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Populismus und Plebiszit

Im kleinsten deutschsprachigen Staat, dem Fürstentum Liechtenstein, war der Einfluss rechtspopulistischer Parteien bisher überschaubar. Doch in letzter Zeit scheinen populistische Akteure in dem alpinen Kleinstaat einen Hebel entdeckt zu haben: die direkte Demokratie. Seit 2020 gab es bereits zwölf Abstimmungen, davon allein sechs im Jahr 2024. Gerade aus einer parlamentarischen Minderheitsposition heraus instrumentalisieren rechtspopulistische Kräfte direktdemokratische Verfahren, wenn ihnen entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung stehen.

Sächsischer Schnellschuss

Ende November 2023 verkündete die CDU in Berlin, die Bürger erneut über die Bebauung des Tempelhofer Feldes abstimmen zu lassen. Anfang Dezember 2023 hat die Kenia-Koalition in Sachsen einen Gesetzentwurf (Drs. 7/15055) in den Landtag eingebracht, wonach die Landtagsmehrheit Volksentscheide anberaumen können soll. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, wie sie seit 2015 wiederholt zu beobachten ist: Regierungen bzw. Regierungsmehrheiten versuchen, die Befugnis zu erlangen, Volksabstimmungen „von oben“ (Plebiszite) auslösen zu dürfen. Deshalb stellen sich folgende Fragen: Welche Formen von Plebisziten gibt es, warum sind sie so verlockend und gleichzeitig so gefährlich und wie kann das geplante sächsische Plebiszit verhindert werden.

Prämie auf die Macht

Die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus möchte, dass die Berliner Regierung eine Volksbefragung zur (Teil-)Bebauung des Tempelhofer Feldes initiiert. Sie soll dazu dienen, entgegen dem Volksentscheid von 2014, in dem sich die BerlinerInnen mehrheitlich für ein Bauverbot ausgesprochen hatten, nunmehr doch eine Bebauung durchzuführen. Für Regierungen ist die Versuchung, nach solchen Volksbefragungen zu greifen, offenbar sehr groß. Sie versuchen es immer wieder. Dennoch: Solche Volksbefragungen sind aus verfassungspolitischen und verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen.

Plebiszit gegen die Naturnahme

Der Abbau fossiler Brennstoffe erfordert einen rechtlichen Rahmen, der es ermöglicht, dass Bodenschätze angeeignet und kommerzialisiert werden. Die dazugehörigen Verwaltungsverfahren sind dabei regelmäßig technisch ausgestaltet und ermöglichen es kaum, strukturelle Fragen (etwa, ob trotz Klimakatastrophe weiterhin Erdöl gefördert werden soll) zu thematisieren. Eine Abkehr von diesen überkommenen Grundsätzen des rechtlichen Umgangs mit dem Rohstoffabbau war jüngst in Ecuador zu beobachten: Hier stimmten am 20. August 2023 knapp 59% der Wähler*innen bei einer nationalen Volksabstimmung dafür, die Ölbohrungen im amazonischen Yasuní-Nationalpark, einem Biodiversitätshotspot und Wohnort indigener Gruppen in freiwilliger Isolation, zu stoppen. Über 700 Millionen Barrel Öl sollen nun im Boden belassen werden. Es handelt sich um einen der weltweit seltenen Fälle der direktdemokratischen Entscheidung über den Rohstoffabbau. Indem sie die Frage der Zukunft der Erdölförderung im Yasuní zum Gegenstand offener politischer Debatte macht, erlaubt sie, dies in einem Kontext zu diskutieren, der über das konkrete Projekt hinausreicht.

Das „Grundrecht auf Autofahren“ als Grenze demokratischer Stadtgestaltung?

Diese Woche wurde bekannt, dass der Berliner Senat das Volksbegehren „Berlin autofrei“ für unzulässig erklärt hat. Das Volksbegehren verstoße gegen das Grundgesetz, da es einen unverhältnismäßigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit darstelle. Die Entscheidung lässt aufhorchen. Kann es wirklich sein, dass das Interesse, mit dem Auto durch Berlin zu fahren, ein politisches Projekt zur radikalen Umgestaltung des urbanen Raums verfassungsrechtlich unzulässig macht?

Direkte Demokratie: Wir müssen reden

Wenn es um direkte Demokratie geht, sind wir in etwa folgende Frontstellung gewöhnt: Auf der einen Seite stehen reaktionäre Rechts-Etatisten, die den wohl geordneten Staat und seine Institutionen vor dem verunreinigenden Einfluss des Plebs abzuschirmen streben, weil sie in dessen Köpfen nichts als Unvernunft und Chaos vermuten. Auf der anderen Seite stehen lauter progressive und liberale Aufklärer, die um die Unvernunft wissen, zu der die Institutionen des Staates ihrerseits fähig sind, um die bornierte Beharrungskraft der gesellschaftlichen Interessengruppen, die sie tragen, und um die Legitimationspotenziale, die sich heben ließen, wenn man die Leute, die von politischen Entscheidungen in ihrem täglichen ... continue reading