbiographien können im Einzelfall gerade bei wiederholter Teilnahme an Protestaktionen durch Vorstrafen zerstört werden. Das kann im demokratischen Rechtsstaat bei konkreter Gefährdung oder Verletzung von Leib und Leben oder Eigentum anderer natürlich gerechtfertigt werden, bei einem friedfertigen Protest für Bürgerrechte aber in der Regel nicht.

Besetzte Orte

In verschiedenen deutschen Universitäten wurden in der vergangenen Woche und auch heute Hörsäle besetzt. Die Besetzungen hatten unter anderem zum Ziel, auf Belange des Klimaschutzes hinzuweisen. Während andere Hörsäle in der Bundesrepublik noch besetzt gehalten werden, endete eine Besetzung an der Frankfurter Goethe-Universität mit einer polizeilichen Räumung. Da Teilnehmer:innen der Besetzung nun mit Strafverfahren rechnen müssen, soll im Folgenden das Verhältnis von Versammlungsfreiheit und Straf- wie Strafprozessrecht in Hinblick auf Proteste in Form von Besetzungen ausgeleuchtet werden. Auf Grundlage einer verfassungsorientierten Normenkonkretisierung der §§ 153, 153a StPO machen wir einen Vorschlag zur prozessualen Entkriminalisierung von Klima-Protestaktionen.