Ungarn und die Staatsbürgerschaft: Zurück ins Jahr 1914?

Das kann Europa in diesen schweren Zeiten so richtig gut gebrauchen: ein völkisch grundiertes Staatsbürgerschaftsgesetz, das  90 Jahre alte Grenzziehungen in Osteuropa in Frage stellt, Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in die (rhetorische) Generalmobilmachung gegeneinander treibt und die Angst der Euroskeptiker vor ungezügelter Immigration nährt. Das ungarische Parlament hat mit erdrückender Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, das im Großen und Ganzen jedem, der den Finger hebt und ungarisch kann, die ungarische Staatsbürgerschaft verspricht. Das klingt wie eine nette Geste, ist aber keine. In Ungarns Nachbarstaaten, darunter dem EU-Mitgliedsstaat Slowakei, leben 2,5 Millionen Menschen, die einen ukrainischen, serbischen oder slowakischen Pass haben, ethnisch ... continue reading

Karlsruhe nimmt Entparlamentarisierung durch EU pragmatisch

Der Zweite Senat betont immer wieder mal gerne, dass die europäische Einigung nicht zur Entparlamentarisierung in Deutschland führen darf. Jetzt hatte der Senat, genauer die aus den drei Erz-EU-Skeptikern Di Fabio, Broß und Landau bestehende 2. Kammer, Gelegenheit, damit mal so richtig ernst zu machen. Er hat diese Gelegenheit verstreichen lassen. Das ist die Kernbotschaft des heutigen Milchquoten-Nichtannahmebeschlusses. Geklagt hatten zwei Milcherzeuger aus Hessen und Thüringen, die offenbar mit einiger krimineller Energie versucht hatten, die europäischen Milchquotenregelungen auszutricksen. Sie hielten ihre strafrechtliche Verurteilung für verfassungswidrig: Die Strafbarkeit ihres Handelns ergebe sich aus einer Kette von Verweisungen vom Steuerhinterziehungstatbestand bis in ... continue reading

Das Bailout-Verbot ermächtigt zum Bailout

Wir Juristen sind schon super. Wir finden immer eine Lösung. Gestern war ich bei einer von Christian Calliess organisierten Diskussionsveranstaltung zum Thema Euro-Rettung. Den Vortrag hat Ulrich Häde gehalten, Europarechtler an der Viadrina und Vertreter der Bundesregierung im kommenden Verfahren um die neue Schachtschneider-Klage gegen den Griechenland-Bailout. Häde hat vorgetragen, wie man seiner Meinung nach an dem Bailout-Verbot in Art. 125 AEUV vorbei kommt. Zweck von Art. 125 AEUV sei es, sicherzustellen, dass haushaltspolitisch unsolide wirtschaftende Mitgliedsstaaten die Folgen ihres Tuns an den Finanzmärkten zu spüren bekommen und sich nicht durch Hilfsappelle an andere vor der steigenden Zinslast drücken können ... continue reading

Stellt euch vor, wir schaffen überall Schuldenbremsen und keiner hält sich dran…

Sie gehört zu den wenigen Dingen, auf den die verblichene Große Koalition bis zuletzt stolz war: Die Schuldenbremse im Grundgesetz. Maximal 0,35% des BIP darf der Bund ab 2016 noch an neuen Krediten aufnehmen, um seine regulären Ausgaben zu decken. Die Länder (ab 2020) überhaupt nichts mehr. Die Schuldenbremse in der Verfassung  ist keine allein deutsche Erfindung: Die Schweizer haben schon länger eine, die Polen auch. Aber die Deutschen sind es, die derzeit die Idee so gut finden, dass sie sie auf ganz Europa ausgedehnt sehen wollen. Anders als bei einer Kontrolle der nationalen Haushalte durch EU-Organe könnte niemand mehr ... continue reading

Hans-Hugo Klein, Gauweiler und der Bankenverband

Im Deutschlandfunk heute morgen hat Hans-Hugo Klein ein rätselhaftes, verwirrendes, um nicht zu sagen: verwirrtes Interview über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Euro-Bailouts gegeben. Wenn ich das Orakel richtig deute, hält er eigentlich alles für prima verfassungsgemäß, weist auf die Verknüpfung von Währungs- und Wirtschaftsunion im Maastricht-Urteil hin, wiegt aber trotzdem in einer Weise zweifelnd den Kopf, die die Deutschlandfunkredaktion dazu bewegt, das Interview online wie folgt anzuteasern: Vor der Entscheidung des Bundestages über den Euro-Rettungsschirm hat Professor Hans Hugo Klein, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, Zweifel am juristischen Bestand der getroffenen Maßnahmen geäußert. Das sollte Peter Gauweiler zu denken geben, ... continue reading

Peter M. Huber soll Nachfolger von Di Fabio werden

Im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts werden, was das Europarecht betrifft, die Karten in den nächsten Monaten neu gemischt. Laut Geschäftsverteilung ist Siegfried Broß für europarechtliche Fragen zuständig,  Udo Di Fabio kommt über das Völker- und das Parlamentsrecht ins Spiel. Letzterer gehört intellektuell so oder so zu den großen Schwergewichten des Senats – eine der vielen Dinge, die er mit Paul Kirchhof gemeinsam hat, dessen Sitz er übernommen hat. Broß und Di Fabio verstehen beide in Hinblick auf die EU nicht viel Spaß. Broß würde ich als handfesten Euroskeptiker bezeichnen, siehe sein Sondervotum beim EU-Haftbefehl. Di Fabio ist von anderem intellektuellem ... continue reading

EuGH-Generalanwältin: Schranken für urheberrechtliche Geräteabgabe

Speichermedien und Vervielfältigungsgeräte kosten in Deutschland ein paar Euro mehr, weil auf den Kaufpreis die Geräteabgabe draufgeschlagen wird: Sie geht an die Verwertungsgesellschaften (GEMA, VG Wort etc.) und wird an Rechteinhaber ausgeschüttet als Ausgleich dafür, dass mit bzw. auf diesen Geräten Privatkopien geschützter Werke angefertigt werden. In Spanien gibt es so etwas offenbar auch. Dagegen hat sich ein betroffener Hersteller von Speichermedien gewehrt, und das spanische Gericht hat die Sache dem EuGH vorgelegt. Jetzt hat Generalanwältin Verica Trstenjak ihre Schlussanträge veröffentlicht (C-467/08, Sociedad General de Autores y Editores (SGAE) vs PADAWAN), und die sind ziemlich interessant – nicht nur, weil ... continue reading

Europa in der Krise: Brauchen wir eine neue Verfassung?

Was da gestern Nacht im Ecofin beschlossen wurde, 500 Milliarden zur Stabilisierung des Euro bereit zu stellen, der EZB den Ankauf von Staatsanleihen zu ermöglichen und einen europäischen Haftungsverbund für die Staatsschulden der Mitgliedsstaaten zu begründen – was wird das für Folgen haben? Wo wird das hinführen? Ich weiß nur eins: Es wird in Deutschland und Europa verfassungspolitisch keinen Stein auf dem anderen lassen. Dieser Schritt wird eine enorme Dynamik auslösen. Es ist nur noch nicht klar, in welche Richtung. Zwei Szenarien Entweder wachen wir in ein paar Jahren in einem Europa auf, in dem so gut wie alle überregionale ... continue reading

Kein Bailout-Stop aus Karlsruhe

Jedenfalls keine einstweilige Anordnung: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat gestern Abend die fünf professoralen Euroskeptiker in ihrem Versuch, den Griechenland-Bailout per Eilantrag zu stoppen, abblitzen lassen. Vielleicht irre ich mich, aber mir scheint, dass der gestrige Beschluss nicht gerade von überschäumender Lust der Verfassungsrichter zeugt, diese Gelegenheit zum großen Ultra-Vires-Knall zu nutzen. Die Betonung, die auf die Einschätzungsprärogative der Bundesregierung gelegt wird, mitsamt Zitatverweis auf das Euro-Urteil – das scheint mir schon darauf hinzudeuten, dass sich der Senat hier um richterliche Zurückhaltung bemühen will. Möglicherweise kann der Senat die Verfassungsbeschwerde auch über eine formale Hürde stolpern lassen: Sie wurde ... continue reading

Vorratsdatenspeicherung: Was täten wir ohne die Iren

Der irische High Court will die Vorratsdatenspeicherung erneut vom EuGH überprüfen lassen. Diesmal unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit den Grundrechten. Die Iren wieder. Was täten wir ohne sie. Das Thema hat den EuGH schon einmal beschäftigt, weil schon die irische Regierung gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt hatte – allerdings gegen den Trick, die Richtlinie als Binnenmarkt-Maßnahme zu etikettieren. An dieser Stelle das Stemmeisen anzusetzen, dazu konnte sich der EuGH dann allerdings nicht entschließen. Um so besser, wenn er jetzt Gelegenheit bekommt, die grundrechtliche Überprüfung nachzuholen. Bleibt zu hoffen, dass die EU-Richter tatsächlich die Gelegenheit wahrnehmen und einen Weg suchen und ... continue reading