Ist Deutschland zu nett zu Folterknechten?

Der Kindermörder Magnus Gäfgen wird von der deutschen Justiz unmenschlich behandelt. Er ist Opfer eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK, das Folter und unmenschliche Strafen verbietet. Die beiden Polizisten, die ihn bedroht hatten, um das Leben seines Opfers zu retten, seien nicht hart genug bestraft worden. So die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heute. Die Bildzeitungs-Schlagzeile morgen will ich mir mal lieber nicht vorstellen. Folterverbot ohne Notstands-Vorbehalt In wünschenswerter Klarheit hat der EGMR klargestellt, dass es keine Ausnahme vom Folterverbot gibt, keine Interessenabwägung, keine Berufung auf einen noch so drastischen Notstand. Weder die Rettung von Menschenleben noch Volk ... continue reading

Ungarn und die Staatsbürgerschaft: Zurück ins Jahr 1914?

Das kann Europa in diesen schweren Zeiten so richtig gut gebrauchen: ein völkisch grundiertes Staatsbürgerschaftsgesetz, das  90 Jahre alte Grenzziehungen in Osteuropa in Frage stellt, Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in die (rhetorische) Generalmobilmachung gegeneinander treibt und die Angst der Euroskeptiker vor ungezügelter Immigration nährt. Das ungarische Parlament hat mit erdrückender Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, das im Großen und Ganzen jedem, der den Finger hebt und ungarisch kann, die ungarische Staatsbürgerschaft verspricht. Das klingt wie eine nette Geste, ist aber keine. In Ungarns Nachbarstaaten, darunter dem EU-Mitgliedsstaat Slowakei, leben 2,5 Millionen Menschen, die einen ukrainischen, serbischen oder slowakischen Pass haben, ethnisch ... continue reading

Bet-Verbot in der Schule: Stop obsessing about religion!

Eine Schule darf ihren muslimischen Schülern verbieten, in der Pause zu beten? In der Tat, das darf sie, und das hat nicht etwa ein türkisches oder französisches Gericht geurteilt, sondern das Oberverwaltungsgericht Berlin. Wie der Zufall will, hat justament gestern Abend der kanadische Philosoph Charles Taylor in der Humboldt-Universität einen Vortrag zum Thema Sekulare Gesellschaft gehalten, der mir bei der Beurteilung dieses Falls wie gerufen kommt. Taylor unterscheidet zwei Sekularismus-Modelle: Das „control model“ und das „diversity model“. Control vs. diversity Beim „control model“ geht es darum, den Einfluss der Kirche in der Politik zu minimieren. Die französische Laicité hat hier ... continue reading

Partisanen als Kriegsverbrecher

Gab es schon vor den Nürnberger Prozessen eine völkerrechtliche Basis dafür, Individuen wegen Kriegsverbrechen zu bestrafen? Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bejaht diese Frage in ihrem gestrigen Urteil Kononov bemerkenswert umfassend und treibt damit die Russen auf die Barrikaden („Strasbourg sides with Nazis“). In dem Fall geht es um ein lettisches Urteil gegen den früheren Partisanenführer und Offizier der Roten Armee Wassili Kononow. Dessen Einheit hatte im Mai 1944 neun lettische Zivilisten, die er verdächtigte, andere Partisanen an die Wehrmacht verraten zu haben, auf barbarische Weise umgebracht. Nach Ansicht der Großen Kammer war auch 1944 schon ... continue reading

Liberaler Silberstreif im US-Strafrechtssystem

Ein Minderjähriger, der niemanden getötet hat, darf nicht bis an sein Lebensende hinter Gitter geschickt werden. Das klingt für unsere europäischen Ohren erst mal ziemlich selbstverständlich, für die USA ist das gestrige Urteil des US Supreme Court aber ein riesiger Schritt: Denn anders als erwartet hat der SC damit zum ersten Mal überhaupt eine bestimmte Strafe unterhalb der Schwelle der Todesstrafe für eine bestimmte Klasse von Tätern für verfassungswidrig erklärt. Terrance Graham wuchs in einem Crack-Haus auf, begann mit neun zu rauchen und zu trinken und mit 13 zu kiffen. Er war 16, als er mit ein paar Kumpels einen ... continue reading

Elena Kagan lesbisch? Und wenn schon?

Elena Kagan soll Supreme-Court-Richterin werden, und jetzt wird eine bemerkenswert verdruckste Diskussion darüber geführt, ob sie womöglich lesbisch ist. Dass es diese Diskussion gibt, ist nicht überraschend. Die US-Rechte ist teilweise offen homophob. Elena Kagan ist Obamas Kandidatin, und ihr Schaden ist sein Schaden. Ihr herbes Äußeres und die Tatsache, dass sie keine Familie hat, genügen als Stereotypen locker, um sie in der Öffentlichkeit als homosexuell zu stempeln, ganz egal, ob sie es tatsächlich ist oder nicht. Überraschend ist eher, dass sie die Verdruckstheit der Debatte. Das Wall Street Journal bringt auf der Titelseite keine Nachricht, sondern – apropos Stereotyp ... continue reading

EuGH-Generalanwältin: Schranken für urheberrechtliche Geräteabgabe

). Der Umstand, dass – etwa im Internet über sogenannte P2P(»peer to peer“)‑Tauschbörsen – eine weit verbreitete Verletzung des grundsätzlich umfassenden Vervielfältigungsrechts des Urhebers festzustellen ist, ist weder im Zusammenhang mit dieser Richtlinienbestimmung relevant, noch kann er als ein Faktor bei der Herbeiführung der Ausgewogenheit zwischen den Interessen der Rechtsinhaber und der Nutzer angesehen werden(…

Vorratsdatenspeicherung: Was täten wir ohne die Iren

Der irische High Court will die Vorratsdatenspeicherung erneut vom EuGH überprüfen lassen. Diesmal unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit den Grundrechten. Die Iren wieder. Was täten wir ohne sie. Das Thema hat den EuGH schon einmal beschäftigt, weil schon die irische Regierung gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt hatte – allerdings gegen den Trick, die Richtlinie als Binnenmarkt-Maßnahme zu etikettieren. An dieser Stelle das Stemmeisen anzusetzen, dazu konnte sich der EuGH dann allerdings nicht entschließen. Um so besser, wenn er jetzt Gelegenheit bekommt, die grundrechtliche Überprüfung nachzuholen. Bleibt zu hoffen, dass die EU-Richter tatsächlich die Gelegenheit wahrnehmen und einen Weg suchen und ... continue reading

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlen? Gut, aber ohne GEZ

Haushaltsabgabe statt GEZ-Gebühr: Laut Spiegel hat Paul Kirchhof in einem Gutachten diesem rundfunkpolitischen Paradigmenwechsel eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt. Damit steigen die Chancen, dass die Haushaltsabgabe kommt: Künftig werden wir nicht mehr nur dann für ARD, ZDF und Deutschlandradio zahlen, wenn wir Fernseher oder Radio in der Wohnung stehen haben. Sondern einfach so, per schierer Existenz. Ob ich von dem Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Gebrauch mache oder nicht, soll keine Rolle mehr spielen. Immerhin, damit macht sich die Rundfunkfinanzierung wenigstens ehrlich: Seit jedes Smartphone ein potenzielles Empfangsgerät ist, funktioniert die Verknüpfung Empfangsgerät – öR-Nutzung – Zahlungspflicht sowieso nicht mehr. Und auch ... continue reading

Wie man dafür sorgt, dass alle Welt sich über die Grundrechtecharta beömmelt

Hier noch ein Fund aus dem Ressort Heitere Verfassungsbegebenheiten: EU-Justizkommissarin Viviane Reding ist wütend auf die Europäische Grundrechteagentur wegen deren Ankündigung, die Grundrechtecharta als 80-minütiges Versepos umdichten zu lassen. Is this really how they should be spending their time? zitiert EU-Observer einen ihrer Mitarbeiter. Das ist aber doch auch eine sagenhaft bescheuerte Idee. Allerdings nicht die Einzige, die diese Behörde ausgebrütet hat. Da gab es offenbar einen „Videowettbewerb„. Jeder kann ein YouTube-Filmchen einsenden, wie super er Grundrechte findet. Und dann kriegt er einen Preis. Unter den solchermaßen gewürdigten Werken der Lichtbildkunst ist auch dieses Schmuckstück: